Bevor im Herbst Staffeln 3 und 4 im Fernsehen anrollen sollen, strahlt der ORF zuvor noch einmal die ersten beiden aus. Dass nach den mauen Einschaltquoten der zweiten Staffel überhaupt eine vierte bestellt wurde, verheißt schon, dass „CopStories“ eines der stärksten Pferde im österreichischen Serienstall ist. Wer sich nicht vom heißen Wetter abschrecken lässt, hat damit jetzt die optimale Gelegenheit, in die Serie hineinzuschnuppern. In Erwartung der neuen Staffel wird auch Fortsetzung.tv die Serie wöchentlich begleiten.
„CopStories“ ist eine dramaturgisch sehr komplexe Serie: Mit 11 Hauptfiguren und mehr als einer Hand voll Handlungssträngen pro Episode wird den Zusehenden viel an Aufmerksamkeit abverlangt. Die Fälle reichen von klein- und kleinstlich bis hin zum Setup für die staffelübergreifenden Ermittlungen – gerade wenn man die Serie schon kennt, kommt man nicht umhin zu staunen, wie die Serie sich ihrer Sache schon sicher wirkt, insbesondere was die Verflechtung der einzelnen Stränge betrifft. Ansonsten gibt sich „CopStories“ zu Serienbeginn ganz klassisch – gleich zwei Figuren sind neu in dieser Arbeitsumgebung, in jeglicher Polizistenpaarung prallen Gegensätze aufeinander, etc.
Der Pilot „Bahöh“ bemüht sich redlich, trotz der knappen Erzählzeit die Konturen der meisten Hauptfiguren zu zeichnen. Wie in den weiteren Folgen (die hier natürlich nicht gespoilert werden) bleiben einige der Hauptcharaktere noch im Hintergrund – über Chefinspektorin Helga Rauper oder Bezirksinspektorin Leila Mikulov erfahren wir vorerst noch nichts -, werden aber bereits einige Charakterschwächen und -stärken angerissen und thematisiert. Bis auf ein paar Ausnahmen hat die Serie bereits sämtliche Figuren klar umrahmt, ohne explizit auf Hintergrundgeschichten hinweisen zu müssen (außer bei Sylvester, aber selbst bei dem ist seine Hooligan-Vergangenheit eher eine Erklärung für sein Verhalten statt Ersatz für Charakterisierung).
Autoritätsinstitution in Gefahr
Was „CopStories“ gerade in „Bahöh“ ausgezeichnet löst, ist die Verwebung der Charakter-Einführungen mit den gesellschaftlichen Problemen, der sich die Serie widmen wird. In einer Zeit, in der ziviler Ungehorsam populär ist und gerne für die eigenen Bedürfnisse missverstanden wird, während gleichzeitig die Gefahr steigt, für Lapalien gerichtlich geahndet zu werden (personifiziert durch den aalglatten Rechtsberater), stellt sich für die Polizei von heute die Frage, wie autoritär sie ihrer Arbeit nachgehen soll und überhaupt kann. Das schwingt auch in kleineren Fällen mit (die Jugendlichen, die Matthias den blanken Hintern zeigen; der Mann, der Helgas Anweisungen ignoriert, keine Fotos zu machen), spielt aber insbesondere am Yppenplatz eine zentrale Rolle.
Sicherlich hat das primär mit Selbstvertrauen und Auftreten zu tun. Wenn Roman mit seiner naiven, positiven Einstellung nicht mehr weiter weiß, kippt die Situation, weil die Jugendlichen erkennen, dass Roman ihnen, wenn auch ungewollt, Spielraum gibt. Die Uniform verschafft zwar einen gesunden Respektabstand, aber was, wenn die Lage eskaliert, so wie es am Yppenplatz rund um das Klavier passiert? Wenn der türkische Jugendliche Roman als „maximal a Schwuchtel“ bezeichnet, verletzt das Roman (mehr in seiner Autorität als persönlich), und trotzdem darf er sich nicht provozieren lassen – egal, was er tut, an dieser Stelle hat er schon verloren. Sylvester lockert die Situation vorerst mit seinem selbstsicheren Schmäh – doch der Schaden ist bereits angerichtet, die Autorität des Gesetzes und seiner Hüter angegriffen. Es spricht für Sylvester, Roman keinen Vorwurf zu machen – dessen Stärken liegen nunmal anderswo (nämlich darin, eine gelungene Wiedergutmachung zu finden) – auch wenn es ihn zuerst natürlich frustriert, dass Romans Unsicherheit dazu führt, dass er den tödlichen Zwischenfall nicht gesehen hat.
Der Handlungsstrang rund um das Klavier ist eine der gelungensten der ganzen Serie. Er charakterisiert Roman als nicht autoritär, Sylvester als cool, Florian als kinderlieb sowie Tina als Rookie mit erstaunlich kühlem Kopf – sofort . Gleichzeitig besitzt er aber auch durchaus eine gewisse Prise an Poesie: Fast wie in einem Märchen vereint das Klavierspiel des autistischen Mädchens die Völker und Generationen und wird dabei nebenbei zur Elegie des verstorbenen Drogensüchtigen sowie Anstoß für die Musiksequenzen, die „CopStories“ in jeder Episode über eine Schlussmontage legen wird, in der die Geschehnisse des Tages rekapituliert bzw. in punktierter Weise zu Ende erzählt werden. In diesem Sinne ist „Bahöh“ eine ideale Blaupause für das Format der „CopStories“, möchte man meinen – wie sich das entwickeln wird, werden wir in den nächsten Wochen sehen.
Stigmatisierungen und Klischees
Man kann „Bahöh“ vorwerfen, dass die Resolution des Konfliktes am Yppenplatz mit rosa Brille betrachtet wird – einerseits, weil die ausländerfeindlichen Standpunkte teilweise zu primitiv dargestellt werden (vor allem in Matschkas Eröffungsrede), und andererseits weil sich die Gemüter und Wogen ein wenig gar schnell beruhigen. Gewisse Abkürzungen darf sich die Serie leisten, wenn es dazu dient, eine gute Geschichte zu erzählen. Dass die Polizisten (inklusive Oberst!) zudem eigenhändig das neue Klavier aufstellen – das ist schon reichlich dick aufgetragen, aber schön ist es auch.
Auf jeden Fall muss man aber der Serie zu Gute halten, sich diesem Thema überhaupt anzunehmen, weil es einer der Knackpunkte der österreichischen (und vielleicht auch internationalen) Gesellschaft ist: Wie geht man mit Verbrechern um, die einer Minderheit angehören, ohne sie zu stigmatisieren? „Bahöh“ bleibt eine Antwort vorerst schuldig, die Worte der Integrationsbeauftragen Selma Kumran-Effenberg versprechen jedoch, dass das Thema brisant bleiben und wieder aufgegriffen wird.
Die Behandlung dieser Frage wird in „Bahöh“ dadurch abgeschwächt, dass erst sehr spät in der Folge erwähnt wird, dass der tote Drogensüchtige ein Ausländer sei – rein optisch war das nicht festzustellen, und so verschläft die Folge ein wenig ihren eigenen Konflikt. Aber auch anderswo taucht das Thema „Ausländer“ in der Serie auf, und zwar in Form vom Handlungsstrang rund um Cousin Dogan: Ist es klischeehaft, dass Türke Efe einen Dönerladen betreibt und für ihn und seine Brüder Familie wichtiger als alles ist? Sicher. Aber es ist auch gut gemacht, die Dialoge wirken insbesondere zwischen den Geschwistern besonders natürlich, und Dogans prominente Präsenz sowie Altans zweideutiger, wortloser Abgang verheißen eine prominente Storyline.
„Bahöh“ ist also ein Staffelauftakt, wie ihn sich „CopStories“ nur hat wünschen können – eine Folge, die sofort vermittelt, um was es (in) der Serie geht und wie sie ihre Geschichten erzählt. Die Fülle an kleinen Handlungssträngen wie jene um die gestohlene Kaffeemaschine sind sicherlich Geschmackssache – auf Kosten der Bandbreite an Figuren geht beizeiten sicherlich ein wenig die Tiefe verloren, doch „Bahöh“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Serie beides hinkriegen kann – auch wenn sie dabei ein wenig oberflächlicher ist, als sie es zugeben möchte.
„CopStories“ Staffeln 1 und 2 werden seit 7. Juli jeden Dienstag um 21:05 Uhr auf ORFeins ausgestrahlt. Danach sind die Folgen für sieben Tage in der ORF-TVthek (auch europaweit) verfügbar. Beide Staffeln sind als DVD erhältlich.
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