Vor zwei Wochen ist bei Netflix die zweite Staffel von „Narcos“ auf Sendung gegangen. Grund genug, einem der Vorbilder der Serie auf den Zahn zu fühlen, einer kolumbianischen Telenovela-Produktion.
Die Zeiten, in denen alleine die US-amerikanischen Studios für die Produktion von qualitativ hochwertigem Fernsehen verantwortlich zeichneten, sind endgültig vorbei. „Escobar“ tritt zur Beweisführung an – und diese Serie hat auch bereits vier Jahre auf dem Buckel. Caracol, ein großer kolumbianischer Fernsehsender und Marktführer im Bereich der Telenovela, ließ das Mammutprojekt über drei Jahre hinweg produzieren und versendete es dann innerhalb eines halben Jahres. 1300 Schauspieler und 500 Schauplätze sollen dabei zum Zuge gekommen sein. Im Gegensatz zur internationalen Version, die es auch schon auf beachtliche 74 Folgen bringt, umfasst die kolumbianische Variante stolze 113 Episoden. Der Unterschied: Die südamerikanischen Folgen sind kürzer, die Gesamtspielzeit beider Schnittfassungen gleich.
Hört man das Wort Telenovela, denkt man im Normalfall an schlimmste Schauspieler in künstlichen Studiokulissen, die Drama vortäuschen und zu süßlicher Musik theatralisch in die Kissen sinken. Davon gibt es in „Escobar“ so gut wie nichts zu sehen. Überraschend stilsicher gefilmt, fährt die Serie einiges auf: gut ausgeleuchtete Räume, schicke Landschaftsaufnahmen, viele Außenszenen, beeindruckende Panorama-Shots von Bogota und Medellin – da müssen sich die Kolumbianer wirklich nicht verstecken. Auch inhaltlich kann man sich mit der internationalen Konkurrenz messen. Die Handlung beginnt in Escobars Jugend, als er seine ersten kleinen Deals einfädelt, und endet wenig überraschend mit seinem bekannten Ableben.
Jämmerlich verreckt
Im Gegensatz zu „Narcos“ erzählen die Autoren Escobars Geschichte ganz aus dessen Perspektive beziehungsweise der seiner Vertrauten und Mitarbeiter. Die amerikanische Drogenermittlungsbehörde DEA kommt nur am Rande vor und wird nicht sonderlich positiv gezeichnet. Gerade das macht einen großen Reiz der Serie aus. Man taucht unmittelbar ins kolumbianische Milieu der 1970er und 80er Jahre ein und wird erst nach vielen, vielen Stunden daraus entlassen. Pablo Escobars politische Handlungen nehmen viel Raum ein, aber auch sein Verhältnis zu seiner Familie ist stets Thema. Man mag das als sehr kleinteilig empfinden, andererseits hat man nach diesen 74 Folgen das Gefühl, nahe an die Person herangekommen zu sein, viel näher als bei „Narcos“. Vieles bleibt weiterhin Spekulation, grundsätzlich basiert das Drehbuch aber auf dem Tatsachenbericht „Die Parabel des Pablo“, verfasst von Medellins ehemaligem Bürgermeister Alonso Salazar.
„Escobar, El Patrón Del Mal“ ist nicht immer spannend, vor allem in der Mitte hängt die Serie ein wenig durch. Die ständigen Tötungen und Morde ermüden. Vielleicht ist das beabsichtigt und soll die Hilflosigkeit, schließlich die Apathie des kolumbianischen Volkes und vor allem seiner Regierungen verdeutlichen. Die Staatsoberen kommen hier überhaupt nicht gut weg, sondern erscheinen als apathische Lösungsverweigerer, die immer erst reagieren, wenn es schon zu spät ist. Todesfälle spielen eine große Rolle in der Serie, sie ist explizit den Angehörigen gewidmet. Im Spannungsverhältnis zwischen Drogenhändlern, Staatsgewalt und Presse sterben im Verlauf der Jahre so viele Menschen, dass man als Zuschauer leicht den Überblick verlieren kann. Der Titelsong wird deutlich: „Ehrt jene, die jämmerlich verreckt sind.“
Explosionen gibt’s nur off-screen
Etwas merkwürdig gerät generell der Musikeinsatz . Er scheint keinerlei Logik zu folgen und setzt oft wie zufällig ein, meist überraschend. Man kann aber auch nicht leugnen, dass diese Taktik, wenn es denn eine ist, einen Effekt auf den Zuschauer hat. Dadurch wird oftmals eine Unruhe generiert, die wiederum die Spannung erhöht. Die triefende Ballade, die bei Beerdigungsszenen und anderen dramatischen Höhepunkten benutzt wird, ist allerdings grotesk. Da riecht es dann doch deutlich nach klassischer Telenovela, etwas weniger Schmalz hätte es sicher auch getan.
Natürlich merkt man auch, dass nicht das Budget zur Verfügung stand, das beispielsweise Netflix für „Narcos“ auf den Tisch gelegt hat. Explosionen ereignen sich meist off-screen und wenn sie doch gezeigt werden, fühlt man sich an alte ZDF-Filme erinnert. Frisuren und Kleidungstücke sehen nicht nach den 80er Jahren aus. Auch einige Anschlussfehler oder technische Unausgegorenheiten haben sich eingeschlichen. Dies alles ist angesichts der Masse an Szenen und der Länge dieses Mammutprojektes aber auch kein Wunder und kann getrost vernachlässigt werden.
Der Drogenkönig als cholerischer Buchhalter
Denn, und hier kommen wir zum großen Plus dieser Serie neben ihrer detailversessenen Schilderung: Der Schauspieler Andrés Parra spielt Pablo Escobar so großartig, dass man nur applaudieren kann. Im Unterschied zu seinem Kollegen Wagner Mouria legt er den kolumbianischen Drogenboss eher wie einen leicht cholerischen Buchhalter an und ist damit wohl näher an der echten Person als die psychotische Figur, die von den „Narcos“-Autoren bevorzugt wird. Wie sich Parra als Escobar allmählich in seine wahnsinnigen Vorstellungen versteigt und die Realität verliert, wie er zum Schluss krankheitsgeplagt und halb verwildert durch den Dschungel strauchelt, wie er sich selbst kaputtmacht, das ist absolut sehenswert. In Kolumbien gab es bis zu 80 Prozent Marktanteil als Dank.
„Escobar, El Patrón Del Mal“ ist keine leichte Serie, alleine die Länge dürfte viele Zuschauer abschrecken. Die Folgen liegen ausschließlich auf Spanisch mit deutschen Untertiteln vor, auch das hilft nicht gerade. Aber die Anstrengung lohnt sich. Und Andrés Parra wird hoffentlich bald für das internationale Kino entdeckt, verdient hätte er es.
Die Serie ist auf Netflix abrufbar.