Nach sechs Folgen “Show Me a Hero” stellt sich so etwas wie Ernüchterung ein. Das war nämlich nur mäßig unterhaltsam und weit und breit war kein Charakter zu sehen, der das Etikett “Held” verdienen würde. Was will man uns also damit sagen? Ein Erklärungsversuch.
Falls Sie die neue HBO-Miniserie “Show me a Hero” noch nicht gesehen haben, dann sollten sie das eventuell vor der Lektüre dieses Artikels nachholen. Darin ist die Stadt Yonkers, im US-Bundesstaat New York, in Aufruhr, weil ein Gerichtsurteil den Bau von Häusern für Niedrigverdiener in Mittelstandsgegenden angeordnet hatte. Bürgerrechtler hatten geklagt, weil durch die Anhäufung der Sozialwohnungen in großen Wohntürmen de facto Ghettos für die afro-amerikanische und hispanische Bevölkerung von Yonkers geschaffen wurde – und das in den 1980er Jahren. Die betroffenen (weißen) Anrainer wollen von ihren Volksvertretern, dass sie in den weiteren Instanzen dagegen kämpfen. Diese haben aber, auf ihre Anwälte hörend, kapituliert. Das kostet den amtierenden Bürgermeister den Sessel und der junge Nick Wasicsko wird eher zufällig zum Stadtchef und will die gerichtliche Anordnung so schmerzlos wie möglich umsetzen. Doch der Widerstand ist enorm und er verliert die Wiederwahl gegen den Populisten Hank Spillane.
Der schmale Grat
Die Ablehnung der betroffenen Bewohner ist anfangs noch stark am property value, dem Immobilienwert, orientiert. Mit Fortlauf der Serie werden die hochgehaltenen Tafeln immer derber, die Methoden radikaler (Brandbomben) und die Motive der Demonstranten eindeutig rassistisch. Nur Mary macht eine Entwicklung durch und erkennt die blanke rassistische Motivation des Anführers der Protestierenden relativ spät, obwohl sie schon zu Beginn seiner Fantasie von der jüdischen Verschwörung widersprochen hat.
Es ist ein schmaler Grat, an dem entlang die Diskussion stattfindet. Darin liegt vielleicht eine Antwort auf die Frage, was uns die Serie eigentlich sagen will. Auch im Bezug auf aktuelle Themen überwiegt schwarz-weißes Denken. Entweder man ist dafür oder dagegen. Nuancierte oder gesamtheitlichere Blicke werden negiert oder für ein Lager etikettiert. Selbst Nick, von dem wir bis zum Schluss nicht wissen, wofür er eigentlich steht, bekommt das zu spüren und nutzt es aus. Er wird gewählt, weil er irgendwann einmal dagegen war. Dass er (vor seinem Entschluss zu kandidieren) aktiv dagegen argumentiert, die nächste gerichtliche Instanz zu bemühen, geht im Lärm unter.
Auf der anderen Seite steht der schmierige Hank Spillane. Der ist auch nicht an umfassender Debatte interessiert, sondern setzt auf einfache Botschaften und schürt das Feuer, um einen kurzfristigen Wahlerfolg zu feiern. Dazu präsentiert er selektives Fotomaterial, das er noch direkt den Wählern in die Hand geben muss – heute würde er es auf Facebook stellen, “Zur Info!” dazu schreiben und sich entspannt zurücklehnen können und zusehen, wie den Followern der Schaum vorm Mund entsteht. Kommt uns Europäern das nicht verdammt bekannt vor?
Das Eigenheim als Altersvorsorge
In den USA ist die Schaffung von Eigentum, also die Anhäufung von Kapital, eigentlich das, was unter “American Dream” romantisiert wird. Das Märchen vom Tellerwäscher zum Milionär (heute eher: vom Kinderzimmerprogrammierer zur Akquise durch Google) soll zwar noch gelegentlich vorkommen, aber für die meisten (auch bekannt als “die Mittelschicht”) endet der Traum beim Häuschen in halbwegs netter Gegend. Und die nette Gegend wollen sie sich verständlicherweise erhalten.
Das Selbstgeschaffene hat einen höheren Stellenwert als staatliche “Geschenke” wie eine verpflichtende Krankenversicherung für alle (siehe “ObamaCare”), die wiederum durch Steuern auf das Selbstgeschaffene finanziert werden müsste. Diese Kultur der Staatsskepsis und der komplett andere Aufbau des sozialen Netzes führt auch dazu, dass in Ausnahmesituationen mit Cash-Bedarf wieder auf das Eigenheim zurückgegriffen werden muss. Das Kind soll auf ein gutes College? Es wird eine langwierige Therapie oder akute Operation benötigt? Dann nehmen wir einen Kredit aufs Heim auf. Die Höhe, Laufzeit und der Zinssatz des Kredits hängt natürlich vom Wert des zu besichernden Objektes ab. Und die Bank ist farbenblind.
Bei der Beurteilung des Objektwertes spielt es keine Rolle, ob die Nachbarn mieten oder besitzen, ob sie schwarz oder Latinos sind und ob sie in die low income-Kategorie fallen oder nicht. Sehr wohl aber die Grafittis an den Wänden, die Pflege der Vorgärten, der Umgang mit Müll und Allgemeinflächen und die Absenz von Kriminalität.
Aktive Stadtplanung statt alleingelassene Niedrigverdiener
In den sogenannten projects sind das genau die Probleme. Dort wurden die working poor zwar mit bezahlbaren Wohnungen versorgt, jedoch sich selbst überlassen. Aber das sind keine schwarzen Probleme, sondern hauptsächlich ökonomische. Die Lösung kann aber keine ökonomische, sondern muss eine gesellschaftliche sein: Integration. Es braucht Sozialarbeiter, Schulen, die für alle offenstehen und wo dann auch wirklich alle Kinder hingehen, es braucht Betreuungplätze für die, die in mehr als einem Job arbeiten und es braucht sichere und aktive Gemeinschafts- und Begegnungsräume, egal ob das Parks, Einkaufsstraßen oder Community Centers sind. Kurzum, es braucht eine aktive Stadtplanung.
Dabei darf trotzdem nicht die ökonomische Komponente vergessen werden. Miete ist eine Möglichkeit für kapitalschwache Schichten, so etwas ähnliches wie Eigentum zu schaffen. Die Kaution dient als Sicherstellung, dass Mieter damit so umgehen, als wäre es ihr eigenes. Diese Kaution darf aber nicht höher sein als der Betrag, ab dem man Eigentum schaffen könnte (natürlich mithilfe der zusätzlichen Aufnahme von Fremdkapital). Das Angebot von leistbaren Mietwohnungen ist also eine staatliche Lenkungsmaßnahme, die allerdings auch erfordert, dass die in den Sozialbauten Wohnenden die gleichen Chancen erhalten wie die Anderen. Diese (weißen) Anderen, die in ihren Gegenden wegen ihres höheren Einkommens und den damit verbundenen Perspektiven keine Alternativwirtschaft (Drogenkriminalität) etablieren mussten, die mittelfristig das ganze Viertel in Tod und Verderben führen wird.
Das zentrale Gerichtsverfahren konzentrierte sich genau auf diesen einen Aspekt. Jahrzehntelang hatte die Stadt Yonkers Bundesgeld, das für die Integration und Förderung von Minderheiten gedacht war, zur Segregation eingesetzt – eben indem sie viele Sozialwohnungen an wenigen Standorten konzentrierte. Der Urteilsspruch wollte diese Fehlwidmung der Gelder korrigieren und gab deshalb so spezifische Handlungsanweisungen, orientierte sich aber an Konzepten von Architekt Newman. Diese sahen radikale, wissenschaftlich fundierte und neuartige Pläne vor, um die neuen Bewohner zu integrieren.
Es sind keine schwarzen Geschichten
Es liegt nicht ursächlich daran, dass die Betroffenen überwiegend schwarz sind. Es gibt genug white trash-Familien, in denen Kinder um nichts besser dran wären. Aber das sind andere Staaten, andere Städte. In Yonkers ist die Drogenszene zufällig schwarz und auf diese abgewohnten Bauten konzentriert, wo sich niemand hintraut. David Simon und William F. Zorzi lassen uns durch die diversen Kleinstories einen Einblick in diese Parallelwelt erhaschen.
Da ist die Migrantin aus der Dominikanischen Republik. Sie hat überhaupt kein soziales Netz und sorgt sich um ihre drei Kinder. Damit sie mehr Zeit und Kraft zum Arbeiten hat, lässt sie die Kinder zuerst bei der Mutter in der Heimat, aber ist mit deren Erziehung nicht zufrieden und holt sie zurück.
Da ist die junge Billie, deren Mutter hart arbeitet und deshalb keine Zeit für sie hat. Neben jeder Menge unglücklicher Entscheidungen, die die viel zu junge Billie trifft (Shopping anstatt Schule, Sex ohne zu Verhüten), kommt auch noch Pech dazu. Der Junge, dem sie verfallen ist, wird nicht wie die meisten jugendlichen Bad Boys schlussendlich doch ein halbwegs anständiger Mensch und Vater, sondern bleibt im Knast und sorgt indirekt für ihren Verweis aus der schönen neuen Wohnung (begleitet von einer weiteren unglücklichen Entscheidung ihrerseits).
Da ist die junge Doreen, die der Verlust ihres (drogendealenden) Mannes komplett aus der Bahn wirft. Sie vernachlässigt ihr Kind, verfällt dem Crack und greift erst auf ihr Sicherheitsnetz (die Eltern) zurück, als sie wirklich ganz unten angekommen ist. Als sie allerdings einmal Vertrauen und eine positive Einstellung entgegengebracht bekommt, blüht sie auf.
Keine dieser Geschichten ist irgendwie originell, sie sind realistisch und passieren so oder so ähnlich nicht nur in amerikanischen, sondern auch in europäischen Großstädten. Sie sind Platzhalter, die auf abstrakte Weise das Gesamtproblem und die vorhandenen Teufelskreise skizzieren. Billie hat so wie alle Jugendlichen keinen Bock auf die Schule. Hier sollten das soziale Netz (egal ob Eltern, Lehrer oder Sozialarbeiter) eingreifen, die alleinerziehende Mutter muss aber in zwei Jobs arbeiten und die anderen können nicht helfen. Der logische Kreis schließt sich, als Billie ohne Schulabschluss selbst als alleinerziehende Mutter dasteht. Alles auf Anfang.
Doreens Partnerwahl hat sie (so wie wir alle das tun) in ihrem Umfeld getroffen. Die Chance, an einen Drogendealer zu geraten, war dort einfach nur größer, dessen Lebenserwartung statistisch geringer. Und dass der gewaltsame Tod des Partners traumatisch ist und auch wesentlich gefestigtere Charaktere über die Klippe schicken würde, das können wir uns auch vorstellen.
Wer ist der Held?
Und wer ist jetzt der Held der Geschichte? Irgendwie ist es niemand. Es machen zwar einige Figuren eine beeindruckende Entwicklung durch (Mary und Doreen), aber entscheidend geprägt haben sie das, was in Yonkers passierte, nicht wirklich. Nick Wasicsko, der nominelle Hauptcharakter, bleibt farb- und letztendlich auch ziemlich erfolglos. Der (jüdische) Anwalt Sussman vielleicht, der das Verfahren jahrzehntelang geführt und sogar schon die schwarzen Bürgerrechtler überreden musste, “ihren” Kampf weiter zu kämpfen? Der hatte viel zu wenig Screentime. Der Architekt Newman hatte einen gewissen Erfolg mit seinen Konzepten, der Richter war gnadenlos und bewirkte Historisches, der Bürgermeister Spillane und Stadträtin Vinnie Restiano, die die beiden Seiten des Streits darstellen, hatten ihre Momente.
Ist der Held noch gar nicht geboren? Sitzt der Adressat des Titels schon bald im Weißen Haus? Ist das vielleicht eine Aufforderung an die heutige Generation an Politikern: seht her, wegen was für Nichtigkeiten wir uns aufregen. Verhindert das! Denkt umfassender. Lasst die Schwachen nicht alleine.
Ist es eine Kritik an der Kapitaljagd, an der “Jeder-für-sich”-Kultur, die vor allem von den Republikanern propagiert wird? Es kann auch als Aufforderung gelesen werden, endlich die Einkommensunterschiede zu beseitigen, die ab Anfang der 1980er immer stärker wurden und maßgeblich zur Wirtschaftskrise 2007 beigetragen haben. Es kann ein Plädoyer dafür sein, dass eine höhere Mietquote zu mehr sozialer Gerechtigkeit beitragen und die Folgen der nächsten Wirtschaftskrise für die Betroffenen abfedern könnte (siehe Deutschland und Österreich). Es sagt uns Europäern aktuell auch sehr viel darüber, wie wir Zusammenhänge (nicht) wahrnehmen (wollen) und uns in pauschalierende Postings flüchten und Wohnhäuser der Schwächsten der Schwachen anzünden.
Es gäbe noch 100 andere Möglichkeiten, „Show me a Hero“ zu deuten. Darin liegt die große Stärke der Serie, auch wenn sich die Unterhaltung definitiv in Grenzen hält.
Was denkt ihr?
Unser Podcasts zu „Show me a Hero“ zum Nachhören: Folgen 1 & 2 und Folgen 3 -6 und Fazit