Die lang erwartete zweite Staffel der ARD-Serie „Weissensee“ läuft diese Woche endlich im Fernsehen an. Hinter den Kulissen gab es anscheinend kreative Differenzen über die Fortführung der erfolgreichen Geschichte. torrent hatte bereits Anfang des Jahres Gelegenheit, die neuen Folgen auf der Berlinale zu sehen und begab sich anschließend auf Spurensuche bei den Serienverantwortlichen.
Von Jens Prausnitz
Kaum schafft eine Serie mal den Spagat zwischen Qualität und Quote, macht tatsächlich alles richtig, da schafft man sich zur Not die Probleme eben selbst. Ein halbes Jahr vor der TV-Ausstrahlung, die ursprünglich bereits für den vergangenen Herbst angekündigt war, erschien am 15. März die zweite Staffel von „Weissensee“ auf DVD. Die Produzentin Regina Ziegler musste sich gegen Vorwürfe des sächsischen Medienpolitikers und Chefs der Staatskanzlei, Johannes Beermann (CDU), wehren, dem die vor der TV-Ausstrahlung liegende DVD-Auswertung ein Dorn im Auge war.
Eine Kritik, die bei Volker Herres, Programmdirektor der ARD, angebrachter gewesen wäre, denn da Ziegler Film die Serie teilweise aus eigenen Mitteln produziert hat, ist sie auf den einigermaßen zeitnahen Rückfluss der Ausgaben angewiesen. Dass die bereits im Herbst 2011 abgedrehte Staffel von der ARD auf den September 2013 verschoben wurde, liegt schließlich nicht in Zieglers Verantwortung. Außerdem beinhaltet der vorgezogene Verkaufsstart einen PR-Effekt, den man für Geld nicht kaufen kann: Mund-zu-Mund-Propaganda der treuen Fans, die der ARD Rekordquoten bescheren dürfte. Spätestens dann wird auch der eine oder andere Medienpolitiker eines Besseren belehrt worden sein.
Begegnung mit der Autorin in Berlin
Auf einer Presseveranstaltung am Rosenmontag im Rahmen der Berlinale hatte das Warten für Fans und Journalisten gleichermaßen ein Ende. Annette Hess, die Schöpferin der Serie, betonte im torrent-Interview noch einmal den Mut der ARD, „Weissensee“ überhaupt auf dem Seriensendeplatz am Dienstagabend platziert zu haben – ein Mut, der auch mit der Erschließung verloren geglaubten jüngeren Publikums belohnt wurde.
Annette Hess: Das waren längere Diskussionen, auf welchem Sendeplatz das ausgestrahlt werden sollte. Natürlich gab es Überlegungen, ob wir einen Dreiteiler daraus machen, jeweils neunzig Minuten lang. Dann habe ich aber immer betont, dass ich „Weissensee“ als Serie sehe, weil sie als solche eine ganz andere Aufmerksamkeit bekäme, als der hunderttausendste Event-Dreiteiler.
torrent: Wie stehen Sie zur Verschiebung der Ausstrahlung?
Annette Hess: Das war in den letzten zwei Jahren schon eine Standardfrage an mich: “Die Fortsetzung von „Weissensee“, wann kommt’n das endlich?”. Zum Beispiel auf Veranstaltungen standen aber immer mindestens zwei dabei, die fragten: “Wie, „Weissensee“? Was is’n das?” (lacht) Dadurch haben wir jetzt eine Wahnsinnswerbung gehabt. Also, ich sehe die Verzögerung inzwischen eher positiv, vor allem ist es ja jetzt nicht mehr so lange hin.
Ausblick auf die zweite Staffel [Milde Spoiler]
Wir schreiben das Jahr 1987, etwa sechs Jahre sind seit dem offenen Ende der ersten Staffel vergangen, als sich Martin Kupfer (Florian Lukas) und Julia Hausmann (Hannah Herzsprung) gemeinsam dazu entschlossen, mit einem West-Journalisten zu sprechen, dabei aber von einem Stasi-Mann beobachtet und fotografiert wurden. Die Warnung von Martin aus der letzten Folge von Staffel 1, “Sie werden dich festnehmen. Und dann werden sie dir unser Kind wegnehmen!”, schwebt noch unheilvoll in der Luft. Julia sitzt seither im Gefängnis, ihr gemeinsames Kind ist bei der Geburt gestorben. Vergeblich bemüht Martin sich um Kontakt zu Julia, und als er einen angeblichen Brief von ihr aus dem Westen bekommt, ist er entschlossen, ihr auch dorthin zu folgen. Hans Kupfer (Uwe Kokisch) begegnen wir an der Stasi-Hochschule wieder, wo er den Nachwuchs auf seine Interpretation des Sozialismus einschwört, eine, in der es ein Zeichen von Stärke ist, Kritik von der Bevölkerung aufzunehmen und umzusetzen. Dunja Hausmann (Katrin Sass) lässt sich unterdessen von Hans‘ zweitem Sohn Falk (Jörg Hartmann) weiter als IM ausnutzen, um ihrer Tochter Hafterleichterungen zu ermöglichen, und zerbricht zunehmend an diesem Spagat.
Falks Gattin Vera (Anna Loos) arbeitet nicht mehr als Lehrerin, sondern als Erzieherin in einer Kita. Ihre dortige Kollegin und deren Bruder, ein evangelischer Pastor (Ronald Zehrfeld, der langsam Gefahr läuft, auf die Rolle des sympathischen Ostdeutschen festgenagelt zu werden) sind dann auch die größte Neuerung. In deren Gesellschaft blüht Vera zunehmend auf und kommt über sie mit oppositionellen Kräften in Berührung. Falk konzentriert sich familiär hingegen ganz auf seinen Sohn Roman, der in Karl-Marx-Stadt im Leistungssport-Kader der DDR aufgenommen wurde, während er mit Vera eine Eheberatung aufsucht. Daraus ergeben sich einige sehr schöne Szenen, denn Falk droht hier, für ihn ungewohnt, die Gesprächs- und Deutungshoheit zu verlieren. Beruflich setzt er weiter auf hartes Durchgreifen, um Proteste bereits im Keim zu ersticken.
Und die von Ruth Reinecke dargestellte Marlene Kupfer? Sie ist immer noch die Mutter, die nie weiß, wer noch mit ihr am Tisch sitzen wird, obwohl sie alles tut, um die Familie mit Unmengen an Rührei und Petersilie zusammenzuhalten. Sie ist die vielleicht tragischste Figur im Ensemble, die meist alleine zuhause im Auge des Orkans sitzt; das Bild, zu dem die Serie immer wieder zurückkehrt: der sich langsam, aber zunehmend leerende Esstisch der Villa am Weißensee. Mama Marlene trauert dort der Vergangenheit eines Familienfotos nach, auf dem noch alle gemeinsam, glücklich in die Kamera lächelnd, beisammen standen.
Autorin schreibt bereits an der Fortsetzung
Auch lieb gewonnene Nebenfiguren, wie Martins ehemaliger Polizeikollege Peter Görlitz (Stephan Grossmann), tauchen wieder auf, mit dem zusammen Martin jetzt gar in der unterhaltsamsten WG seit Jack Lemmon und Walther Matthau im Plattenbau lebt. Von solcherlei beiläufig eingestreutem DDR-Alltag lebt die Atmosphäre von „Weissensee“, dem es in der ersten Staffel über weite Strecken gelang, das Politische eben nicht in der Vordergrund zu rücken, sondern emotional nah an den Figuren zu bleiben und von ihren kleinen und großen Problemen zu erzählen. Anfangs gelingt das auch der Fortsetzung, ehe es zu einer Zäsur kommt, die niemand hat kommen sehen. Danach ist nichts mehr, wie es war, und die zuvor wunderbar austarierte Serie gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht. Dennoch ist sie bis zum Ende spannend erzählt, und man freut sich auf die dritte Staffel, an deren Büchern Annette Hess bereits zu schreiben begonnen hat:
Annette Hess: Die Geschichte setzt direkt mit dem Mauerfall ein, am 9. November. Erzählt werden dann die folgenden zwei Monate. Das ist so eine aufregende Zeit gewesen, weil niemand wusste, wo das alles hinführt. In den Eventfilmen kennt man das oft so: Alles läuft auf die Maueröffnung hin, „Boom!“, und am Ende ist die Bornholmer Brücke auf. Der Prinz kriegt die Prinzessin und alles ist gut. Jetzt mal zu gucken, was direkt danach eigentlich genau los war, ist ja auch politisch wieder ganz aktuell; zum Beispiel in Ägypten und beim „arabischen Frühling“ – die Revolution ist ja gar nicht der Knall selbst, sondern das, was danach kommt, was daraus entsteht.
Ein deutscher Walter White?
Aus der wieder sehr starken Leistung des ganzen Schauspiel-Ensembles stach für mich in den neuen Folgen besonders das Spiel von Anna Loos heraus, deren Vera mehr als einmal geprüft wird und selbst bald am wenigsten weiß, wo sie eigentlich hin gehört. Sicher profitiert sie hier von den im Buch angelegten Konflikten, die sich aber stärker in ihren Gesichtszügen niederschlagen als im gesprochenen Wort. Da sieht man gerne zu und leidet mit. Jörg Hartmann knüpft als Falk genau dort an, wofür er bereits den deutschen Fernsehpreis erhielt: Seine Figur hätte wirklich das Zeug dazu, ein deutscher Walter White zu werden – er mag zwar nicht mit Drogen handeln, aber wie er alle Menschen um sich herum und sich selbst belügt und manipuliert, ist nicht weit von jenem ehemaligen Chemielehrer entfernt. Denn Funken von Menschlichkeit und (Selbst-)Zweifeln bleiben stets sichtbar, was diese Figur eben so faszinierend zu beobachten macht. Leider gibt es noch eine weitere Ähnlichkeit zu „Breaking Bad“: Das behinderte Kind von Veras Arbeitskollegin wirkt wie ein Abziehbild von Walter White jr. – und die Szene, in der Mutter und Onkel ihn singend in einem Bollerwagen durch die Straße ziehen, während er auf Konservendosen trommelt, dürfte der an Peinlichkeit und unfreiwilliger Komik nicht zu überbietende Kopfschüttelmoment der Staffel sein.
Dennoch war ich froh, bis zum Ende der Veranstaltung in Berlin geblieben zu sein, allein schon um Zeuge zu werden, wie Hans-Kupfer-Darsteller Uwe Kockisch seinen Filmsohn Jörg Hartmann nach der Premiere umarmte. Ich kam nicht umhin zu denken, hätte der Filmvater das doch einmal früher in der Serie getan, und die ganze Geschichte wäre vielleicht anders verlaufen…
Ungereimtheiten
Zuhause angekommen, las ich der Vollständigkeit halber den Pressetext durch, welchen man uns zur Begrüßung in die Hand gedrückt hatte, und mir fiel auf, dass die Zusammenfassungen der Folgen nicht mit dem übereinstimmten, was ich während der Premiere gesehen hatte. Also griff ich zur Presse-DVD, aus der mir gleich eine hochglänzende Werbekarte entgegen purzelte: die Ankündigung des Debütalbums von Katrin Sass, „mit den Liedern aus der TV-Serie ‚Weissensee‘“. Wer braucht denn heute noch diese „mutigen“ Protestlieder – aus der sicheren Distanz von 30 Jahren eingesungen? Dem würde ich sogar Wolf Biermann – digitally remastered – vorziehen. Eher küsse ich einen Regenwurm, als mir das unsägliche Betroffenheitsgeleier noch ein weiteres Mal anhören zu müssen. Glücklicherweise kann ich jetzt vorspulen – auch das ein eindeutiger Kaufanreiz für die DVD.
Beim nochmaligen Sehen bestätigt sich der Verdacht: Die Pressetexte weichen von dem ab, was in den Folgen zu sehen ist. Allein durch geschnittene Szenen ist das nicht begründbar. Ich hatte auf der Veranstaltung ein Gespräch zwischen Jörg Hartmann und zwei mir unbekannten Damen aufgeschnappt, in der es um eine tolle entfallene Szene ging und ob man diese nicht auf die DVDs hätte brennen können. Können schon, hat man aber nicht. Leider, ich suche vergeblich danach. Die Cutterin Annemarie Bremer hatte ich noch bei einem Kaffee auf Kürzungen hin befragt, die betrafen wohl vor allem die Länge der vorgetragenen Lieder, ansonsten aber blieben sie im Rahmen des Üblichen. Aber wieso wurden denn die Lieder überhaupt alle ganz aufgezeichnet? Ach so ja, man ahnt es. Aber es gibt schwerwiegendere Ungereimtheiten:
– In der Stabsliste sind unter Buch neben Annette Hess diesmal auch der Regisseur Friedemann Fromm sowie zwei weitere Autoren aufgeführt. Das macht stutzig und jetzt fällt mir auf, dass es im Vorspann stets geheißen hat: „Nach einer Idee von Annette Hess“, und beim Buch-Credit stand ihr Name dann gar nicht. Ja, was denn nun?
– Schon das erste Bild des Vorspanns bleibt ein uneingelöstes Versprechen: Martin Kupfer und Julia Hausmann liegen Arm in Arm auf einer auf dem Wasser treibenden Luftmatratze. Eine Einstellung, die uns die Serie schuldig bleiben wird; alle anderen Bilder des Vorspanns kann man am Ende zuordnen, wie schon von der ersten Staffel gewohnt. Dass gerade dieses Bild nie auftaucht, ist tragisch, weil das Liebespaar hier seinen – wenn auch schwankenden – Platz in der Welt wenigstens für diesen einen Moment gefunden hat.
– In der ersten Staffel wurde Zeitgeschehen subtil und mit unaufdringlicher Eleganz eingebaut. Wenn zum Beispiel aus einem Fernseher die Nachricht vom Oktoberfest-Attentat 1980 zu hören war und es keine Rolle spielte, ob es die „Tagesschau“ oder die „Aktuelle Kamera“ war, die darüber berichtete. Niemand kommentierte die Nachrichten politisch, keiner Figur wurde ein „pädagogisch wertvoller Interpretationsansatz“ in den Mund gelegt. Terroranschläge gab es in der DDR nicht, und Häme gegen den Westen hatte ein überzeugter Sozialist wie Hans Kupfer gar nicht nötig. Solche Details zeichnen die Handschrift einer Autorin aus, bei der es mindestens genauso interessant ist, was nicht im Buch steht.
Der Teufel liegt in den Details
Anders sieht es mit zunehmender Tendenz in der zweiten Staffel aus. Dieses Mal wird dem Zuschauer vorgegauckelt, die Berichterstattung im Westen über eine unangemeldete Demonstration in der DDR hätte dort bereits massiven Druck auf die Behörden ausgeübt. Natürlich ist das eine für die ARD (deren Teams vom NDR und SFB in der betreffenden Szene zufällig gleichzeitig vor Ort waren) schmeichelhafte Interpretation des beginnenden Zerfalls der DDR. Allerdings möchte ich stark bezweifeln, dass es eine Handvoll mit dem Fahrrad im Kreis herumfahrende Demonstranten 1987 ins Westfernsehen geschafft hätten.
Das mag haarspalterisch sein, aber noch in der ersten Folge wird sehr viel spielerischer mit einer Sportübertragung umgegangen, damit, wie unterschiedlich sie wahrgenommen werden kann – beide Male in der DDR, wohlgemerkt. Wie hier gerade keine Schwarz-Weiß-Malerei betrieben wird, lässt das gleiche Fingerspitzengefühl einer Autorin erkennen, der man stellenweise Fäustlinge übergestülpt zu haben scheint, so plump kommt manch andere Szene daher. Oder sie stammen gar nicht von ihr, sondern von Friedemann Fromm, der als einziger im Vorspann jeder Folge unter Buch aufgeführt wird. Haben wir es hier etwa mit einer „freundlichen Übernahme“ zu tun? Es macht eben einen Unterschied, ob das Politische durch das Private durchschimmert und für den Zuschauer zu entdecken bleibt (mutig), oder ob man es plakativ im Dialog um die Ohren gehauen bekommt (traurig).
Dies mögen für viele nur Nuancen sein, aber im Ganzen sind sie eben das, was den Autor ausmacht und nicht nur eine Summe von vernachlässigbaren Details. Alles vielleicht eine Spur kleiner, privater, aber eben auch schöner. Stattdessen ist da nun Görlitz, der brav Ostrock hört, während der kritische Pfarrer selbstverständlich laut(!) die Doors und Ton, Steine, Scherben hört, sich andernorts aber sehr vorsichtig äußert, um nicht aufzufallen. Weitere, zum Teil dramatische Beispiele kann ich nicht nennen, ohne massiv zu spoilern, beträfe es doch unter anderem den Schluss der zweiten Staffel. Kurz: Es bleibt ein äußerst fader Beigeschmack nach der Zweitsichtung zurück.
Rückblende zur ersten Staffel: Damals war allein Annette Hess für die Bücher verantwortlich, wie ich nun in einem Podcast beim Verband Deutscher Drehbuchautoren nachhöre. Ihre Agentin hatte sogar eigens eine PR-Agentur engagiert, um zu unterstreichen, dass diese Serie ihr Baby ist. Auf der Seite kann man auch die Originaldrehbücher nachlesen und über die nahezu 1:1-Umsetzung staunen. Weiter sagt Hess in dem Interview dort, dass sie mit dem Schreiben der Fortsetzung bereits begonnen habe – also genau wie jetzt auch, beide Male noch vor der Ausstrahlung der jeweiligen Staffel, ohne Auftrag. Bei einem Herzensprojekt nachvollziehbar. Normalerweise schreibt die Einzelkämpferin“ (Selbstaussage) Annette Hess allein, wie jüngst erst wieder beim TV-Film „Die Holzbaronin“, und dem Erfolg scheint das nicht gerade zu schaden. Warum also gab es diesmal mehrere Autoren?
Ausweichende Antworten sprechen Bände
Wir begeben uns auf Spurensuche und fragen beim MDR und der Produktion nach, analog zu Martin und Julia in der Serie, denen zunehmend Zweifel an der offiziellen Version des Todes ihres Kindes kommen. Antwort bekommen wir nur von Regina Ziegler und ihrem Mitproduzenten Marc Müller-Kaldenberg, die uns einerseits bestätigten, dass die Zusammenfassungen in der Pressmappe auf dem Originalkonzept von Annette Hess beruhen, die wie schon in der ersten Staffel mindestens die erste Fassung aller Bücher geschrieben habe. Andererseits umschiffen die Produzenten die Beantwortung nach den Gründen der diesmal abweichenden Arbeitsweise und antworten ausweichend: „Aus Zeitgründen hat Friedemann Fromm parallel die Überarbeitungen der Drehbücher übernommen.“ Aus „Zeitgründen“ steht dann Annette Hess wohl auch nicht mehr als Autorin im Vorspann.
Ferner bestätigen sie, dass „nur ganz wenige ganze Szenen“ dem Schnitt zum Opfer gefallen sind; warum diese nicht auf der DVD sind, obwohl sie, folgt man der oben erwähnten Einschätzung des Schauspielers Jörg Hartmann, einen unbestrittenen Mehrwert für die Fans bieten würden, erfahren wir nicht. Das Fazit von Ziegler und Müller-Kaldenberg: „Das Endergebnis der Staffel 2, das sowohl den Autoren, der Redaktion, wie auch uns, den Produzenten, sehr gut gefällt, bestätigt uns darin, auch die dritte Staffel mit Annette Hess und Friedemann Fromm zu entwickeln.“ Vom MDR kam leider keine Stellungnahme zurück, was bedauerlich ist, hätte es doch zur Aufklärung der Situation beitragen können.
Mir schwant, das es hinter den Kulissen darüber, wie die Geschichte weiter erzählt werden sollte, Spannungen gegeben hat, über die nun keiner öffentlich sprechen mag. Es wäre jedoch gerade in Hinblick auf die Fortführung der Serie wünschenswert, wenn sich alle beteiligten Parteien darauf verständigen würden, die bestmögliche Geschichte auf den Bildschirm zu bringen und die richtige Balance aus Mut, Weitsicht und Handwerk wiederherzustellen, die die Serie in der ersten Staffel ausgezeichnet hat, und die in der zweiten droht, verloren zu gehen. Unser frommer Wunsch ist es, dass das Sorgerecht der Geschichte wieder der Person übertragen wird, die sie sich ausgedacht hat: der Autorin – damit die bereits in Auftrag gegebene dritte Staffel nicht weiter zu eben jenem „Event“ und Ausverkauf verkommt, gegen den sie sich von Anfang an verwehrt hat.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen muss endlich wieder Farbe bekennen und Inhalte mit Ecken und Kanten zulassen, die den Bedürfnissen eines anspruchsvoller und kritischer gewordenen Publikums entsprechen. Den Mut, einen zaghaften Schritt in diese Richtung zu unternehmen, hat die ARD mit der ersten Staffel von „Weissensee“ bewiesen, und wurde dafür belohnt. Nun scheint sie aber Angst vor der eigenen Courage zu bekommen und macht lieber wieder zwei Schritte zurück. Was wir jetzt für die dritte Staffel (ebenso wie für weitere Projekte) erwarten, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Sprung in die richtige Richtung.
Die zweite Staffel ist ab dem 17. September dienstags um 20 Uhr 15 im Ersten zu sehen. Die DVD ist bei Telepool erschienen.
Jens Prausnitz ist Kulturwissenschaftler, Drehbuchautor und Filmemacher. Er arbeitet in Polen und Deutschland in der Werbung, der TV- und Spielfilmbranche und lebt mit Frau und Kind in Warschau.
Verehrter Herr Prausnitz!Sicher hat jeder einen eigenen Geschmack, aber ich stimme nicht in allen Punkten mit Ihrer Kritik überein!
Es ist die Szene mit dem Bollerwagen überhaupt nicht peinlich und es ist auch nicht schlimm, dass der Sohn der Kollegin, deren Spiel Sie unfairerweise noch nicht einmal erwähnen, die mal eben ganz nebenbei und locker an der Seite von Anna Loos(die ganz nebenbei auch ein ganzes Weilchen brauchte Drama so zu spielen wie sie es heute kann) besteht und Gottseidank etwas Leichtigkeit in das ganze bringt. Das ist richtig Schade, wie sich immer auf das Offensichtliche, das Einfachste gestürzt wird. Es ist eine tolle Ensembleleistung in diesem Fall und da profitiert jeder vom anderen. Die Zeite, in denen die 2. Staffel spielt ist politischer, also kommt das auch verstärkt vor. Das ist doch dann auch in Ordnung. Und nur weil es einen behinderten Sohn gibt, ist der noch lange kein schlechtes Abziehbild aus der Serie Breaking Bad. Ich finde die Staffel sehr gelungen und dichter/Komplexer als die erste. Die neuen Figuren sind toll. Kamera und Regie sei zudem Dank! Freundliche Grüße! Franzi
Vielen Dank für ihr Feedback! Natürlich ist niemand dazu verpflichtet sich meinen Eindrücken anzuschließen, und die Ensembleleistung habe ich nicht umsonst hervor gehoben. Das ich dabei nicht jede Einzelleistung gesondert besprochen habe, bitte ich zu entschuldigen. Mir war es wichtiger, meinem Unbehagen über die Vorgänge hinter den Kulissen Ausdruck zu verleihen, von denen man leider viel zu wenig erfährt. Offensichtlich und einfach ist das allerdings nicht – es wäre doch schön, wenn die ARD bzw. Ziegler-Film die Produktion von Staffel drei bereits im Vorfeld für Fans wie uns in einem Blog dokumentieren würde, oder nicht?
Mit freundlichen Grüßen, jp
Hallo, das kann ich nicht nachvollziehen, was Sie schreiben. Ich war von der 2. Staffel ehrlich enttäuscht, wo soll bitte die Leichtigkeit sein? Und diese Opposition da ist dermaßen klischeehaft dargestellt, das sind alles Pappkameraden wie ihre Aufstellwände mit Umweltfotos: flach und zweidimensional. Ganz schlimm finde ich die Schauspielerin der Pastoren-Schwester, die nur eine Tonlage beherrscht: plump und laut und gewollt-locker. Zweimal lustig, dann nur noch penetrant. Aber die Bürgerrechtler tragen eben ihr gutes Herz auf der Zunge! Ich habe mit Familie geguckt, wir haben uns immer nur angesehen: oh nee, nicht die schon wieder! Es gibt auch wieder gute Momente und Szenen, Jörg Hartmann ist noch besser, aber zum Ende hin läppert alles aus. Sehr schade, mfg Anita
Liebe Frau Kreimeyer, das sehe ich sehr ähnlich wie Sie und Ihre Familie. Genau solche Details (die Stellwände sind ein weiteres gutes Beispiel) haben mich stutzig gemacht, und mich davon überzeugt, dass man der Autorin „ins Buch“ gequatscht hat. Die erste Staffel hatte einen durchgehenden Ton, der hier zwar noch stellenweise aufblitzt, aber eben nicht mehr durchgängig spürbar ist, und man kann nur darauf hinweisen. Allein der Schluss kann unmöglich von jemandem geschrieben sein, der Familie hat – ich will das hier vor der TV-Ausstrahlung nicht verraten – aber eine derartige Fahrlässigkeit kann ich mir von einer so erfahrenen Autorin wie Annette Hess nicht vorstellen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass derlei dazu führt, dass man seinen Namen von den Büchern zurück zieht, und stattdessen auf ein „nach einer Idee von“ verweist. Mehr dazu übrigens in unserem nächsten Podcast im September.
Leichtigkeit steckt für mich in solchen Szenen wie in der Männer-WG, und vielleicht lässt man Jörg Hartmann ja in der dritten Staffel vom Walter White Bösewicht zum „Guten“ konvertieren? Wir sind gespannt.
Es musste heissen, die Zeit, in der die 2 Staffel spielt ist politischer(meint die Lage spitzte sich damals nunmal zu)….
Hach Gott, ich hab noch mehr Fehler entdeckt. Satz gar nicht zu ende gebracht. Das war im Eifer des Gefechts. Naja. Sie verstehen ja hoffentlich…Gottseidank bin ich kein Schreiber…
Und eins noch,weil Sie mich an manchen Punkten mit ihrer offensichtlichen Antihaltung wirklich ärgern: Diese Demo hätte es ins Westfernsehen geschafft. Die Möglichkeit hätte es gegeben. Es ist auch keine Doku sondern eine fiktionale Serie
Wenn Sie dazu mal lesen wollen:
[…]
Oppositionelle spielen den Westmedien Informationen zu
Eine neue Qualität wird 1987 mit der Gründung von Radio 100 in West-Berlin erreicht. Auf dieser Welle wird einmal im Monat Radio Glasnost gesendet. Radio Glasnost kündigt Veranstaltungstermine der DDR-Opposition an, verbreitet Informationen über deren Arbeit und stellt die Positionen einzelner Gruppen dar. Mit Redebeiträgen und Interviews, die illegal in Ost-Berlin aufgenommen und dann über die Grenze geschmuggelt werden, erhält die DDR-Opposition 1987 eine eigene Stimme.
Als noch wirkungsvoller, weil nahezu flächendeckend, erweisen sich die Fernsehberichte. Eine wichtige Kontaktperson in West-Berlin ist Roland Jahn, der unter anderem Druckmaschinen für die Oppositionsgruppen besorgt. Er stattet Aram Radomski und Siegbert Schefke mit Videokameras und Kassetten aus. Deren illegal gefilmte Beiträge über Umweltverschmutzung und Städteverfall in der DDR sind im ARD-Magazin „Kontraste“ zu sehen und kommen so in die Wohnzimmer der DDR.
Über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Opposition, eine Gegenöffentlichkeit in der DDR zu erzeugen, berichten Aram Radomski und Roland Jahn im Zeitzeugen-Interview. Auch Frank Ebert erzählt in einem Videobeitrag über seine Verhaftung, die schon 30 Minuten später über Radio 100,6 bekannt gegeben wird. Diese Meldung bewirkt seine schnelle Freilassung.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Aram Radomski
Die Macher der Serie sind doch nich doof!
Anmerkung d. Red.: Ich habe das von Ihnen eingestellte Zitat stark gekürzt, da es rechtlich bedenklich ist, ganze Artikel anderer Webseiten oder Zeitungen ohne Erlaubnis hier einzustellen. Ich hoffe, es wird auch so klar, was Sie sagen wollten.
Isch ‚abe gar keine „Anti’altung“… sondern würde mich über mehr Serien dieser Art im ARD Hauptprogramm freuen, und nicht Jahre auf die nächste Staffel warten müssen!
Ich habe die Serie am Wochenende auf DVD in einem Rutsch durchgeschaut und war echt entsetzt. Nämlich davon, wie man völlig ohne Not eine auch quotenmäßig überaus erfolgreiche Serie so zu verballhornen.
Das sah sich für mich streckenweise an wie eine ganz schlechte Scharade – die trunkene Mutter auf dem Küchenboden, der Dissidentenkeller mit dem, was man sich in der Redaktion wohl unter DDR-Punkrock vorstellt (und Stasi-Mutti hottet gleich mal ab, ist ja sonst nie frei und so), die zur Kabarettnummer verkommenen Sitzungen der Stasibrigade (mit dem Rufer in der Wüste, natürlich, Glasnost, Glasnost, war da was?)… Zum Heulen. Da erträgt man die Debatten am Stasi-Familientisch ja geradezu mit Fassung.
Fazit: Hier stimmt kein Ton, und man fragt sich, wozu? Der Zuschauer hat gezeigt, dass er mit den Grautönen umgehen kann und einschaltet. Und dann stürzt die Serie von „Six Feet Under“ auf „GZSZ“, weil dann ja vielleicht doch noch drei Leute mehr einschalten? Lächerlich. Vor allem der Schluss. Stimme absolut zu: Das glaube, wer will. Dazu braucht man nicht mal selbst Kinder zu haben. Das ist hanebüchen.
Vielen Dank für die Analyse, ich war jetzt total frustriert und hab das beim Suchen zufällig gefunden. Ich kann mir ebenfalls nur vorstellen, dass man die Autorin ausgebootet hat. Hoffentlich hat man sie mit goldenem Handschlag um Zustimmung gebeten.
Schade um unsere Zwangsabgabe.
Viele Zuschauer geben sich eben damit zufrieden, dass WEISSENSEE nur auf die starke erste Staffel aufbaut, die ein solides Fundament für jede noch so wacklige Weiterführung lieferte. Es stehen ja noch die gleichen Gesichter vor der Kamera. Das aber dahinter nicht alles mit rechten Dingen zugeht, und geradezu mutwillig kaputt gemacht wird, weil alle es anscheinend besser wissen als die Autorin, die sich das mal ausgedacht hatte, und auf deren Idee alles basierte, wollen dann nur die wenigsten wissen. Man begnügt sich mit dem „gut genug“ und stellt nichts in Frage.
Wir freuen uns jedenfalls, dass es noch Zuschauer gibt, denen die Nuancen wichtiger sind, als der Einheitsbrei. Wir haben übrigens noch einen Podcast zu WEISSENSEE gemacht, da gehen wir auch auf Hintergründe ein, so weit uns das möglich war, und vielleicht finden Sie ja hier den einen oder anderen Tipp, welcher Serie man seine Zeit besser widmen könnte.
Lassen wir die Sender nicht so einfach mit unserem Geld durchbrennen und damit davon kommen, daher vielen Dank für ihren Kommentar – jede kritische Stimme wiegt in diesen Zeiten doppelt.
Ich habe mir vor kurzem die erste Staffel in der ARD angetan, die ich bis dahin gar nicht kannte.
Die Dramaturgie erinnerte mich stark an die von „The Wire“: Obwohl es keine „klassischen“ zugespitzten Storyhöhepunkte gab, war die Dramaturgie dennoch nicht flach und die Spannungskurve dementsprechtend vorhanden.
Was ich aber regelrecht als unerträglich empfunden habe, war die hemmungslose Dauerbeschallung mit dieser hypersentinemtalen und dennoch absolut nichtssagenden Fahrstuhlmusik. Sie kam so gut wie in jeder Szene, auch in den unpassendsten, vor.
Ich frage mich ernsthaft, wie man so viel verlogene Rührseligkeit zulassen konnte. Die zweite Staffel läuft dann ohne mich.