Nach langem Warten und vielen Vorschusslorbeeren feierte die teuerste deutsche Serie aller Zeiten gestern Kinopremiere beim Film Festival Cologne. Programmleiter, Redakteure und Beteiligte überboten sich gegenseitig mit Superlativen. Aber wie gut ist die ARD/Sky-Koproduktion nun wirklich?
Es war eine schwere Geburt, bis „Babylon Berlin“ jetzt endlich das Licht der Welt – zunächst des Kinoprojektors im Kölner Filmpalast – erblickte: Bereits 2011 habe Tom Tykwer, einer der drei Serienschöpfer, -autoren und -regisseure, am Rande der Cologne Conference laut darüber nachgedacht, mit „diesen deutschen Serien müsse jetzt mal was passieren“, erinnerte sich Petra Müller, die Chefin der Film- und Medienstiftung NRW, in ihrer Rede. Zwei Jahre später hätten ihr dann die Inhaber der Produktionsfirma X-Filme, zu denen auch Tykwer gehört, in ihren Räumen ein Modell einer Berliner Straße aus den 1920er Jahren gezeigt, wie sie in der Serie auftauchen sollte. 4 1/2 Jahre Arbeit später sind 16 Folgen à 45 Minuten fertig, die in zwei Staffeln zuerst bei Sky und jeweils ein Jahr später im Ersten zu sehen sein sollen. Knapp zwei Wochen vor der TV-Premiere hatten einige Hundert Zuschauer im annähernd ausverkauften Kölner Kinosaal die Gelegenheit, bereits bis zu sechs Folgen am Stück zu sehen, unterbrochen von einem Podiumsgespräch mit den Machern und den beiden Hauptdarstellern.
„Babylon Berlin“ war von Anfang an ein Projekt der Superlative: Die bisher teuerste deutsche Serie mit rund 38 Millionen Euro Produktionsbudget, die erste Zusammenarbeit eines Pay-TV-Senders mit dem öffentlich-rechtlichen System, einer von Deutschlands auch international bekanntesten Regisseuren, der sich die Arbeit an den Drehbüchern wie auf dem Regiestuhl mit zwei Kollegen teilte, und als Thema ein großer zeitgeschichtlicher Aufriss, ein Gesellschaftspanorama der ausgehenden 20er Jahre in Berlin, als die erste deutsche Demokratie schon unaufhaltsam auf ihren Untergang zusteuerte. Was damals aber natürlich noch niemand ahnte. Auch nicht die Figuren um den Kölner Kriminalkommissar Gereon Rath (Volker Bruch), der neu in die Reichshauptstadt kommt, um einen politischen Skandal in seiner Heimatstadt zu verhindern. „Man kann als Autor ja sein eigenes historisches Wissen über das, was danach passiert ist, nicht abschalten“, erklärte Tykwer. „Man kann dieses Unwissen der Zeitgenossen nur simulieren, indem man zum Beispiel Filme aus der Zeit guckt.“ „Berlin – Die Synfonie der Großstadt“ sowie Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ seien wichtige Inspirationsquellen gewesen. In dieser wilden, ereignisreichen Zeit habe es kein Bewusstsein dafür gegeben, welche Katastrophe wenige Jahre später wartete. Hitler hätten die Meisten damals einfach nicht ernst genommen. Entsprechend falle der Name in der ganzen Serie nur ein einziges Mal, in der sechsten Folge.
Die Geburtstunde der Moderne und Bezüge zur Gegenwart
Tykwers Regiekollege Achim von Borries („Was nützt die Liebe in Gedanken“) sieht große Parallelen zu den unsicherer gewordenen Zeiten von heute, in denen wieder das Auseinanderbrechen Europas drohe und Wirrköpfe wie Donald Trump an der Macht sind. „Unsere Wesensverwandtschaft zu den 20ern ist viel größer als etwa zu den 50ern.“ Die 1920er seien die Geburtstunde der Moderne gewesen. Die aktuellen Bezüge hätten sich aber während der langen Arbeit an der Serie geändert: Zu Beginn sei das noch eher die Finanzkrise gewesen, die an die Weltwirtschaftskrise von damals erinnerte, in den letzten paar Jahren wurden andere Themen der Weimarer Republik (wie Fremdenhass und gesellschaftliche Spaltung) wieder virulenter.
Nur Lob gab es von Produzenten und Redakteuren für die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen den TV-Systemen sowie den anderen Partnern wie Degeto, Beta Film und der Filmstiftung. „Da kamen diese Riesenbosse der TV-Konzerne zusammen, setzten sich an einen Tisch und besprachen einfach die Drehbücher“, schwärmte etwa X-Filme-Mitinhaber Stefan Arndt. „Es gab keine unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Sky und dem WDR“, sagte Gebhard Henke, Serienchef der Kölner Sendeanstalt. „Ich habe eine so konstruktive Zusammenarbeit noch nie erlebt.“ Herausgekommen sei dabei eine „wunderschöne Geschichte, ein Kinofilm, der über 12 Stunden geht“, so Arndt. „Die Sender haben inzwischen verstanden, dass das Publikum nicht mehr ganz so doof ist, dass in jeder Folge ein Problem eingeführt und nach einer Stunde gelöst sein muss.“
Ungewöhnlich sorgfältig war wohl auch die Vorbereitung der Dreharbeiten selbst. So hätten die drei kreativen Köpfe, zu denen neben Tykwer und von Borries noch Henk Handloegten („Liegen lernen“) gehört, jede Szene zusammen entwickelt, indem jeder die Entwürfe der anderen überarbeitet hätte. Deshalb habe der Schreibprozess insgesamt mehr als zwei Jahre gedauert. Auch Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries lobte die langen Proben, ebenso wie ihr Kollege Volker Bruch. Der sagte: „Wir haben drei Monate lang mit den anderen Schauspielern an allen Szenen rumdekliniert.“
Ohne Kommissare und Ermittlungen geht es nicht
Tatsächlich wirken die Auftaktfolgen sehr sorgfältig und handwerklich gut inszeniert. Selbst eine Totale des Alexanderplatzes von halb oben wirkt absolut authentisch, als sei die Aufnahme wirklich 1929 entstanden. Bildgestaltung und Schnitt haben nichts vom behäbigen Stil vieler deutscher TV-Produktionen, auch die Musik sticht positiv hervor. Inhaltlich kommt die Serie jedoch eher schwer in Gang. Warum man sich nun für diesen jungen Kommissar, der offensichtlich irgendein dunkles Geheimnis verbirgt, oder dessen misstrauischen Kollegen interessieren soll, wird nicht so recht klar. Von den zahlreichen Figuren wirkt einzig Fries‘ Charlotte Ritter von Anfang an faszinierend. Trotz einer recht spektakulären Actionszene gleich zu Beginn bewegt sich der Pilot zu lange in konventionellen Bahnen, mit zwei Kommissaren, die einen Pornoring aushebeln wollen. „Wie im ‚Tatort'“, so die Reaktion eines Zuschauers nach Vorführung der ersten 90 Minuten.
An Fahrt gewinnt „Babylon Berlin“ erst nach etwa 70 Minuten, mit einer langen Szene in einem verruchten Nachtclub, in dem die jungen Leute beim Tanzen zu einer Gesangsperformance einer als Mann verkleideten russischen Sängerin, die von fast nackten Tänzerinnen in Bananenröckchen begleitet wird, für einige Stunden ihren harten Alltag vergessen wollen. Darauf folgt eine großartige Parallelmontage aus dem dekadenten Geschehen in den Kellergewölben des Clubs, wo reiche Besucher ihren sadomasochistischen Leidenschaften frönen, und der brutalen Aushebelung einer trotzkistischen Gruppe durch sowjetische Geheimdienstler in einer Druckerei. Der ganze Wahnsinn der gesellschaftlichen Gegensätze im Berlin jener Zeit wird hier völlig ohne Dialoge rübergebracht, in einer Montage, die an die Staffelfinale großer US-Serien erinnert. Davon würde man gerne mehr sehen, weniger von den Handlungssträngen davor, die meist doch wie ein normaler deutscher TV-Krimi/-Thriller erzählt werden.
Spannend wird es sein, im nächsten Herbst zu sehen, ob das Ganze den typischen ARD-Zuschauern dann nicht doch schon wieder zu gewagt sein wird.
„Babylon Berlin“ läuft ab dem 13. Oktober, jeweils freitags ab 20 Uhr 15 in Doppelfolgen auf Sky1.
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