Die fortschreitende Menschwerdung des William Masters führt zur Staffelmitte unbeabsichtigter Weise dazu, dass die Menschen in seiner Nähe ebenfalls in Bewegung geraten und ihrerseits aus den Käfigen ihrer Gewohnheiten ausbrechen. Heute wieder: eine Folge, zwei Meinungen.
Mit dieser Folge unterstreicht „Masters of Sex“ einmal mehr, dass es mitnichten die großartigen Gaststars Beau Bridges und Allison Janney braucht, um Akzente zu setzen, sondern dass es genügt, sich auf die Charaktere zu verlassen, die die Serie tragen: William, Virginia und Libby. Vor allem Letztere gewinnt deutlich an Profil, seit sie sich zunehmend rebellisch zeigt, sich Fehlentscheidungen erlaubt, aus der Reihe tanzt und nicht die unsichtbare Mutter am Spielfeldrand sein möchte, die brav die Stullen für die Spielpausen Anderer schmiert. Einerseits wünscht sie sich mehr Engagement von Bill in der Familie und der Nachbarschaft, aber kaum kommt er dem nach, ist sie noch frustrierter als zuvor, entsprechen dessen erste Schritte in diese Richtung doch kaum dem, was sie sich darunter vorgestellt hat. Ausgerechnet Football soll ihr Sohn nun spielen – und nach anfänglichen Widerständen scheint dem das auch noch zu gefallen – und ihren Frust darüber lässt sie Bill ebenso spüren, wie sie ihn dem verblüfften Nachbarn Paul Edley ins Gesicht brüllt. Hier zeichnen sich bereits die Anfänge für eine Romanze in der zweiten Staffelhälfte ab, die sich zunächst im Apartment erproben lassen könnten. Wenn William nicht aufpasst, dann verliert er noch seine Familie an den Nachbarn.
Im Elternzoo
Denn Bill erweist sich ausgerechnet für den ebenfalls Football spielenden Bully Dennis, dem gegenüber er etwas gut zu machen hat, als besserer Vater. Mit dessen extrovertierter Körperlichkeit kann er besser umgehen als mit seinem introvertierten Sohn Johnny, der sich jetzt wohl noch weiter verschließen wird als ohnehin schon und damit, ohne es zu ahnen, in die Fußstapfen seines Vaters tritt.
Ein Fehler, der Tessa nicht unterläuft, die überraschender Weise die Gewinnerin dieser Folge ist und generationenübergreifende Einsichten gewinnt. Am Ende will sie weder ihrer Mutter noch ihrer Großmutter nacheifern, sondern dem „beat of her own drum“ folgen, wie es Betty Draper in „Mad Men“ ihrer Tochter gegenüber treffend ausgedrückt hatte. Ob Virginia das anerkennen lernen wird, wie sie es sich von ihrer eigenen Mutter wünscht, wird sich zeigen.
Die Kinder sind in „Masters of Sex“ doch mehr als nur plot-devices und emanzipieren sich langsam, aber sicher zu tragenden Figuren und treten damit doch das Erbe von Sally Draper an. Mein Vertrauen in die Autoren ist jedenfalls vorhanden.
Und wie steht es um das Liebesleben? Wie zu erwarten war, zieht es Virginia mehr zu Dan, dessen „Verwissenschaftlichung“ Bill in blinder (oder tauber) Eifersucht entgangen ist, und er übersieht leider, dass es nun diese Beiden sind, die sich anschicken, die von ihm initiierte Studie auf die nächste Stufe zu heben. Dan hat hier den richtigen Riecher, und dem wohldosierten Charme von Josh Charles gönnt man jede Minute Screentime. Das Unsichtbare der Pheromone und unausgesprochenen Gedanken ist Bills Sache nicht, und so ist er ebenso Gefangener seiner eigenen Triebe wie der traurige Gorilla im Zoo, besungen von Simon and Garfunkel.
Jens Prausnitz
Diesmal obliegt es Marcus Kirzynowski, seinem ärztlichen Kollegen zu widersprechen:
Ich sehe es tatsächlich komplett anders als Kollege Jens und dachte nach etwa einem Drittel der Folge: Oh nein, Janney und Bridges sind wieder weg, es wird langweilig. So toll ich die erste Staffel der Serie fand, desto zunehmend schwerer fällt es mir seit etwa Mitte der zweiten, Woche für Woche mein Interesse am Geschehen wachzuhalten. Zwischendurch gibt es dann immer mal wieder einzelne fantastische Folgen wie eben in den vergangenen Wochen, was dann aber meistens an Figuren oder Handlungssträngen liegt, die von außen ins Alltagsleben der Masters und Johnsons kommen. Es spricht nicht unbedingt für eine Serie, wenn die Nebenfiguren interessanter geworden sind als die eigentlichen Protagonisten.
Also, was hatten wir diesmal? Einen irgendwie überflüssigen Handlungsstrang um Virginia und ihre schwierige Beziehung zu ihrer dominanten Mutter. Reicht es nicht, dass Bill schon einen abwesenden bis brutalen Vater hatte? Mir ist das auch alles zu freudianisch – klar, die Mutter ist (wie bei Bill der Vater) an allem Schuld. Man könnte als Erwachsener ja auch einfach mal versuchen, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen statt die Fehler der eigenen Eltern endlos an die eigenen Kinder weiterzugeben.
Frauen, alleine in Apartments
Interessanter gestaltete sich der Erzählstrang um Bill, seine neue Rolle als (Nachbars-)Kinderversteher und Hobbytrainer. Der steife Dr. Masters am Spielfeldrand – das war schon witzig und eine unerwartete Wendung. Dass er mit seinem eigentlich ja richtigen Schritt, sich als Vater mehr zu engagieren, dann nicht nur seinen Sohn, sondern auch noch Libby vergrault, ist eine bittere Ironie. Letztere flüchtet sich jetzt also in die Rolle der „Frau, alleine in ihrem Apartment“. Als sie dann auf den Nachbarn trifft, dessen Gattin dieses ursprünglich gemietet hatte, um ihn zu verlassen, zeigt sich Libby von ihrer schlechtesten Seite. Der arme Paul muss lediglich als Sündenbock herhalten, da sie sich immer noch nicht traut, ihren eigenen Ehemann mit dem zu konfrontieren, was sie an ihm und ihrer Ehe stört. Die Romanze kann ich hier noch nicht erkennen, wundern würde es mich allerdings auch nicht mehr, da sich die Serie ohnehin immer mehr in Richtung Primetime-Soap mit besserer Charakterisierung (und besseren Schauspielern) entwickelt.
Dann gibt es noch einen völlig uninteressanten „Fall der Woche“, der nicht viel mehr Erkenntnisse bringt, als dass vermeintliche Frigidität eher was mit dem Partner als mit dem eigenen Körper zu tun haben kann – und dass es auch junge Frauen gibt, die Bill Masters attraktiv finden. Entweder die Autoren lassen sich bald mal interessantere Geschichten einfallen oder ich guck lieber noch mal „The West Wing“ – da ist wenigstens Allison Janney in (fast) jeder Folge dabei.
Marcus Kirzynowski