Wenn man merkt, dass man 20 Jahre zu alt für die Zielgruppe ist: „Türkisch für Anfänger“ – Der Film

Rauchen die Friedenspfeife: Lena (Josefine Preuß) und Cem (Elya M'Barek)

Die Serie war vor ein paar Jahren ein Riesenerfolg für die ARD. Nun kommt „Türkisch für Anfänger“ auf die Kinoleinwände – und erzählt die ungewöhnliche Familiengeschichte um Lena, Cem und ihre Eltern noch mal von vorne. Wer über 20 ist, wird sich dabei ganz schön alt vorkommen. Ein surrealer Abend bei der Vorpremiere in Essen.

Von Marcus Kirzynowski

Als die Serie 2006 im gebeutelten Vorabendprogramm des Ersten startete, traute man seinen Augen – und vor allem seinen Ohren – kaum: eine deutsche Sitcom, die nicht nur ein gesellschaftlich relevantes Thema auf freche, respektlose Art anging, sondern auch noch richtig witzig war. So etwas hatte es bei den Öffentlich-Rechtlichen noch nicht gegeben. Vor allem hatte die ARD es geschafft, endlich einmal den Nerv der umworbenen jugendlichen Zielgruppe zu treffen – Lena, Cem & Co. waren schon bald Kult und blieben es drei Staffeln lang. Drei Jahre war es danach ziemlich ruhig um die Marke; nun versuchen die Macher, mit einem Kinofilm an den Erfolg anzuknüpfen. Als einigermaßen gewagt dürfte dabei der Ansatz gelten, keine Fortsetzung ins Kino zu bringen, sondern ein Reboot mit denselben Schauspielern in den gleichen Rollen.

Vor dem offiziellen Deutschlandstart hat die Constantin zu einer Vorpremierentour geladen: 29 Städte in neun Tagen müssen die beiden Hauptdarsteller und Drehbuchautor Bora Dagtekin, der mit dem Film auch sein Regiedebüt vorlegt, absolvieren. Und das heißt wohl, wie der Pressebesucher am Montagabend im Essener Cinemaxx feststellen konnte, 29 Mal gefüllte Kinosäle voll kreischender Teenagerinnen mit anschließendem Foto- und Autogrammtermin – das Leben als Filmstar ist auch nicht einfach.

Mir war bisher echt nicht klar, dass „Türkisch für Anfänger“ so ein Jugend- und Mädchending ist. Als die Serie startete, war ich schließlich schon über 30 und fühlte mich ebenso bestens unterhalten wie die ganzen Kritiker, die sie mit Grimme- und Deutschen Fernsehpreisen überhäuften. Im TV standen die Problemchen der ehemals alleinerziehenden Eltern Doris und Metin ja auch (fast) gleichberechtigt neben den Herz-Schmerz-Geschichten ihrer pubertierenden Kinder. Und die besten Teenagerserien sprechen ja sowieso immer alle Altersgruppen an, wie „Freaks and Geeks“ oder „Skins“ beweisen. Kam man jetzt vor der Vorpremiere in den Cinemaxx-Saal 5, fühlte man sich als Mann, der die Schule schon länger hinter sich hat, aber doch etwas fehl am Platz. Gefühlter Altersdurchschnitt: 17, gefühlter Frauenanteil: 80 Prozent. Deshalb war der Film am Tag vorher in Köln wohl auch schon für die „Ladies‘ Night“ angekündigt, wobei „Girls‘ Night“ sicher passender wäre.

Der Film beginnt dann zunächst in vertrauten Gefilden: Lena Schneider leidet unter ihrer überdreht-alternativen Hippiemutter Doris – und außerdem an sich selbst und der ganzen Welt. Anders als in der Serie präsentiert die ihrer Tochter aber keinen türkischen Lebenspartner, stattdessen lernen die Schneiders den Polizeibeamten Metin Öztürk und seine beiden Kinder Cem und Yagmur gemeinsam auf dem Weg zum Flughafen kennen. Von Liebe auf den ersten Blick kann man diesmal sicher bei keinem der Beteiligten sprechen. Nach gegenseitigem Anzicken im Flieger stürzt selbiger ab und Lena findet sich plötzlich mit dem Öztürk-Nachwuchs plus dem Griechen Costa auf einer einsamen Insel in der Südsee wieder. Macho Cem übernimmt gleich das Kommando, was der emanzipierten Lena tierisch auf die Nerven geht – wenn sie sein animalisches Auftreten doch bloß nicht so sexy fände. Währenddessen warten Doris und Metin gemeinsam in der Hotelanlage auf die Rettung ihrer Kinder – und kommen sich dabei langsam näher.

Ist sich im Gegensatz zum Rezensenten ihres Alters nicht bewusst: Doris Schneider (Anna Stieblich) präsentiert Metin Öztürk (Adnan Maral) jugendliche Bademode; Fotos: © 2011 Constantin Film Verleih GmbH / Thanaporn Arkmanon

Klingt alles, wie schon mal gesehen. Und das ist es ja auch, wenn man die Serie kennt. Nur, dass alles, was sich dort langsam und einigermaßen glaubwürdig entwickelte, hier innerhalb von 90 Minuten abgefrühstückt werden muss – was das Ganze nicht gerade realistischer macht. Außerdem ist das hier ja Kino, deshalb reicht das beschränkte Sitcom-Setting aus dem TV nicht aus, weswegen neben einem exotischen Schauplatz auch einige mehr oder weniger rasante Actionszenen eingebaut wurden. Wahre Spannung kommt dabei aber nie auf, dazu sind die Gefahren zu harmlos und letztlich ist auch von Anfang klar, dass alles auf ein großes Happy End hinauslaufen wird. Die Gags wirkten auf mich überwiegend flacher als im TV, was aber auch daran liegen kann, dass ich mich wunderte, worüber diese ganzen Teenies ständig lachen. Die Erwartungen der Zielgruppe hat der Film jedenfalls voll erfüllt. Er ist wohl das, was SchülerInnen für eine gelungene Romantic Comedy halten.

Vom hintergründigen und auch sozialkritischen Esprit der Vorlage hat es bei der Adaption leider nicht viel auf die Leinwand geschafft. Ab und zu gibt es mal einen netten Drehbucheinfall wie Lenas erotischen Traum, in dem sie und Cem als Gudrun Ensslin und Andreas Baader übereinander herfallen. Und immerhin darf Lena „Anna Karenina“ lesen. Sonst ist von ihrem Feminismus aber nicht allzu viel geblieben, muss sie doch innerhalb einer Spielfilmlänge all ihre Bedenken über den Haufen und sich dem Obermacho an den Hals werfen. Die Beziehung zwischen den Elternteilen verkommt unterdessen eher zur Nebenhandlung.

Generell krankt der Film aber am meisten daran, dass er alles auf Anfang dreht und den lieb gewonnenen Figuren damit einfach nicht gerecht werden kann. Das beginnt schon damit, dass Josefine Preuß inzwischen gute sieben Jahre Jahre zu alt für die Rolle der Teenagerin ist. Und hört nicht damit auf, dass man alle Beziehungsstadien, die sich entfalten, in der Serie schon mal glaubwürdiger gesehen hat. Außerdem ist die Südsee nicht Kreuzberg, weswegen von dem sozialen Realismus, der die Show trotz aller Sitcom-typischen Zuspitzung immer auszeichnete, so gut wie nichts mehr übrig bleibt.

Statt kritischer Fragen gab es nach dem Film im Cinemaxx allerdings nur bedingungslose Begeisterungsbekundungen. Spätestens als Cem-Darsteller Elyas M’Barek auf die Bühne kam, war kein Halten mehr: ein Meer von Smartphones, Kreischen und Fragen à la „Wo schläfst du heute?“. Die Äußerungen von Filmemacher Dagtekin beschränkten sich auf die Aufforderung, doch bitte alle die „TfA“-Fanpage zu „liken“. Wenn nichts dazwischen kommt – und was sollte schon -, wird „Türkisch für Anfänger“ wohl auch im Kino ein Riesenhit bei den 14- bis 20-Jährigen. Wer schon etwas älter ist, sollte sich aber vielleicht besser nochmal die Serie auf DVD angucken. Und darauf hoffen, dass die am Ende des Films doch wieder vereinte Familie Öztürk-Schneider ihr nächstes Kinoabenteuer wieder im Kreuzberger Alltag erleben darf.

„Türkisch für Anfänger“ läuft ab Donnerstag, 15. März in den deutschen Kinos.

3 comments

  1. Das hört sich alles sehr surreal an. Danke für die Warnung. Ich hatte kurz erwogen, mir den Film vielleicht im Kino anzusehen, das werde ich nun sicher nicht mehr tun. (Eher wegen des zu erwartenden Publikums als wegen des Inhaltes.)

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