Eine Folge, zwei Meinungen – Nach dem überladenen Staffelauftakt von vergangener Woche setzt die zweite Folge exakt da an, wo jener aufgehört hatte, konzentriert sich aber glücklicherweise auf ein zentrales Thema: die Mutter- respektive Elternschaft und wie wichtig diese für eine Beziehung ist.
Obwohl diesmal auf das komplizierte Spiel mit den zwei verschiedenen Erzählebenen aus der ersten Folge verzichtet wird, erweist sich die Zeitstruktur der Serie erneut als Problem. Es gibt diesmal nämlich größere Sprünge zwischen aufeinander folgenden Szenen, ohne dass jeweils klar wird, wie viel Zeit dazwischen vergangen ist. In der einen Szene will Virginia noch eine Abtreibung vornehmen lassen, in der nächsten ist ihre Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten, dass die Gattin des persischen Schahs sie erkennen kann. Und am Ende der Folge bringt sie bereits das Kind zur Welt. Wie im Zeitraffer präsentieren die Autoren uns lediglich die Szenen, die für die Fragestellung der Episode von Belang sind – dabei hätten sie bei einer über mehrere Staffeln erzählten Serie eigentlich genügend Raum, solche Entwicklungen quasi in Echtzeit darzustellen. So wirkt die Folge irgendwie gehetzt, gerade im Vergleich zu langsamer erzählten Dramaserien wie „Mad Men“ – dessen Subtilität geht „Masters of Sex“ jedenfalls neuerdings völlig ab.
Etwas zu bequem erscheint auch der Zufall, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als Virginias Gedanken von ihrer ursprünglich ungewollten Schwangerschaft beherrscht werden, ein Patientenpaar in der Praxis auftaucht, dessen größte Sorge das genaue Gegenteil ist, nämlich dass sie (zusammen) kein Kind bekommen können. Das Gespräch zwischen Bill und der Schah-Ehefrau am Krankenbett sorgt zwar für einen emotionalen Einblick in Bills intimste Gedanken, der immer wieder evozierte Vergleich zwischen den Paaren wirkt aber ebenso schief wie die von der Patientin als Metapher bemühte auf der Spitze stehende Pyramide.
Ehevertrag versus Trauungsansprache
Zumindest haben die Autoren die Soap-Elemente aus der vergangenen Woche auf ein Minimum zurückgefahren. Statt geballter Kinderprobleme bekommen wir diesmal nur Virginias rebellische Teenietochter Tessa zu sehen. Die Handlung konzentriert sich stattdessen wieder stärker auf Bills Arbeit als Arzt, was in der ersten Staffel regelmäßig für interessante Episodenhandlungen sorgte – so auch diesmal. Die Studie selbst bleibt jedoch weiter im Hintergrund, obwohl die beiden Protagonisten ihre Bedeutung fast mantraartig beschwören – und bereit sind, für deren Erfolg fast alles andere zu opfern.
Sehr gelungen ist die Parallelmontage zwischen der Trauungszeremonie, bei der der Beamte ewige Liebe und Treue beschwört, und dem Vorlesen des Ehevertrags durch den Anwalt der Johnsons, der nüchtern über das „Nicht-Erwarten einer Kohabitation“ referiert. Aus der „Ehe zu Dritt“ zwischen den Masters und Virginia ist nun innerhalb nur einer Folge quasi eine zu Viert geworden – ob das irgendwen der Beteiligten glücklicher machen wird, erscheint fraglich. Marcus Kirzynowski
Wie es sich für eine gute Arztserie gehört, holen wir jetzt mit meiner eine zweite Meinung ein, und Dr. Jens zeigt im Folgenden, ähnlich wie die Interimskollegin in der Serie, Dr. Marcus und unseren Lesern ergänzende Sichtweisen auf.
Schon der Staffelauftakt thematisierte die gelebte Elternschaft gegenüber einem erfüllten Berufsleben, nur dass sich die begangenen Erziehungsfehler eben nicht so einfach ausbessern lassen wie Tippfehler in den Korrekturfahnen ihres gemeinsamen Buches. Bill schafft es am Ende der ersten Folge sogar, sein Schneckenhaus zu verlassen, die Sterne über sich wahrzunehmen und die Fehler seines gewalttätigen Vaters nicht zu wiederholen. Für ihn ist das schon eine bemerkenswerte Entwicklung.
Trotzdem lastete auch in der vergangenen Folge der größere Druck wieder auf Virginia, die sich mit einem akademischen Titel profilieren muss, um öffentlich überhaupt ernst genommen zu werden und die gemeinsame Arbeit von 12 Jahren nicht auf den letzten Metern der Lächerlichkeit Preis zu geben. Zu Erinnerung: Weil Virginia sich am Ende der zweiten Staffel gezwungenermaßen an die Arbeit geklammert hat, nachdem ihr Ex-Ehemann das Sorgerecht zugesprochen bekommen hatte, entgleiten ihr ihre nun erwachsen gewordenen Kinder zunehmend – die Tochter rebellisch, den Sohn muss sie zum Militär ziehen lassen. Dank der erneuten Schwangerschaft mit dem Ex-und-jetzt-wieder-Gatten sieht sie die Chance, diese Schieflage zu korrigieren, ehe ihr Bill klar macht, dass sie damit dem Druck von außen nachgibt, der Gemeinschaft, die “weiß”, was von einer “richtigen” Mutter erwartet wird. Dabei ist ihre Arbeit doch Zeichen dessen, dass es alternative Modelle gibt, und diese Sichtweise der größte Liebesbeweis (an sich selbst), dessen Masters fähig ist. Eine ganz tolle, berührende Szene, in einer an starken Momenten nicht gerade armen Folge, an deren Ende sie durch eine Glasscheibe getrennt vor ihren Kindern stehen.
Die Zeitsprünge sind dabei ganz eindeutig durch Abblenden gekennzeichnet, was eleganter ist, als eine Einblendung “drei Monate später”. Alles weitere erschließt sich dem Zuschauer anhand des Bauchumfangs von Virginia, und der Moment, in der die Königin mit ihrer Aufmerksamkeit sowohl Masters als auch Johnson bloßstellt, ist toll geschrieben. Man war ja bis zu dem Moment in dem Glauben, sie habe abgetrieben. Die Stärke liegt hier gerade im elliptischen Erzählen, lieber Marcus, neun Monate Schwangerschaft auszuwalzen, in der nichts passiert, wäre die langweiligere Staffel geworden, findest du nicht? Vertrau den Autoren, dass sie wissen, was sie hier tun. Das Ende der zweiten Folge schließt im Prinzip mir der Thematik ab, und schafft Raum für … keine Ahnung, lassen wir uns nächste Woche überraschen.
Wie toll war übrigens wieder mal Lester bei der Institutsführung und später seine Frage nach Zepter und Krone des Königs? Oder die Einsichten von George, dem Virginia am Hochzeitsabend sagt, er würde schon noch die Richtige finden? Und Libby, die endlich mal sauer ist, nicht alles schluckt und ihrem Ärger Luft macht? Viele Highlights, nur der Rock von Betty ist zu kurz gekommen. Aber wer fragt in modischen Angelegenheiten schon Bill Masters?
Den Reiz dieser Serie sehe ich nicht im gynäkologisch-sexuellen Fall der Woche, der in der Praxis behandelt und gelöst werden muss, sondern in der Spannung zwischen Berufs- und Privatleben, die immer mit persönlichen Opfern verbunden ist und jetzt in einem Scheinleben für die Presse und Fotografen gipfelt, das die Hauptfiguren mehr als je zuvor in Fesseln legt, die sie zu sprengen angetreten waren. Darin spricht Bill Masters einen Toast an die Ehepartner aus, der zwar einerseits richtiger nicht sein könnte, aber wie fast alles bei ihm, wenn es um die emotionale Würdigung anderer geht, leider aufgesetzt wirkt. Der Balanceakt zwischen Realität und Fiktion (ablesbar schon allein durch die am Ende der Folgen eingeblendete Texttafel, die darauf hinweist, dass die in der Serie dargestellten Kinder fiktiv sind) gelingt Michelle Ashford jedenfalls den schwierigen Umständen zum Trotz wieder erstaunlich gut, von einer schweren Geburt kann hier nicht die Rede sein.
Jens Prausnitz
Link-Tipp:
Familiäre Hintergründe zum Schah von Persien, die der Serie als Vorlage dienten.