Schau einer an: Da beweist die ARD ein bisschen Courage und produziert eine gelungene sechsteilige Comedy-Serie über einen Grenztunnel zwischen DDR und BRD anno 1988, nur um es dann so spät im Programm zu parken, dass es ja keiner mitbekommt. Warum sich das Einschalten trotzdem lohnt, erfahrt ihr hier.
Meine Skepsis angesichts von BRD/DDR-Stoffen könnte kaum größer sein, und ebenso widerwillig habe ich mich mal auf die Pilotfolge “Trafo 257” eingelassen, der man zunächst vor allem eines anmerkt: die Unsicherheit der Redaktion. Es gibt viele Schnitte zu bestaunen, um im Hau-Ruck-Verfahren in die Zeit Ende der 80er Jahre einzuführen, was man noch über sich ergehen lassen kann, dann ärgert man sich noch die halbe Episode lang über die alles begleitenden Banjo-Klänge(!)*, ehe man endlich beginnen darf, den Autoren zu vertrauen und der sich entspinnenden Geschichte um die Grenzbeamten Ralf Pietzsch (Thorsten Merten, Osten) und Hubert Weisspfennig (Stephan Zinner, West) zu folgen.
“Flori, wo is’n dein Vater?” – “Interessiert mi ned.”
Im Gegensatz zu den Kollegen der WDR-Serie “Meuchelbeck”, haben Stefan Schwarz und Paul Harather (der auch für die Regie verantwortlich ist) nämlich recherchiert. Das merkt man nicht nur an der Sprache und den richtigen Dialekten auf beiden Seiten (ein Detail, an dem bereits der zumindest geographisch ähnlich gelegene ZDF Mehrteiler „Tannbach“ Anfang des Jahres scheiterte; mit den Abstrichen beim einen oder anderen „ortsfremden“ Darsteller, die noch üben, hüben wie drüben, kann man hingegen leben – der Wille zählt), sondern an den präzise gezeichneten Milieus. Das sind dann auch die Highlights der Folge, wenn man im Osten beim Abendessen zusammen sitzt und die Familienprobleme erörtert, der Vorgesetzte einen Fehler ausbügeln möchte und dabei den Dienstweg zu vermeiden sucht, oder Zaungäste auf beiden Seiten die Privatsphäre der jeweils anderen brechen.
Die eine oder andere kurz ins monologische abdriftende Dialogpassage wirkt da bereits wie ein Fremdkörper, was aber allein der zügigen Exposition des Ensembles auf beiden Seiten geschuldet ist, auf deren Auftritte in den kommenden Folgen man sich nun ungetrübt freuen darf. Das ist hervorragend besetzt, und die Inszenierung ist so solide zurückhaltend, wie man sie von Harather bereits “Im Schleudergang” genieße durfte, nur temporeicher. Wie unbeholfen sich Thorsten Merten als “Ralle” im bayerischen Westen bekreuzigt, als er im Trainingsanzug aus der Kapelle tritt, in der der Tunnel endet, ist schön anzusehen, und die bezaubernd verdrehten sechs Seiten dieses Zauberwürfels sollte man sich nicht entgehen lassen.
Die Pilotfolge macht jedenfalls Lust auf mehr, und das Potential dieser Serie lässt sich den mutwilligen Versuchen, sie zu übertönen zum Trotz nicht kaputt kriegen. Das lässt hoffen und mich nächste Woche wieder die Mediathek anwerfen.
Bis dahin kann man auf kress.de noch ein kurzes Interview mit dem Autor Stefan Schwarz lesen oder hier in seine Kolumen hineinschnuppern. Den Kollegen merke ich mir direkt mal für einen kommenden Autorennen-Podcast vor und werde ihm eine Einladung zukommen lassen.
“Sedwitz” ab heute donnerstags in der ARD um 23 Uhr 30, freitags beim BR um 22 Uhr 45, beim MDR sonntags um 22 Uhr 00 oder besser gleich ab sofort in der Mediathek bzw. online.
* Himmel Arsch und Zwirn, wer auch immer für diese Dauerbeschallung verantwortlich ist, möge bitte mit Zwangsradio Hit FM nicht unter 24 Stunden bestraft werden! Das ist so penetrant, dass es manche sorgfältige Inszenierung kaputt macht – so zum Beispiel wenn der im Zentrum der Erzählung stehende Grenzbeamte Ralf Pietzsch zum über ihm kreisenden Hubschrauber hochsieht, den man wegen der Musik nicht mehr als bedrohlich wahrnehmen kann. Sagt mal, hakt es, Leute? Obendrein gibt es noch diegetische Musik, also solche, die aus dem Radio kommt, und hier wird nebenbei erzählt, dass die Familie Pietzsch Westradio hört und nur bei Kontrollen in der Sperrzone routiniert kurz den Sender wechselt. Das könnte einem vor lauter “das ist jetzt witzig”-Untermalung entgehen. Wohlgemerkt, das ist nicht die Schuld des Komponisten, sondern derjenigen Person, die den Kleister angeordnet hat, und die möge sich jetzt in Grund und Boden schämen und derlei in Zukunft bitte unterlassen. Danke sehr.
… und nach sechs Folgen ein Cliffhanger – und Schluss???? Sehr schade …
Jein. Es gibt das Drehbuch für zumindest einer weiteren Folge, die aber (noch?) nicht produziert wurde. Ob bzw. wann das geschieht, steht nicht in den Sternen, sondern höchstens als Graffiti versteckt irgendwo am ehemaligen Grenzstreifen. Oder man müsste mal bei der ARD nachfragen, wo denn die zweite Staffel bleibt …
Eine der besten und unterhaltsamsten Serien über die Thematik „Ossis und Wessis“ bestens von den mitwirkenden Schauspieler*innen dargestellt! Schade, dass nach der ersten Staffel Schluß ist! Ein Glück, dass die Serie in der Mediathek noch abrufbar ist! Denn dort habe ich sie erst 2024 entdeckt!
Besser spät als nie – und vielen Dank, dass Sie hier vorbeigeschaut haben.
Als Bonus können Sie sich nach dem Genuss der Serie ja den Podcast mit dem Autoren anhören, wie im Artikel angedroht: https://autorenrennen.de/002-stefan-schwarz/