„Pregau – Kein Weg zurück“-Kritik Ep. 1: „Der Fehler“

Ein Dorf, viele Geheimnisse: Pregau. Foto: ORF/Petro Domenigg

Mit „Pregau – Kein Weg zurück“ wollen ORF und ARD/Degeto eine große Eventserie kreiert haben – mit allem Pipapo, inklusive eigener App und weiterem paratextualen Begleitmaterial. Die erste Folge lässt am Aufwand nicht zweifeln – an der Umsetzung allerdings schon eher.

„Es wär mit Sicherheit alles anders gekommen, wenn ich diesen einen Fehler nicht gemacht hätt. Dann wären ja niemals so viele Menschen gestorben“, heißt es zu Beginn schon unheilvoll. Hannes Bucher ist eigentlich ein ganz normaler Polizist in Pregau, einem fiktiven Dorf in der Steiermark – bis er eines Abends nach einer Firmenfeier seine Nichte Rosa und ihren Freund Gregor betrunken am Steuer erwischt. Eigentlich müsste er sie festnehmen, aber sie „überredet“ ihn, sie gehen zu lassen. Ein fataler Fehler: Die beiden rasen an eine Felsmauer, Rosa verstirbt, Gregor fällt ins Koma. Hannes muss die Ermittlungen gegen sich selbst aufnehmen – Gregor bleibt dabei aber nicht der einzige Zeuge…

Da war die Welt noch heile... Foto: ORF/Mona Film/Petro Domenigg.
Da war die Welt noch heile… Foto: ORF/Mona Film/Petro Domenigg.

Diese Kurzzusammenfassung kann der Geschichte von „Der Fehler“ gar nicht gerecht werden – schon beeindruckend, wie viel Material in eine Folge in Spielfilmlänge hineinpasst. Weiterhin gibt es noch die Machenschaften der Hartmann seniors, die inzestuösen Tendenzen beider Hartmann-Söhne, die Rivalität zwischen Hannes und einem weiteren Polizisten, und nicht zuletzt die Fehde der Hartmanns und der Hölzls, von der mit dem Unfall von Rosa (eine Hartmann) und Gregor (ein Hölzl) ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Eine klassische Familienfehde à la „Romeo und Julia“. Außerdem ist die Polizei mit einem „Autobahnschützen“ beschäftigt – was es aber damit auf sich hat und warum wir uns darum kümmern sollten, lässt „Der Fehler“ vorläufig noch offen.

„Pregau“ als transmediales Erlebnis

Begleitet wird das Ganze von der eigens für die Serie programmierten „Pregau“-App. Dass die Produzenten diese überhaupt in Auftrag gegeben haben, ist beachtenswert – das gab es hierzulande noch nie. Die gebotenen Features sind gut durchdacht, die App sehr gut designt – allein den Praxistest hat sie nicht gänzlich bestanden: In unserem Haushalt funktionierte nur eins von zwei Handys einwandfrei. Das sorgte einigermaßen für Frust. Zudem hat man beim Lügendetektor wohl ein paar Ausschläge vergessen – zumindest als Gregor behauptet, nüchtern zu sein, schlug der Detektor nicht aus.

Dennoch halte ich das Experiment mit dieser App für ein gelungenes, vor allem dank des fantastischen Inhalts und dessen Präsentation – das ist entweder genial konzipiert oder gut kopiert. Der Lügendetektor bietet eine gänzlich neue Weise, Fernsehen zu erleben – zu erfahren, wie häufig die Figuren lügen, sorgt auf jeden Fall für Spannung. Noch besser fand ich aber die psychologischen Einsichten in die Charaktere und ihre Dilemmas. Die offensichtlich von einem echten Psychologen verfassten Texte geben präzise Analysen der jeweilgen Zwickmühlen. Das hilft nicht nur, die Figuren besser zu verstehen, sondern stärkt auch das Vertrauen, dass die Produzenten und Drehbuchautor Nils Willbrandt (auch Regisseur) wissen, was sie tun. Nicht zuletzt hilft die App aber auch stets, sich in Erinnerung zu rufen, wie die Figuren heißen und wie sie zueinander stehen – gerade in Folge 1 eine enorme Hilfe und echte Bereicherung. Schließlich gibt’s da auch noch die Vlogs von Sarah: Die sind von der Idee her auch gelungen, bei der Umsetzung mangelt es dann jedoch leider an schauspielerischer Qualität.

Werden solch „2nd Screen“-Angebote in Zukunft zum Standard? Ich bin mir nicht sicher. Teilweise habe ich mich persönlich schwer damit getan, eine durchaus komplexe Charakteranalyse zu lesen und gleichzeitig der Handlung zu folgen. Auch beim Lügendetektor brauchte ich einige Zeit, um diesen schnell mit dem Geschehen zu verknüpfen, um zu verstehen, welche Aussage genau eine Lüge war. Für eine Eventserie wie „Pregau“ nehme ich das Angebot dieser App gerne an (auch weil deren Verwendung die Serie noch mehr zum Event hochstilisiert und das Spaß macht), bei jeder Serie muss das aber nicht der Fall sein.

Exposition und andere Probleme

Das Konzept der App ist super, sie funktioniert halt nicht immer sehr gut – das gleiche könnte man über „Pregau“ selbst auch behaupten. Negativ fallen beispielsweise die Dialoge auf, die an manchen Stellen fürchterlich aufgesetzt wirken. Wie das bei sage und schreibe fünf Redakteurinnen und Redakteuren  von ORF und ARD der Fall sein kann, ist mir gänzlich schleierhaft – eine anständige Qualitätskontrolle hat jedenfalls offensichtlich gefehlt. Auffällig sind beispielsweise diverse Informationsdoppelungen innerhalb der gleichen Szene – etwa als Rosa erwähnt, sie habe keinen Führerschein und sei minderjährig, kurz nachdem Hannes das schon erwähnt hatte.

Das kann man vielleicht noch verschmerzen – dass Willbrandt Probleme damit zu haben scheint, Exposition authentisch in die Dialoge zu betten, allerdings nicht. Beim Voice-Over zu Beginn kann man nochmal ein Auge zudrücken, immerhin macht dessen Blick in die Zukunft Lust auf mehr. Schon bald stellt sich allerdings heraus, dass die Serie expositionslastig bleibt: Immer wieder tauchen Zeilen wie „Wir freuen uns so, dass wir wieder da sind“ oder „Wir sind eine glückliche Familie“ auf, wo die Figuren ihren Gedanken offenkundig freien Lauf lassen, und zwar auf eine Art, wie man es im Alltag einfach nicht macht – und die für den Zuseher langweilig ist. Noch unauthentischer: Rosas pre- respektive post-orale Beteuerungen „Ich weiß, dass es dir gefallen wird“ und „Das is doch ganz normal in meinem Alter“. Auch wie uns die ganze Hintergrundgeschichte von Frau Hölzls Tod (im LKW der Hartmanns!) mitgeteilt wird, ist nicht gerade große Drehbuchkunst.

Ein weiteres Problem: Die Langeweile im Neben-Handlungsstrang um die mafiösen Machenschaften der Hartmanns und von deren Handlangern. Einerseits sind die Handlanger zu langweilige Charaktere – über die haben wir so gut wie nichts erfahren, warum sollten wir uns also um deren Schicksale kümmern. Andererseits bietet das Drehbuch ihnen keine Konflikte, die auch nur irgendwie Spannung erzeugen könnten – okay, Sergej (ohne App würde ich seinen Namen nicht wissen) lässt einmal den Leichnam fallen, aber selbst da laufen sie nicht wirklich Gefahr, entdeckt zu werden. Auch beim Entsorgen des Autos ist die Rechnung einfach: kein Problem, kein Konflikt, keine Spannung. Man kann argumentieren, dass es sich dabei um Setup für die weiteren Folgen handelt – aber auch dieses Setup sollte und könnte spannend sein, noch dazu, wo doch etwa die Beseitigung einer Leiche ein ideales Material dafür sein sollte.

Was in Pregau passiert bleibt auch in Pregau. Foto: ORF/Mona Film/Petro Domenigg.
Was in Pregau passiert, bleibt auch in Pregau. Foto: ORF/Mona Film/Petro Domenigg.

Das ist nicht nur schade, weil ich mir für „Pregau – Kein Weg zurück“ schon allein aus Prinzip einen stärkeren Start erhofft hatte, sondern auch, weil die eigentliche Geschichte ja spannend wäre. „Pregau“ strotzt nur so vor Konflikten, vor den Spuren, die zu Hannes‘ Geheimnis führen, bis hin zu den außerehelichen, aber dennoch innerfamiliären Liebschaften (wobei ich nicht ganz verstehe, was Maria an Nikolaus so anziehend finden soll, die Figuren bauen keine rechte Chemie auf, sexueller Frust hin oder her).  Warum saß Rosa am Steuer – oder tat sie das gar nicht? Wohin wird die Verbitterung der Hölzls noch führen? Und was hat Sebastian mit Dirrmeyer vor? Abschalten ist trotz der Schwächen schwierig.

Hokuspokus

Die Episode endet mystisch, indem Sandra eine unheilvolle Prophezeiung ausspricht und von einer unnatürlich hellen Flamme erhellt und dann ins Koma gesandt wird. Prinzipiell bin ich begeistert von der Idee, eine übersinnliche Komponente in der Serie vorzufinden – davon gibt’s im deutschsprachigen Fernsehraum zu selten was zu sehen. Sie ist ja nicht die einzige, die mit dem Feuer spielt – auch Hölzl senior erwähnte das in seiner Rede. Der superbe Trailer von „Pregau“ verrät, dass wir das vielleicht auch zu Gesicht bekommen werden… das ist verheißungsvoll. Trotzdem ist allerdings die letzte Szene von „Der Fehler“ exemplarisch für die ganze Folge: cooles Konzept, an dessen Umsetzung es mangelt. Charaktere könnten origineller sein, und die Atmosphäre ist nicht allzu dicht. Da wäre mehr drin gewesen.

Die Besprechung von Episode 2 „Die Lügen“ findet ihr HIER.

„Pregau – Kein Weg zurück“ läuft am 26., 27. und 30. September sowie 4. Oktober auf ORFeins. Danach sind die Folgen jeweils eine Woche in der TV-Thek verfügbar. Die Ausstrahlung im deutschen Fernsehen ist für Ende des Jahres angekündigt.

5 comments

  1. Gibt des denn zu Weihnachtsen nichts Besseres aus PREGAU???
    Ist es nötig, in einer Welt aus Blut, Angst und Verbrechen ausgerechnet zu den schönsten Tagen im Jahr auch noch so ETWAS zu bringen?
    Denkt denn gar niemand mehr nach – und überhaupt: selbst als Film ist das meiste für mich unglaubwürdig gespielt und ……. den Rest erspare ich mir.
    Es wird höchste Zeit, das mal jemand mit Sinn für Sernsehfilme das Programm der ARD aufmischt!

  2. Zu Mörderisches Tal.: Ich bin von Anfang an gefesselt, was vielleicht im wahren Leben nicht so oder so stattfinden würde oder Dialoge teilweise übertrieben wirken…………, nun das muss man nicht so eng sehen, aber ich bin auch der Meinung, dass die beiden, jetzt habe ich die Namen nicht, älteren Darsteller in ihrer Rolle nicht aussagekräftig genug dargestellt werden, sie wirken langweilig auf mich, nicht die Darsteller, sondern in dem, was sie in der Rolle vermitteln sollen, auch, was den Tod er Frau Hölzl angeht, darüber wurde der Zuschauer zu wenig informiert, tolle Darsteller, ganz besonders hervorzuheben Maximilian Brückner, der den Polizisten spielt, einfach toll, wie er sich in die Person hineinversetzen kann, auch Ursula Strauss wirkt sehr authentisch, bin schon gespannt, wie es weiter geht,
    Angelika

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