Eher Fast Food als Haute Cuisine: NBC adaptiert „Hannibal“

Seit kurzem sind Serienkiller im US-Fernsehen stark angesagt. Und damit nicht genug: Zwei der in den vergangenen Wochen gestarteten Serien um psychisch gestörte Gewohnheitsmörder basieren auch noch auf bekannten Filmfiguren. Man könnte denken, wenn den Fernsehmachern gar nichts mehr einfällt, setzen sie halt auf aus dem Kino altbewährte Stoffe. Nach Norman Bates in „Bates Motel“ bekam nun Anfang April also auch noch der allseits beliebte Kannibale Dr. Hannibal Lecter seine eigene TV-Show.

Ein Gaumenschmaus? Mads Mikkelsen als Dr. Hannibal Lecter; Fotos: NBC

Mit dem schlicht „Hannibal“ betitelten Psycho-Horror-Thriller will NBC die zahlreichen Fans der Romane von Thomas Harris sowie von deren Kinoverfilmungen vor die Fernseher locken. Bereits fünf Mal war der Psychiater mit der Vorliebe für Menschenfleisch auf der großen Leinwand zu sehen, davon drei Mal verkörpert von Anthony Hopkins, der die Rolle geprägt hat wie kein anderer.

In diese großen Fußstapfen tritt nun ausgerechnet Mads Mikkelsen, der Kinogängern bisher hauptsächlich aus dänischen Dramen wie Susannes Biers großartigem „Nach der Hochzeit“ oder aktuell Thomas Vinterbergs „Die Jagd“, aber auch als Oberschurke Le Chiffre aus dem Bond-Streifen „Casino Royale“ bekannt sein dürfte. „Hannibal“ ist seine erste internationale Serienrolle – da konnte man durchaus einiges erwarten. Er bleibt aber leider sehr blass. Das könnte zum einen daran liegen, dass er nicht besonders viel zu tun bekommt. In der Auftaktfolge taucht er überhaupt erst nach einem Drittel zum ersten Mal auf, in den beiden weiteren Episoden hat er teilweise noch weniger Screentime. Dass die Serie nach seiner Figur benannt ist, wirkt dadurch fast wie ein Etikettenschwindel. Zum anderen hat Mikkelsen beim Englisch eine derart undeutliche Aussprache, dass es sehr schwer fällt, ihn überhaupt zu verstehen. Und ein nuschelnder Dr. Lecter wirkt auch nur noch halb so bedrohlich wie ein wohlartikulierender.

Die eigentliche Hauptfigur: Will Graham (Hugh Dancy)

Ehrlicherweise müsste die Serie „Will“ heißen, denn Will Graham (Hugh Dancy, der sterbende Freund aus der zweiten „The Big C“-Staffel) ist ihre eigentliche Hauptfigur. Der beim psychologischen Eignungstest des FBI durchgefallene Spezialist für Serienmorde darf dank seiner besonderen Gabe trotzdem für die Bundespolizei arbeiten: Er kann sich nämlich so stark in die Täter hineinversetzen, dass er (und mit ihm die Zuschauer) deren Verbrechen vor seinem inneren Auge quasi selbst durchlebt. Eine Angewohnheit, die das Leben außerhalb der Arbeitszeit selbstverständlich nicht unbedingt einfacher macht. So hat Graham dann auch gehörig einen Knacks. Ihm wird von seinem Vorgesetzten, dem FBI-Agenten Jack Crawford (Laurence Fishburne aus der „Matrix“-Trilogie), nun ausgerechnet Dr. Lecter als psychiatrischer Berater zur Seite gestellt. Fortan ermittelt das ungleiche Gespann alltäglich gemeinsam an brutalen Serienmorden, ohne dass Graham ahnt, dass sein Partner nach Feierabend gerne selbst mal zum Schlachtermesser greift, um seine perversen kulinarischen Gelüste zu befriedigen. Wobei man getrost davon ausgehen kann, dass der geniale Graham früher oder später Verdacht schöpfen wird.

Fall der Woche erreicht nur „CSI“-Niveau

Von der Chemie zwischen den beiden Killerjägern, die beide selbst psychisch beschädigt sind (freilich mit unterschiedlich schwerwiegenden Folgen für ihre Zeitgenossen) soll nun wohl die Serie ihren Hauptreiz beziehen. Leider bleibt sie bisher noch eher angedeutet, als dass sie wirklich zu spüren wäre. Dieser Reiz wäre aber dringend nötig, haben die Autoren doch sonst mit den durchaus tollen Bildern nur wenig Interessantes zu erzählen. Gleich in der zweiten Folge gibt es einen recht durchschnittlichen Fall der Woche, der sich nicht wesentlich von dem unterscheidet, was auch bei den diversen „CSI“-Ablegern zu sehen ist. In der ersten Folge wird mit einer Mordreihe an Collegestudentinnen, die alle der Tochter des Killers ähnelten, schon ein größeres Fass aufgemacht, ziehen sich die Folgen der Taten doch auch durch die weiteren Episoden. Es ist nämlich eine sogenannte „Copycat“ aufgetaucht, ein Nachahmungstäter, den es noch dingfest zu machen gilt. Zudem hat die Tochter des ursprünglichen Mörders die Attacke ihres Vaters überlebt und muss nun irgendwie die schreckliche Wahrheit verarbeiten. Das böte durchaus Potential für tiefes Drama, dazu bleibt das Drehbuch aber einfach zu flach. Überhaupt krankt die ganze Serie an den Scripts, die weder besonders spannend noch wirklich originell oder auch nur glaubwürdig sind. Wo das Gezeigte Spannung oder Grusel nicht hergibt, muss dann ständig die Musik nachhelfen, frei nach dem Motto: Der Soundtrack gibt dem Zuschauer schon vor, was er gerade fühlen soll.

Technisch ist an der Serie nichts auszusetzen: Die Inszenierung ist modern und auch die Verantwortlichen für Kamera, Schnitt, Musik, Ausstattung, etc. verstehen ihr Handwerk. Etwas verschenkt wirkt hingegen der Großteil des ja durchaus hervorragend zusammengestellten Casts. Im Grunde kann nur Dancy als von seinen inneren Dämonen getriebener Profiler wirklich glänzen. Mikkelsen bleibt meist dezent im Hintergrund, während Fishburne zwar relativ viel zu sehen ist, aber auf die Standardrolle des ahnungslosen Polizeivorgesetzten beschränkt bleibt. Die wunderbare Caroline Dhavernas, die Serienschöpfer Bryan Fuller aus seiner ebenso wunderbaren Serie Wonderfalls herübergerettet hat, ist zumindest in den beiden ersten Folgen kaum zu sehen. In der dritten hat ihre Dr. Alana Bloom, eine weitere psychologische Beraterin, zumindest etwas mehr zu tun.

Es ist schon eine Krux mit den derzeitigen US-Networkserien. Zwei Konzepte hat der bisher ebenso künstlerisch verdienstvolle wie kommerziell meist leider erfolglose Bryan Fuller („Dead Like Me“, „Pushing Daisies“, s. auch torrent 2/2012) für die Saison 2012/13 entwickelt: Während das grandiose „The Munsters“-Remake „Mockingbird Lane“ bei FOX nach dem Piloten gar nicht erst in Serie gehen durfte, hat NBC für das wesentlich schwächere „Hannibal“ grünes Licht gegeben. Anscheinend haben die Verantwortlichen des Senders ihm aber so lange ins Konzept hinein geredet – oder er selbst hat die Schere im Kopf angesetzt -, dass von Fullers schreiberischer Brillanz und dem skurrilen Charme seiner vorherigen Serien so gut wie nichts zu erkennen ist. Insbesondere auf der Drehbuchebene hat seine neue Serie so viele Schwächen, dass sie wohl nur Hardcore-Fans des Gourmet-Kannibalen Lecter dauerhaft fesseln dürfte.

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