Wem nutzen Anthologie-Serien? (II: Verwertungs-Strategien)

Die Gattung “Anthology” ist nicht neu, erlebt aber mit “American Horror Story” und “True Detective” eine Renaissance. Das Konzept hat gerade in der momentanen Hoch-Zeit der Qualitätsserien unbestreitbare ökonomische Vorteile für die Sender. Hari List rechnet in zwei Teilen vor, warum das so ist (Link zu Teil I).

Meine These ist, dass wir in nächster Zeit noch mehr solcher “Dachmarken” serviert bekommen werden. Für die Sender, die Autoren und auch für uns Zuseher macht das Sinn.

Für die Autoren – die Roman- als auch Drehbuchschreiber – sind Anthologien ein dankbares Genre. Erstere können ihre Bücher endlich adäquat verfilmt sehen und brauchen sich nicht im Nachhinein von viel zu schlecht umgesetzten Adaptionen (die die Vorlage entweder in einen zu kurzen Film pressen oder für eine zu lange reguläre Serie strecken müssen) distanzieren. Zweitere hingegen können sich intensiv einer guten Idee widmen und müssen sie nicht künstlich aufblasen, um die vereinbarte Laufzeit zu überbrücken oder – noch schlimmer – finanzielle Kürzungen des Budgets kaschieren (wie etwa bei den “Farm-Episoden” der zweiten Staffel von “The Walking Dead”).

„Nur“ Fernsehen

Seit das Fernsehen auch keinen karrieretechnischen Abstieg mehr bedeutet, gewinnen die Sender immer mehr Schauspieler aus Hollywoods erster und zweiter Reihe für ihre Projekte. Die Darsteller, die ernsthaft an guten Büchern und komplexen Rollen interessiert sind, können die ein oder andere Miniserie oder Staffel gut in ihrem Kalender unterbringen. Dass das noch kein Massenphänomen geworden ist, liegt am Gehaltsniveau: es ist halt doch „nur“ Fernsehen.

Die Sender freuen sich natürlich über die hochkarätige Verstärkung und die damit einhergehende Werbewirkung. Das kostet zwar mehr Geld, aber zwei Stars wie Matthew McConaughey und Woody Harrelson sind für acht Folgen mit 90 Prozent Screentime durchaus ein gutes Investment. Im Normallfall werden mit Seriendarstellern (und Autoren) Verträge für eine bis zwei Staffeln abgeschlossen und Optionen mit deutlichen Gehaltssteigerungen vereinbart, die bei Serienverlängerung gezogen werden müssen. Allerdings muss der wirtschaftliche Erfolg natürlich prozentual über den steigenden Personalkosten bleiben. Viele Serien enden nicht auserzählt und viel zu früh, weil da im Laufe der Zeit ein Missverhältnis entsteht.

Internationaler Verkauf

Stars steigern die internationale Verwertbarkeit noch einmal beträchtlich. “Mad Men” oder “Breaking Bad” mussten sich mit zwar etablierten, aber dem breiten Publikum nicht unbedingt bekannten Darstellern, durch Mundpropaganda und die positiven Besprechungen in den Feuilletons ein internationales (Internet-)Publikum erst erarbeiteten.

Weltbekannte Hollywood-Mimen können wesentlich zum internationalen Verkauf an TV-Sender und vor allem zum BluRay-/DVD-Absatz beitragen. Mit exzellent gemachten und hochkarätig besetzten Serien haben die Sender ein gutes Argument, für acht Stunden eines qualitativ hervorragenden Produkts 20 bis 30 Euro zu verlangen und nicht die Staffeln in Season X.1 und Season X.2 teilen zu müssen. Solche Frechheiten sind geradezu eine Aufforderung an den interessierten Käufer, sich die Serie doch bitte im Internet umsonst anzusehen.

Flexibler Drehort

Bei der ersten Stafffel von „True Detective“ ist schön zu sehen, dass die Staffel eine „Louisiana-Staffel“ ist. Wo der nächste Teil spielen wird, wird maßgeblich mitbestimmt durch die tax incentives, die einzelne US-Staaten bereit sind, für Filmproduktionen zur Verfügung zu stellen. Ähnlich wie in der Kinoindustrie – von neun aktuell für den Oscar nominierten Filmen wurden nur eineinhalb in Kalifornien gedreht – sind New York oder Los Angeles nicht nur teure Locations, sondern bieten auch kaum steuerliche Anreize. Bei Anthologien ist es viel einfacher, nach einer Staffel den Standort zu wechseln und dem Ruf des Geldes zu folgen. (Bei Langserien ergibt sich natürlich noch ein besserer Effekt, aber die Produktion ist dann an den Drehort gebunden – „Breaking Bad“ an New Mexico und „The Walking Dead“ an Georgia.)

Einen Plan haben

Dann wäre da die Risikominimierung. Was, wenn ein Darsteller nicht verlängern will oder kann? An den Haaren herbeigezogene Serientode wird es in gut gemachten Anthologien nicht geben. Die oft bei vielen Serien kommunizierten Entscheidungen, dass “Sender A schon nach der Pilotfolge zwei weitere Staffeln bestellt hätte”, wird man sich ebenfalls sparen können. Wenn die Überzeugung für das Projekt nicht von Anfang da ist, braucht man auch kein Geld in Piloten stecken oder extrem frühe Entscheidungen über die Weiterführung der Serie fällen.

Vom kalkulatorischen Standpunkt ist es auch einfacher, eine einzelne Staffel zu planen und nicht permanent die einzig möglichen Szenarien “Verlängert wegen Erfolg”, “Einstellung von heute auf morgen” und “Weiterführung mit geringerem Budget” vor Augen zu haben. Planungsicherheit in der schnelllebigen Fernsehwelt, wo gibt es die heute noch?

Die Kleinen und die Anderen

Und dann wären da noch die vermeintlich Kleinen. Wie viel gelobt wurde Sundance für “Top of the Lake”? Und acht Folgen “Braunschlag” des ORF ließen die torrent-Kollegen gleich ein österreichisches Serienwunder herbei fantasieren. Gerade die budgetär limitierten Sender können mit kürzeren Serien Erfolge erzielen und Nischen bedienen. Eine Qualität versprechende Dachmarke muss nicht unbedingt einen gemeinsamen Serientitel haben, sondern kann auch eine Art Sender- oder Sendeplatzprofil sein: “ORF”, “Channel 4”, “Sundance”, „DIE.NACHT“ auf ORF eins, der arte-Seriendonnerstag… Oder eine komplett andere Firma: “Amazon”, “Netflix”…

Und trotzdem wird die klassische Langserie weiterhin die Königsdisziplin sein. Diese bildet natürlich über möglichst viele Staffeln eine Marke für sich selbst und bietet eine zusätzliche Umsatzquelle, die Anthologien und ihre einzelnen Bestandteile nicht oder nur sehr begrenzt bieten können: Merchandising.

Aber was haben wir Zuseher und Serien-Gourmets davon? Mehr Abwechslung, höhere erzählerische Qualität durch Minimierung der Episoden-Quantität und keine “geteilten Staffeln” mehr. Dann noch emotionale Stabilität, weil die Staffeln nicht immer dann enden, wenn es am spannendsten ist und keine quälende Warterei, dass es endlich wieder (oder überhaupt) weitergeht. Klingt doch nicht so schlecht!

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