„Ku’damm 56“-Kritik: Episode 1.2

Natalie Wood and James Dean in the house. Foto: ZDF / Stefan Erhard

Folge zwei macht dem Familienmotto der Familie Schöllack alle Ehre und legt noch ne Schippe drauf. Allein mit einer Szene gelingt „Ku’damm 56“ das Kunststück, das bessere „Unsere Mütter, unsere Väter“ zu sein, indem es das Versprechen, überhaupt von ihnen zu erzählen, endlich einlöst.

Doch der Reihe nach. Zunächst einmal steckt Joachim (Sabin Tambrea) die Messerattacke ziemlich gut weg, sogar eine Spur zu locker, möchte man meinen, wobei man die Wirkung von Adrenalin in diesem Schockmoment nicht unterschätzen sollte. Man könnte meinen, dass die beiden jetzt quitt sind, nur ausgesprochen haben sie sich noch nicht. Monika wird aber später in der Folge den Anfang machen.

“Ich hab Papperlapapp gemacht.”

Mutter Caterina (Claudia Michelsen) zeigt sich jedenfalls mehr als zufrieden damit, dass sich der Fabrikantensohn nun sogar bei Tageslicht mit ihrer missratenen Tochter zeigen möchte. Zu deren eigener Überraschung gelingt es ihm sogar, ihr mit einem sächsischen Flitschestein ein Lächeln auf’s Gesicht zu zaubern. Doch sein aufkeimender Respekt und das Interesse an der als ebenbürtig wahrgenommenen Monika ändert nichts daran, dass sie wohl (hoffentlich?) nicht mehr zueinander finden werden.

Rauchen verstopft ihre Gefäße und kann unter Umständen ihr Leben retten. Foto: ZDF / Stefan Erhard
Rauchen verstopft ihre Gefäße und kann unter Umständen ihr Leben retten. Foto: ZDF / Stefan Erhard

Denn Monika (Sonja Gerhardt) steht in dieser Folge nicht nur staunend Sonja Lundi (Katharina Schüttler) von Angesicht zu Angesicht gegenüber, sondern erkennt in ihr sogar so etwas wie eine Seelenverwandte, die es auch ohne Mann an ihrer Seite zu etwas gebracht hat und selbst am Steuer sitzt (womit auch geklärt wäre, warum es überhaupt einen „falschen“ Filmstar der 50er Jahre gebraucht hat). Ihr kann Monika nacheifern und darf diese Folge einige Luftsprünge machen – und nicht nur beim Rock’n’Roll-Tanzen mit Freddy (Trystan Pütter), dessen Werben sie nun nachgibt. Sie begleitet ihn ins „Mutter Brause“ und lässt sich von der Atmosphäre dort mitreißen, beginnt zu tanzen und entdeckt endlich ein Ventil für ihren inneren Schnellkochtopf. Ihrem Glück beim Tanzen hätte ich gerne länger zugesehen – das Privileg dazu haben sich Plot, Inszenierung und Ensemble hart erarbeitet, und als Zuschauer könnte man aufatmen und sich von der Begeisterung anstecken lassen. Ein größeres Kompliment kann man diesem Mehrteiler wohl nicht machen, außer das Korsett der Sendezeit zu lockern, wenn es so filmisch wird wie hier.

“Hast du irgendwas mit deinen Haaren gemacht?”

Freddy hingegen entpuppt sich ein bisschen als wandelnder Widerspruch, dem einerseits eine KZ-Nummer auf den Unterarm tätowiert ist, und der andererseits ein eisernes Kreuz um den Hals trägt. Vielleicht aus Trotz, vielleicht aus Selbstschutz, denn die Geschichte, die er Monika auftischt, mag man ihm so nicht glauben. Ich würde eher mal darauf tippen, dass hier einer nicht mit der Wahrheit rauskommen mag. Er lebt eine Idee zu plakativ zwischen den Trümmern einer größeren Vergangenheit, tanzt darauf, wenn man so will und schließlich pfeift Monika auf die Auseinandersetzung und erlaubt sich etwas, was es bei Pilcher wahrscheinlich in 100 Jahren nicht geben wird: Sex ohne Liebe. Zum Spaß. Wow. Ich fürchte das ZDF hat damit ein paar Stammzuschauer an deren Herzinfarkte verloren. Machen wir in ihrem Gedenken einen Absatz.

Und was macht man nach dem Finale? Foto: ZDF / Stefan Erhard
Und was macht man nach dem Finale? Foto: ZDF / Stefan Erhard

“Ich weiß doch, dass alle von der Familie Pech gehabt haben.”

Wo wir schon bei der ältesten noch lebenden Generation sind – ihre erste Herzrhythmusstörung dürften sie gehabt haben, als Fritz Assmann (Uwe Ochsenknecht), der auch beim Beischlaf nicht die Armbanduhr vom Handgelenk nimmt, einfach mal sagen durfte, dass er aus Überzeugung bei der SS war, ehe er den Gästen Schampus serviert. Kein Moralisieren, nix dazugelernt, so kann man die Nazis auch mal erzählen. Allein die Sprachwahl, wenn euphemistisch von „Pech“ und „gründlicher Zeit“ die Rede und der Holocaust gemeint ist. Für solche Äußerungen wäre man als Figur in „Unsere Mütter, unsere Väter“ noch vorsorglich erschossen worden, hier blicken die Ewiggestrigen schön geradeaus nach vorn, in die Zukunft. Hinter ihnen liegt das von der jüdischen Familie Crohn enteignete Tanzlokal, was durch nichts ungeschehen gemacht werden kann, selbst wenn sich der vermeintlich rechtmäßige Erbe als Betrüger entpuppt. So differenziert kann erzählt werden, wenn die moralischen Grenzen uneindeutig verwischt sind und jeder zuallererst in sich selbst das Opfer der Umstände sieht.

Die Familie kocht über. Foto: ZDF / Stefan Erhard
Die Familie kocht über. Foto: ZDF / Stefan Erhard

Perfekt auf den Punkt bringt es das von Helga (Maria Ehrich) zubereitete Familienessen, bei dem es zum Eklat kommt. Die Wut aller richtet sich dabei auf Monika, die Überbringerin der schlechten Botschaft. Diese eine Szene beinhaltet auf engstem Raum alles, worüber in deutschen Familien seit Generationen lieber geschwiegen wird – wozu sich am Ende auch Monika genötigt sieht, um den Familienfrieden nicht länger zu stören. Großartige Szene. Hier sitzt jedes Wort im Drehbuch.

“Kauende Frauen sind unattraktiv.”

Apropos: Bei Eva (Emilia Schüle) geht der Trend gar zum Zweitbuch. Zunächst glänzt sie aber mit ihren Verführungskünsten bei Prof. Fassbender (Heino Ferch), demgegenüber sie kurz das Dummchen spielt, indem sie manipulativ Pygmalion mit Pygmäen zu verwechseln vorgibt (wir erinnern an das „Kurzwissen aus aller Welt, Band 2 von P bis Z“). Großartig gespielt ist das, und der gewünschte Effekt beim Herrn Professor bleibt nicht aus. Käme dann nicht der torhütende Ehemann Rudi Hauer (Steve Windolf) aus Ostberlin dazwischen, dessen Frau in der Klinik weiterhin unter Strom steht. Der Vergebene kann alleine heulen, ohne dass Eva zuvor selbst auf die Tränendrüse hätte drücken müssen. Hier finden sich zwei verwandte Seelen, für die Eva vorausschauend auch in Band 1 investiert, um sich etwas über Fussball (wird leider nicht mit „V“ oder „Ph“ geschrieben) anlesen zu können. Selbst wenn Torwart kein „richtiger Beruf“ ist, Schreiner ist einer. Nur wird das Mutter Caterina kaum zufrieden stellen, noch dazu, da er bereits verheiratet ist.

Anlehnen ist gerade noch so erlaubt. Foto: ZDF / Stefan Erhard
Anlehnen ist gerade noch so erlaubt. Foto: ZDF / Stefan Erhard

„Weissensee“-Cameo vom jungen Martin Kupfer?

Caterina Schöllack sucht ihren Ehemann Gerd Schöllack (Robert Schupp) auf, der im Osten an einer Grundschule Kinder unterrichtet, wo er rein zufällig einem „Martin“ ein paar begleitende Worte mit auf den Weg gibt und von einer „gerechteren Welt“ schwadroniert. So viel Augenzwinkern der Autorin kann kein Zufall sein, genauso wenig wie das nervöse Zucken im Augenwinkel von Monika. Doch zurück zur fantastischen Szene zwischen den beiden Eheleuten, die sich hier ihre Lebensentwürfe um die Ohren hauen, und Claudia Michelsen darf ihre Caterina endlich aussprechen lassen, was sie innerlich ausgehöhlt hat. Einzig unausgesprochen – aber hinreichend angedeutet – wird jedoch, dass nicht Gerd, sondern Fritz der Vater von Monika ist. Der Plot nimmt keine Gefangenen und trotzdem fühlt es sich nicht aufgesetzt an. Das ist der Verdienst des Regisseurs Sven Bohse, der wirklich alles aus der Buchvorlage herausholt, was darin angelegt war.

„Reklame wird doch auch manchmal wiederholt.“

Wenden wir uns noch dem anderen Geschlecht zu. Von Sonja erfahren wir, dass der Familienpatriarch der Francks interveniert hat, um die schriftstellerischen Ambitionen seines Sohnes zu unterbinden, denn auch bei Traditionen gilt bei Männer der Fokus auf das Wesentliche, nämlich deren Länge. Joachim gibt ein immer tragischeres Bild ab, verloren, richtungslos, ohne ein Ventil, wie es Monika für sich im Tanzen gefunden hat. Sabin Tambrea spielt ihn verletzlich bis kalt, unnahbar und doch charmant, man weiß nie genau, woran man bei ihm ist – gewissermaßen der Falk Kupfer von „Ku’damm 56“. Nach seinem selbstverschuldeten Unfall mit Schlag an den Kopf kann er sich glücklich schätzen, dass er nicht von Prof. Fassbender behandelt wird. Der setzt bei der Behandlung von Homosexualität bei Wolfgang von Boost (August Wittgenstein) – “Jetzt nicht den Arzt anschauen, niiiicht den Arzt anschauen!!!” – ganz auf Konditionierung via Schmerzen, vom Gummiband am Handgelenk bis hin zu Stromschlägen beim Anblick nackter Männer. Ihm zur Benutzung von Gummis zu raten wäre vernünftiger gewesen. Beinahe geheilt vergeht er sich dann an seiner Gattin. Falls sich wer fragt, warum sich Eva gar nicht erst gewehrt hat: Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 strafbar. Kein Tippfehler, keine Pointe.

Ob Monika ihrer Schwester von ihrer Entdeckung berichten wird, wenn sie wieder nüchtern ist? Die ist auch ohne dieses Wissen „Far from Heaven“. Auf jeden Fall weiß sie am Ende der Folge, dass man einen Wettbewerb nicht gewinnen muss, um glücklich zu sein, und das man seine Probleme nicht wegsaufen kann. In ihrer Familie stellt Monika eben das Pendant zum Flitschegummiarmband dar. Welches Geräusch es wohl machen wird, wenn es überdehnt wird und auf eine makellose Oberfläche trifft?

Randnotizen

– Dem magisch leuchtenden Regenschirm von Eva geht leider das Licht aus.
– Monika durfte schon zum zweiten Mal einen Anflug von Achselbehaarung zeigen, was erstaunlich genug ist, um es zu erwähnen.
– Das Knarzen des Drehhockers, wenn Caterina mit der Jukebox kämpft – danke ans Sounddesign für diesen dezenten Lacher.
– Hätte der Professor Wolfgang nicht auch dann einen Stromschlag verpassen müssen, als er ihn anstatt die Bilder angesehen hat? Vielleicht findet sich derlei ja auf der DVD in den Outtakes, ich würd mich freuen.
– Bei der Prontofix – Werbung läuft der 35mm-Film einfach weiter durch, während der Regisseur live ins Bild inszeniert, als wäre es ein digitaler Dreh. Nichts hat mich nervöser werden lassen als das.

„Ku’damm 56“ gibt es in der ZDF Mediathek und die abschließende letzte Folge läuft am Mittwoch, den 23.03. um 20.15 Uhr im ZDF.

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