„Masters of Sex“-Kritik: Ep. 3.09: „High Anxiety“

Das nächste "junge Ding" auf der Liste? Nora kündigt Bill ihren ersten Patienten an; Foto: Lionsgate TV

Der Therapieversuch, den Höhepunkt der Staffel weiter und weiter hinauszuzögern, funktioniert auch diese Woche eher nicht. Das Gefühl, auf der Stelle zu treten und es nur mit vorgetäuschter Handlung und ebensolchen Orgasmen zu tun zu haben, bleibt. Wieder ein Placebo anstelle einer richtigen Episode – eine Folge, zwei Meinungen.

Aus Virginia schlau zu werden scheint auch Lizzy Caplan vor Schwierigkeiten zu stellen, jedenfalls wird ihr Spiel immer mechanischer, was mich inzwischen noch mehr nervt als ihr unabwaschbarer dicker Lidstrich (wie großartig wohltuend sah bitte Annaleigh Ashford im Vergleich ganz “ohne” Make-Up aus?). Will sie jetzt, dass Dan bleibt, oder nicht? Als Affäre ja, aber bloß nicht aus Liebe? Es soll wohl Letzteres sein, nur anzusehen ist das wie eingetretener Kaugummi am Schuh. Denn wenn sich Virginia innerlich davor fürchtet, geliebt zu werden, dann will ich genau das thematisiert sehen und nicht an dem Symptom hängen bleiben.

Wenn die Autoren in der Lage sind, die Hintergrundgeschichte von Nora, die von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde und an Schuldgefühlen litt, als er die Familie sitzen ließ, mal eben in zwei Szenen komplett zu durchlaufen, kratzt man sich nur noch am Kopf. William Masters nimmt das mit minimaler Gestik auf, und dass sich ihm nach Tessa das nächste junge Ding an den väterlichen Hals werfen wird, droht sich in seiner behaupteten Dramatik als Desaster zum Staffelende auszuwachsen.

Bis zum großen Knall müssen wir uns also noch drei Folgen gedulden, denn Besserung ist nicht in Sicht. Bill hat sein Placebo in Nora, Virgina ihres in Dan, Libby in Paul und Helen womöglich demnächst in Austin.

Nebenfiguren neben sich

Apropos: Austin verkommt zur Witzfigur, und die Autoren werden der Situation nicht Herr. In der vorherigen Staffel war sein Handlungsstrang als Diätpillenvertreter, der von seiner Chefin unverblümt zu sexuellen Dienstleistungen erpresst wird, ein zuverlässiger “comic relief”. Gewonnen hatte keine der beiden Figuren etwas aus dem Verhältnis, da sie einander nie ernst nahmen. So vielversprechend der Plot um die Samenspende für Helen und Betty auf dem Papier geklungen haben mag, er fällt komplett aus dem Rahmen der Serie, wirkt wie ein Fremdkörper.

Auch für Betty ist der Fokus auf ihr Privatleben kein Gewinn – so gerne man ihr im Büro dabei zusieht, wie sie sich genervt-diplomatisch mit “Mama und Papa” herumschlägt, so sehr lässt einen ihre Beziehung mit Helen kalt. Was hat sie denn davon? Und jetzt auch noch Babysitter für Austin spielen? Warum sie beide nicht vor die Tür setzt, um wenigstens zu Hause mal ihre Ruhe zu haben, bleibt mir ein Rätsel.

Auch für Libby und Paul läuft es nicht besser, der prognostizierte Ersatzfamilien-Plot entwickelt sich noch immer nur im Schneckentempo, obwohl der Sohnemann mal bei seinem Trainer stehen darf und Libby natürlich erst aufgrund der Eifersucht auf eine Nebenbuhlerin ihren Sehnsüchten Gehör schenkt. Oh bitte, dieser Niveaulimbo ist der Serie nicht würdig.

Unterwegs in flachen Gewässern

Sohn Johnny darf nahezu identisch seinen Vater mit dem Bully aus der Nachbarschaft beobachten und immerhin stellvertretend für uns Zuschauer etwas nach ihnen werfen, nur um dann später die Grundlage für einen Racheakt zu legen, der in einer der nächsten Folgen auf dem Football-Spielfeld ausgetragen werden dürfte. Und was ist eigentlich aus der angekokelten Baseball-Karte geworden? Wenn die erst nach Wochen erzählter Zeit (oder gar nicht) wieder auftaucht, raufe ich mir die Haare, bekäme ich die aufgrund meines Kopfschüttelns überhaupt zu fassen.

Ebenso leid tut es einem um Beau Bridges, von dem man nicht weiß, ob er jetzt in der Klinik arbeitet oder wieder klassischer Musik im Männerorchester nachgeht. Er könnte sich auch mit Tessa zusammentun, die weder in der Arbeit, noch zu Hause bei Virginia auftaucht. Fast bin ich schon so weit, dass ich mir den Gorilla zurückwünsche, um nicht länger auf dieses Elend sich öffnender und wieder schließender Münder, die verzweifelt nach Worten ringen, starren zu müssen.

Diese Staffel bringt weder den Plot um die Kindererziehung auf den Punkt (wann haben wir Virginia zuletzt mit ihrem Baby gesehen? War es ihr nicht total wichtig, diesmal alles richtig zu machen?), noch den um die außerehelichen Affären, die sexuellen Erkenntnisse bleiben diese Staffel auf pubertärem Niveau (feuchte Träume, vorzeitiger Samenerguss …), und die Qualitätsmerkmale der Serie sind wie die Pheromone unsichtbar, zeigen keinerlei messbaren Effekt. Mit Dr. Lillian DePaul (Julianne Nicholson) scheint in der letzten Staffel die Seele der Serie gestorben zu sein, und die Handlung ist dermaßen in flachen Gewässern angelangt, dass sie droht, jetzt dort auf einer Sandbank aufzulaufen, wo vielleicht Marcus Sandburgen entdeckt, deren Blaupausen mir nur entgangen sind.  Jens Prausnitz

Wollen wir mal hoffen, dass es den Autoren der Serie dereinst nicht so gehen wird, wie es Bill Masters über die Beurteilung seiner Ehe vorhersagt: dass sie auf dem Sterbebett sagen werden, wir haben uns bemüht, so gut es ging. Das wird wohl auch nicht das sein, was Libby auf ihre Frage an ihren Gatten hören wollte, man fragt sich allerdings sowieso, warum sie ihn nicht einfach sitzenlässt. Aber die Frauen scheinen ja eh irgendwas in diesem Mann zu sehen, was mir bislang entgangen ist. So fliegen ja nicht nur Libby und Virginia auf ihn, sondern auch alle möglichen jungen Dinger.

Diese Woche hat der arme Bill also mal wieder Schwierigkeiten, seine Arbeit und seine eigenen (sexuellen) Gefühle zu trennen, als die den Zombies entfleuchte Emily Kinney sich mit vollem Körpereinsatz vor seinen Augen eines Patienten annimmt. Leider wird der gute Doktor durch solche Handlungsstränge immer mehr zur Witzfigur und mich würde doch mal interessieren, was der echte Dr. Masters eigentlich dazu sagen würde. Die Vater-Sohn-Bully-Beziehung entwickelt sich in dieser Folge Null weiter, außer dass Bill seinem Ersatzsohn jetzt auch noch Aufklärungsunterricht erteilen darf. Immerhin habe ich kurz innerlich geschmunzelt, als der Schlägertyp verschüchtert von seinen „private parts“ sprach – Englisch ist manchmal einfach eine so herrlich verklemmte Sprache. Ich freu mich schon auf die deutsche Synchro („Weichteile“?). 

Judd Apatow ist wahrhaftiger

Die Nebenhandlung um Austin und seine beiden lesbischen Freundinnen finde ich im Gegensatz zu Jens noch am erfrischendsten, einfach, weil es so guttut, zur Abwechslung mal eine normale Frau zu sehen (ich meine Betty), die nachvollziehbare Gefühle hat, gespielt von einer natürlich agierenden Schauspielerin, der die Autoren zudem noch gute One-Liner in den Mund legen. Alles Andere wirkt wirklich nur noch gequält: Virginia betrügt Bill, Bill betrügt Libby und Libby betrügt Bill – willkommen bei „Melrose Place 2015“.

Libby weiß natürlich auch nicht, was sie eigentlich will: Erst betrachtet sie Paul nur als Ersatzliebhaber für den verstorbenen Robert (nach dem Motto „Fuck the Pain Away“), als Paul dann die von ihr selbst vermittelte Gelegenheit zu einem echten Date mit ihrer Freundin wahrnimmt, ist sie plötzlich doch eifersüchtig – ja, was denn nun?

Es bleibt dabei, dass mich die Handlungsstränge um die Nebenfiguren immer mehr interessieren als die um die zwei bis drei Hauptprotagonisten – egal, ob es um Barton und Margaret oder Betty, Helen und Austin geht. Das, was in der ersten Staffel den eigentlichen Reiz der Serie ausmachte, die Chemie zwischen dem so ungleichen Forscherpaar und ihre gemeinsame Arbeit an der aufklärerischen Studie, ist zu einer Ansammlung von Stereotypen geworden. Dabei habe ich auch seit längerem das Gefühl, dass das Thema ihrer Forschung nur noch als Steinbruch für schlüpfrige Witze und absurde Situationen missbraucht wird. Da steckt in jeder Judd-Apatow-Komödie mehr Wahrheit über amourös-sexuelle Beziehungen als in dieser Staffel.  Marcus Kirzynowski

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