Klaus Zimmermann hat viel Erfahrung mit internationalen Serien-Koproduktionen für deutsche, amerikanische, britische und französische Partner. Bei einer Podiumsdiskussion in Berlin sprach er über die Arbeit mit Writer’s Rooms, die Probleme, dafür europäische Autoren zu finden, und den Studiengang Serial Eyes, der deutsche Showrunner ausbilden soll.
Es war eine kleine, unscheinbare und doch hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, die die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) zusammen mit dem Filmnetzwerk Berlin und dem Studiengang Serial Eyes am 20. Februar am Potsdamer Platz vor etwa dreißig Zuhörern veranstaltete. Zu Gast war Klaus Zimmermann, ein mit allen Wassern gewaschenes Produzenten-Schwergewicht. Er hat eine ganze Reihe großer TV-Serien zu verantworten, die in komplexen Koproduktionen von europäischen und US-amerikanischen Autoren, Sendern und Investoren zustande gekommen sind. Benjamin Harris, der Leiter des europäischen Post-Doc-Studienprogramms Serial Eyes, das in Berlin bei der DFFB angesiedelt ist, interviewte ihn so gut vorbereitet und eloquent, dass es eine Freude war. Sie gingen gemeinsam durch die Film-Vita des Gastes, der auch über jene Erfahrungen im Serienbusiness plauderte, von denen die breitere Öffentlichkeit aus guten Gründen nichts weiß.
Zimmermann, Jahrgang ’66 (sieht aber aus wie Jahrgang ’80!), hat in Paris Jura und Management studiert, bevor er 1993 bei der Kirch-Gruppe in München anheuerte. Dort war zunächst der Ausnahme-Produzent Jan Mojto sein Mentor. Das Seriengeschäft lernte er mit den großen Depardieu-Produktionen „Der Graf von Montechristo“ (1998), „Balzac“ (1999), „Les Misérables“ (2000) und „Napoleon“ (2002). Nach der Insolvenz des Kirch-Imperiums ging er zurück nach Paris, wo er mehrere Firmen gründete oder mitgründete und gleichzeitig Führungspositionen in dort florierenden Medienunternehmen übernahm – im gehobenen Produzentenbusiness ist das kein Widerspruch, sondern fast schon die Regel.
Borgia: Europäer verfilmen ihre eigene blutige Geschichte
Die erste Serie, über die Zimmermann ausführlich erzählte und die er als Produzent maßgeblich verantwortet hatte, war „Borgia“. Dieses Projekt wurde 2009 während eines Abendessens in Paris geboren, bei dem jemand in die Runde fragte, warum so eine grandiose Serie über europäische Geschichte wie „The Tudors“ (2007-2010) in den USA von Showtime produziert werden kann – während es nichts Vergleichbares aus Europa selbst gibt. Stoffe seien doch wohl genug vorhanden. Nach kurzem Brainstorming war klar: die Borgias! Das ist Sex, Gewalt, Machspiele, große Gefühle, Politik und europäische Weltgeschichte. Also machten Zimmermann und seine Partner sich daran, ein Team zusammenzustellen. Erstmals wollte man nach amerikanischem Vorbild die Gesamtverantwortung auch einem richtigen Showrunner übertragen. Da es aber in Europa niemanden gab, der diesen Job schon einmal gemacht hat, holten sie sich sicherheitshalber den amerikanischen Profi Tom Fontana, der in den USA bereits 400 Stunden TV-Serien als Showrunner erfolgreich produziert hatte (u.a. „Homicide“). Als Regisseur für die ersten vier Folgen hatten sie Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“, 2004, ab dem 27. März mit „Der gleiche Himmel“ im ZDF) verpflichtet, gedreht werden sollte in Prag. Mitten in der Finanzierungphase, als alles schon geplant, kalkuliert und ‚packaged‘ war, passierte der Albtraum: Showtime begann zur selben Zeit mit der Entwicklung eines eigenen Borgia-Projekts! Jeremy Irons für die Hauptrolle des Rodrigo Borgia hatten sie schon. Das hätte fast alles umgeschmissen. Zimmermanns Team schaffte es gerade noch über die Ziellinie mit einem Budget von zwei Millionen Euro pro Folge. Showtime ging dagegen mit fast fünf Millionen Dollar pro Folge in die Produktion.
Showrunner Fontana erwies sich als ein ungeheurer Glücksgriff, denn er hielt nicht nur mit größter Ruhe und Autorität die Zügel des kreativen Prozesses fest in der Hand. Er konnte etwa fließend Latein und las die Briefe der Borgias im Original. Auch die widerstreitenden Kräfte, die ihm wie erwartet trotz seiner alleinigen Zuständigkeit in die Drehbücher, in die Organisation und in den Cast reinreden wollten, bügelte er professionell und elegant ab. Das nächste große Problem kam von einer ganz unerwarteten Seite, bei dem auch Fontana nicht helfen konnte. Zimmermanns Team suchte in ganz Europa nach Drehbuchautoren, die mit Fontana zusammen in dessen Haus in New York im Writers‘ Room arbeiten sollten, um die Serie zu entwickeln. Das heißt, arbeitsteilig und perfekt abgestimmt auf Englisch Spannungsbögen aufbauen, Plots entwerfen, Szenen ausdenken und Dialoge schreiben. Zu Zimmermanns großer Frustration fanden sie in ganz Europa keine Drehbuchautoren, die dafür qualifiziert waren.
Erst beim Get-Together nach der Podiumsdiskussion wurde folgender Zusammenhang klar: Diese Situation war für Zimmermann der Anlass, ein europäisches Programm zur Ausbildung von Serienprofis zu starten. Er war also der Initiator und Gründer der Institution, deren Gast er dort vorne auf dem Podium war. Moderator Harris und er hatten einfach vergessen (oder waren zu bescheiden), das zu erwähnen. Wir wollen das hier nachholen.
Was ist Serial Eyes?
Das Programm Serial Eyes, eine Art MBA für zukünftige Serienautoren und -produzenten, läuft seit 2013 gerade zum fünften Mal an. Zwölf Drehbuchautoren aus ganz Europa (genau gesagt: EU, Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein) können in den Genuss einer absoluten Top-Ausbildung im Serienbusiness kommen, wie es sie bisher auf dem alten Kontinent nicht gab. Am Ende sollen sie die Reihen neuer Autoren, Produzenten und Showrunner für europäische Serien verstärken. Größter Sponsor des Programms ist seit September 2016 der französische Medienkonzern Vivendi (Canal+, Universal Music). Die Bewerber sollten Idealerweise zwischen 25 und 35 Jahre alt sein, mehrere geschriebene Entwürfe für Serien haben, vielleicht schon eine – in welchem Format oder Medium auch immer – produzierte Serie vorweisen können und unbedingt Ideen für mehrere weitere Serienprojekte mitbringen. Zum Programm gehören jeweils zweiwöchige Workshops an der London Film School und an der Danish Film School in Kopenhagen sowie die aktive Teilnahme an der MIPTV in Cannes, dem weltweit größten Markt für TV und Media Content.
Die Teilnehmer lernen, mit anderen Autoren im ‚Writers‘ Room‘ zu arbeiten und pitchen ihre Serienprojekte mehrmals im Laufe des Studiengangs vor Profis, nämlich im Februar zur Berlinale, im April in Cannes bei der MIPTV und zum Abschluss des Studiengangs im Mai wieder in Berlin. Am Ende der Ausbildung gibt es für einen der zwölf Abgänger den Big Light Prize, ein mit insgesamt 9.000 Euro honoriertes dreimonatiges Volontariat bei der Firma Big Light Productions in London. Deren Gründer und Chef, der Serienmogul Frank Spotnitz („X-Files“, „The Man in The High Castle“), ist – ach, was! – auch einer der leitenden Dozenten von Serial Eyes. Die regulären Teilnahmegebühren für diese Serien-Kaderschmiede liegen bei satten 4.500 Euro. Darin enthalten sind die Trips nach London, Kopenhagen und Cannes – Unterkunft inklusive, versteht sich. Für Berlin und London gibt es sogar eine Dauerfahrkarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel. Und jetzt haltet euch fest: Bis zu drei der zwölf Studienplätze werden komplett als Stipendien vergeben! Die Bewerber müssen nur darlegen, dass sie die Gebühren nicht aus eigenen Mitteln bezahlen können. Die Late Deadline für die diesjährige Anmeldung für das Programm (nicht für Stipendien; da war’s der 1. März) ist der 1. April. Kein Scherz!
Transporter: Uneinigkeit über die Ausrichtung
Dann erzählte Zimmermann von „Transporter – The Series“ (2012), die auf Luc Bessons Franchise aufbaute und an der er selbst beteiligt war. Hier kam es jedoch zu Konflikten zwischen den beteiligten Sendern, die sich über die inhaltliche Ausrichtung nicht einig waren. Die einen wollten eine eher humorige Action-Serie, die anderen einen blutigen Action-Thriller. Das ging soweit, dass ein Sender ohne Zimmermann zu informieren Leute entließ, die er eingestellt hatte. Deshalb sei die Serie nach Aussagen ihres eigenen Produzenten so irre schlecht geworden. Trotzdem mochten die Zuschauer diesen Mist irgendwie, hinter dem niemand mehr wirklich stand, und so gab es dann tatsächlich noch eine zweite Staffel. Spaß gemacht hat das aber wohl nicht.
Death in Paradise: britischer Eigensinn als Erfolgsrezept
Lustig ging es dagegen bei einem anderen europäischen Serienprojekt zu, in dessen erfolgreichem Verlauf die BBC zunehmend die Führungsrolle übernahm. „Death in Paradise“ (2011) ist die Geschichte eines britischen Kommissars, der auf die (fiktive) französische Insel Sainte-Marie in der Karibik fliegen muss, um die Ermordung seines britischen Kollegen zu klären. Dabei hasst er alles an diesem Auftrag: die Sonne, die Hitze, Sand und Strände, das Essen, die entspannten Leute, einfach alles. Die sogenannte ‚Premise‘ der Serie hat wunderbar funktioniert. Der Protagonist wird an unseren Sehnsuchtsort geschickt, den wir in jeder Folge in den schönsten Farben ausgeleuchtet sehen, mit dem er selbst aber als britischer Sonderling absolut nichts anfangen kann. Inzwischen läuft die karibische Krimi-Komödie in der sechsten Staffel. In diesem Zusammenhang erwähnte Zimmermann, dass Großbritannien das mit Abstand schwierigste Land in Europa sei, um Serien zu finanzieren, zu produzieren oder zu verkaufen. Was den britischen Eigensinn angeht, der die Würze von „Death in Paradise“ ist, so durchzieht er alle Geschäftsbereiche von Film und Fernsehen. In diesem Projekt hatte er allerdings Glück mit den britischen Partnern.
Jo: Englisch sprechende Franzosen in Paris
Schwieriger wurde es wieder mit dem Crime Procedural „Jo“ (2013), in dem Jean Reno im „Da Vinci Code“-Modus als Ermittler-Veteran einer Eliteeinheit mysteriöse Morde in Paris aufklärt. In jeder Folge steht ein anderes Monument der Stadt im Zentrum der Handlung. Die Finanzierung war ein Kinderspiel mit Frankreichs berühmtestem Filmschauspieler als Hauptdarsteller. Interessanterweise wurde die Serie ganz in englischer Sprache gedreht. Zimmermann meinte, dass das inzwischen kein Hindernis mehr sei, im Gegenteil. Bei der Auswertung der Serie hätte das nur Vorteile. Für die Franzosen selbst wird sie einfach nachsynchronisiert. Doch die Serie verpasste knapp die wichtigste ‚Demo‘ (demographische Zielgruppe) in Frankreich: Frauen zwischen 19 und 49. Deshalb wurde die Serie nach einer Staffel abgesetzt. Das ist kein Wunder, denn wie man in dem vorgeführten Trailer sehen konnte, war Jean Reno einfach zu alt für die Rolle. Er konnte nicht mehr das spielen, was früher seine Magie ausmachte, nämlich das ‚Love interest‘ für die weiblichen Zuschauer. Zudem wirkte der Tonfall der Serie zu ‚slick‘ und zu cool. Showrunner Rene Balcer hat die Dialoge und das Acting so ausgelegt, wie er es wohl in L. A. gemacht hätte. Das passte aber weder zu den Charakteren noch zu Paris, sondern wirkte seltsam aufgesetzt und emotionsarm.
Trapped: regionale Verankerung für internationalen Erfolg
Inzwischen hat Zimmermann seine Serienprojekte in seiner eigenen Firma Dynamic Television mit Sitzen in Paris, Los Angeles und Berlin gebündelt. Für gerade einmal 6,5 Millionen Euro hat er kürzlich die Serie „Trapped“ (2015) im Nordic-Noir-Stil auf Island erfolgreich produziert. Als ihm das Projekt von dessen Autoren gepitcht wurde, hatten sie bereits eine Serienbibel und die Drehbücher für die ersten beiden Folgen, das meiste davon noch auf Isländisch. Die Geschichte folgt einem Polizisten in einer entlegenen Ortschaft in Island, der nicht nur mit einem der wenigen Mordfälle völlig überfordert ist, die dort je vorgekommen sind, sondern auch noch vom Schneesturm eingeschlossen ist. Es wird wenig gesprochen und Gefühle werden ganz auf isländische Art nur tiefgefroren serviert. Eigentlich hört sich das nach Gift für eine gute Serie an. Doch, so beobachtet Zimmermann, genau die treue Wiedergabe dieser kulturellen Eigenheiten und Seltsamkeiten gibt der Serie, zusammen mit den wilden Landschaften, ihren außerordentlichen Reiz. Der starke IMDB-Score von 8,2 gibt ihm recht. Daher, so Zimmermann weiter, bräuchten Serien, um international erfolgreich zu sein, einen starken Anker in einer lokalen oder regionalen Kultur. Mit anderen Worten, es wird immer schwieriger, Serien aus Kontexten heraus zu produzieren, mit denen die Autoren nicht intim vertraut sind.
In Zukunft sieht Zimmermann für das Seriengeschäft einen Rückgang an historischen Serien – vermutlich wegen des ungünstigen Verhältnisses von hohen Budgets zum ebenso hohen Risiko, dass selbst damit die Zielgruppen nicht erreicht oder zufriedengestellt werden können – und eine starke Zunahme an ‚Event Dramas‘, womit er als SciFi-Fan etwa die von ihm sehnsüchtig erwartete Verfilmung von Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“ meint. Darüber hinaus sieht er, unabhängig vom Genre, beste Aussichten für alle Serienprojekte, die auf wahren Geschichten beruhen.