Same, same but different: die kanadische Klon-Mystery- Serie „Orphan Black“

Die Heldin wider Willen: Sarah (Tatiana Maslany); Fotos: BBC America

Wenn die großen US-Networks nur noch standardisierte Massenware liefern, kann man froh sein, dass es noch andere Fernsehnationen gibt: Mit „Orphan Black“ kreierte der kanadische Sender Space zusammen mit BBC America eine ebenso virtuose wie packende Sci-Fi-Action-Serie in bester Genre-TV-Tradition. Bei den wichtigsten Fernsehpreisen übergangen, dominiert die Hauptdarstellerin die Serie mit einer One-Woman-Show, die ihresgleichen sucht.

Anfangs wirkt Sarah Manning wie eine junge Frau, die ihr Leben nicht so wirklich im Griff hat: Ihr Freund ist ein Drogendealer, ihre kleine Tochter Kira lebt bei Sarahs Pflegemutter, die sie am liebsten von Sarah fernhalten möchte, seit fast einem Jahr hat Sarah ihr Kind nicht mehr gesehen. Um das zu ändern, ist sie jetzt nach Toronto zurückgekommen, aber gleich in der ersten Szene hat sie eine Begegnung, die alles auf den Kopf stellen wird, so dass ihr bisheriges chaotisches Leben eher wie ein Spaziergang in der Sonne erscheinen wird: Am Bahnsteig sieht sie eine Frau, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten ist – und noch ehe Sarah ein Wort an sie richten kann, springt die vor einen einfahrenden Zug. Sarah schnappt sich ihre Handtasche und schlüpft bald in die Haut der Toten, um an deren Geld zu kommen, das sich in großer Menge auf ihrem Konto sammelt. Was Sarah noch nicht ahnt: Die Selbstmörderin Beth war ein Cop und nicht die einzige Doppelgängerin, der sie noch begegnen wird.

Die kanadische Mystery-Sci-Fi-Action-Serie „Orphan Black“ beginnt rasant und steigert das Tempo danach im Grunde stetig. Nur selten nehmen die Macher Geschwindigkeit aus der Erzählung heraus. Schon in den ersten beiden Folgen wird auf Sarah geschossen, sie muss eine Leiche vergraben und nicht nur Beths Partner bei der Polizei, sondern auch deren Freund davon überzeugen, dass sie selbst Beth ist (was in letzterem Fall am einfachsten mit spontanem Sex auf dem Küchentisch geht). Zu Beginn ist es Sarah selbst, die in mehrere Rollen schlüpfen muss, die ihren britischen Akzent gegen einen kanadischen und kurz darauf gegen einen deutschen wechseln muss. In der dritten Folge tauchen dann erstmals weitere Doppelgängerinnen auf, die tragende Rollen übernehmen: die spießige Vorstadt-Mutti Alison und die smarte Studentin Cosima. Und spätestens jetzt wird die Serie zur schier unglaublichen One-Woman-Show: Wie die damals 27-jährige Tatiana Maslany scheinbar mühelos zwischen diesen höchst unterschiedlichen Frauenfiguren hin und her wechselt, hat man so wirklich noch nie gesehen.

Die Vorstadt-Mutti: Alison

Obwohl es sich bei den Frauen um genetisch identische Klone handelt, könnten sie nämlich charakterlich kaum verschiedener sein. Entsprechend legt Maslany jede ihrer Rollen komplett anders an. Dass man teilweise fast vergisst, dass es sich immer um dieselbe Schauspielerin handelt, ist nicht etwa einer aufwändigen Maske zu verdanken. Mal ein wenig Lippenstift, mal eine Brille (der alte Clark-Kent-Trick) und natürlich unterschiedliche Frisuren, das ist vom Aussehen her alles. Aber Maslany stattet jede Figur mit anderen verbalen und mimischen Eigenheiten aus, jeder verleiht sie ihre jeweils eigenen Ticks und Manierismen – ohne dass diese jemals aufgesetzt oder unnatürlich wirken würden. Besonders faszinierend ist das natürlich in den Szenen, in denen sie quasi mit sich selbst interagiert. Dabei spricht jede ihrer Figuren etwas anderes im Zuschauer an: Sarah ist am sympathischsten, Alison in ihren Emanzipationsversuchen aus dem braven Hausfrauendasein am lustigsten, die „Evo-Devo“- (evolutionial developmental biology) Studentin Cosima die sexyste und die ukrainische Killerin Helena einfach am durchgeknalltesten. Dafür, dass alle diese Figuren aber weit mehr sind als Schablonen, sondern wie echte Frauen aus Fleisch und Blut wirken, hätte Maslany alle TV-Darstellerinnen-Preise der vergangenen Saison verdient gehabt – bekommen hat sie bei den wichtigeren leider nur eine Golden-Globe-Nominierung.

Die Studentin: Cosima

Gegenüber dieser Leistung verblassen alle anderen Schauspieler fast zwangsläufig. Dylan Bruce wirkt zu glatt als Beths/Sarahs zwielichtiger Lover Paul und Kevin Hanchard als Beths Partner Art etwas zu bemüht den harten Cop (natürlich mit weichem Herz) mimend. Lediglich Jordan Gavaris kann als Sarahs schwuler Pflegebruder und einziger wahrer Vertrauter Felix mit seinen sarkastischen Sprüchen überzeugen. Die Story selbst ist natürlich alles andere als neu. Ähnliche Problemlagen und Grundsatzfragen nach der Einzigartigkeit des Menschen in den Zeiten technischer Reproduzierbarkeit kennt man aus Filmen wie „Blueprint“ oder „Die Insel“ und den Widerspruch zwischen individuellem Selbstbehauptungsanspruch und den Eigentumsinteressen einer mysteriösen „Firma“ am genetisch erzeugten Menschen aus James Camerons Science-Fiction-Serie „Dark Angel“. Trotzdem wird das Ganze hier nie langweilig, weil die Autoren dem Zuschauer keine Atempause gönnen. Für Theorie bleibt nie viel Zeit, schon steht der nächste Anschlag, die nächste Gefahr der Enttarnung oder schlicht der nächste Klon ins Haus.

Die irre Killerin: Helena

In Erzähltempo und -struktur erinnert „Orphan Black“ dabei an gute US-amerikansiche Network-(Genre-)Serien – als es diese noch gab, etwa an die frühen Staffeln von „24“ oder „Heroes“. Mit dem Unterschied, dass in dieser Koproduktion für den kanadischen Sender Space und den US-Kabelkanal BBC America eben auch mal explizit zur Sache gegangen werden darf, sei es verbal oder was Sex und Gewalt angeht. Das wiederum lässt einen, gemeinsam mit der Überdrehtheit, der Respektlosigkeit gegenüber bürgerlichen Werten und natürlich dem Akzent Sarahs und Felix‘, an jüngere britische Serien denken, vor allem an „Misfits“. Man bekommt hier also praktisch das beste zweier Welten geboten: den Mainstream-Appeal gelungener US-Networkserien und den edgy touch und schwarzen Humor britischer Jugendserien.

Obwohl „Orphan Black“ von der ganzen Anlage her eine Show ist, die Kritiker typischer Weise gerne übersehen, unterfordern die Autoren um Graeme Manson und John Fawcett ihre Zuschauer keineswegs. Man muss schon sehr genau aufpassen, um im ständigen Eifer des Gefechts alle Handlungsumschwünge und Enthüllungen mitzubekommen. Und ebenso packend wie die gelungene Action sind die einfühlsameren Momente, die einen an die Figuren binden. Die philosphischen Fragen, die hinter dem Konzept stecken, werden dabei ganz nebenbei vermittelt, und im Grunde durch die Charakterisierung der Figuren auch gleich überzeugend beantwortet: Was den Menschen ausmacht, sind eben nicht die (hier völlig gleichen) Gene, sondern Herkunft, Erziehung und Erfahrungen. So deutlich und unterhaltsam wie Tatiana Maslany kann das wohl kein Lehrbuch der Welt vermitteln.

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