Seriendiskurs im Flow: „Vier Typen seriellen Erzählens im Fernsehen“

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Dieses Symbol steht für einen Cliffhanger: Coverausschnitt des besprochenen Bandes

Sammelbände mit wissenschaftlichen Aufsätzen zum Thema Fernsehserien gibt es inzwischen viele. Der Medienwissenschaftler Sönke Hahn wählt in seinem selbstverlegten Buch einen ungewöhnlichen und zunächst irritierenden Ansatz, indem er mittels Struktur und Layout versucht, das Fernseherlebnis selbst nachvollziehbar zu machen.

Das Buch hebt sich schon äußerlich von üblichen (film- und fernseh-)wissenschaftlichen Werken ab, nicht nur wegen des großen Formats und des komplett lilafarbenen Umschlags. Auch findet sich auf dem Cover nur ein kryptisches, entfernt an den „Wetten, dass…?“-Schriftzug erinnerndes Symbol, während der Titel auf dem Backcover angebracht ist. Das ist nur eine von zahlreichen spielerischen Designentscheidungen, wie einem nach dem Aufschlagen des Buchs sofort klar wird. Ohne Inhaltsverzeichnis oder Einleitung geht es gleich los – im Blocksatz und mit breiten Seitenrändern, die unter anderem für handschriftliche Anmerkungen genutzt werden. Vor allem aber gibt es keine (herkömmlichen) Überschriften, keine Absätze oder Leerzeilen.

Hahn möchte mit dem ungewöhnlichen Layout das Rezeptionserlebnis beim Fernsehen nachempfinden lassen. Deshalb ist der Band auch nicht nach den einzelnen Aufsätzen verschiedener Autoren gegliedert, vielmehr gehen die einzelnen, sich abwechselnden Kapitel einfach nahtlos ineinander über – eben wie Episoden von TV-Serien im linearen Programm, auf die jeweils die nächste Sendung folgt. Unterscheidbar werden die einzelnen „Textserien“ lediglich durch die verschiedenen Schriftarten. Alle möglichen Einschübe, die sich immer wieder von den Seitenrändern in den Fließtext schieben, kommentieren und erklären zudem inhaltliche oder gestalterische Einfälle. So simulieren die Texte etwa serientypische Elemente wie Cliffhanger oder Zusammenfassungen im Stil von „Previously on…“ und werden auch regelmäßig durch „Werbeeinblendungen“ unterbrochen.

So originell dies alles sein mag, stört es doch teilweise die Lesbarkeit der eigentlichen Texte erheblich. Oft wäre es schön, einfach einem angefangenen Gedanken des jeweiligen Autors zu Ende folgen zu können, statt von Unterbrechungen oder selbstreflexiven Anmerkungen am Seitenrand abgelenkt zu werden. Auch werden die Allermeisten wohl doch einfach die vier verschiedenen Aufsätze jeweils am Stück lesen wollen, also am Ende eines Kapitels/einer „Episode“ zum nächsten der gleichen „Serie“ vorblättern, statt dem Flow folgend das direkt anschließende Kapitel eines anderen Textes zu lesen.

Von Radio-Soaps zu Qualitätsserien

Im titelgebenden Beitrag widmet sich Hahn selbst vier verschiedenen Typen von seriellen Erzählstrukturen: der „klassischen“ Episodenserie, die jedes Mal wieder zum Status Quo zurückkehrt, der modernen horizontal erzählten Serie, dem dazwischen angesiedelten Typ, der einen „Fall der Woche“ mit horizontalen Strängen vermischt, sowie der Miniserie oder auf jeweilige Staffelerzählungen begrenzten Anthologieserie. Die Erklärung der Merkmale dieser Typen und der sie bedingenden strukturellen und ökonomischen Faktoren ist interessant, krankt aber manchmal an dem sehr wissenschaftlichen Duktus des Autors. Die drei anderen Aufsätze sind lockerer geschrieben, haben aber ein gemeinsames Problem: Ob sich Jonas Nesselhauf dem Qualitätsbegriff im Fernsehen widmet, Markus Schleich „Die Geschichte des Seriellen“ vom Minnesang über Groschenromane, Radio und Kino bis zum jüngsten Goldenen Zeitalter der TV-Serie erzählt oder Paul-Vincent Mayr die Arten und Ursachen des Flows – des Programmflusses – im linearen wie im On-Demand-Fernsehen beschreibt – wirklich neue Erkenntnisse finden sich für eingefleischte Serienliebhaber nur selten.

Das Buch ist klar als Einführungslektüre konzipiert; wer sich bereits ein bisschen mit den Hintergründen des US-Fernsehens oder der Seriengeschichte beschäftigt hat, wird die meisten hier behandelten Aspekte schon kennen. Ob die Unterschiede zwischen den verschiedenen Senderarten in den USA (Free-TV, Basic und Premium Cable) und deren strukturelle Auswirkungen auf die jeweils produzierten Serien oder die ursprüngliche Entstehung der (horizontal erzählten) Soap Operas im Radio: Vieles dürfte mittlerweile auch hierzulande längst als voraussetzbares Wissen bei den Lesern eines solchen Buchs gelten. Auch durch die zahlreichen Aspekte, die in mehreren der vier Aufsätze abgehandelt werden, wirkt das Buch insgesamt öfter redundant. So werden etwa immer wieder die vor allem von Thompson geprägten Kriterien für die sogenannten Qualitätsserien abgehandelt oder die grundsätzliche Ablehnung des Mediums Fernsehen durch frühe Kritiker wie Adorno erklärt.

Insgesamt dürfte das Buch vor allem für Leser gewinnbringend sein, die ganz neu in die Materie einsteigen wollen, neben Studienanfängern also Serienfans, die sich zum ersten Mal theoretisch mit den Hintergründen ihrer Leidenschaft auseinandersetzen wollen. Diese werden viele interessante Ansätze finden und vor allem verstehen, dass in kapitalistischen Systemen auch kulturelle und im besten Fall künstlerische Produkte wie TV-Serien immer durch ökonomische Bedingungen und Überlegungen geprägt sind. Und das eben nicht nur bei den viel gescholtenen „Fließbandserien“ der US-Networks, sondern ebenso bei den seit einigen Jahren von Feuilleton und Wissenschaft bejubelten „Qualitätsserien“.

Sönke Hahn (Hrsg.), Jonas Nesselhauf, Markus Schleich, Julien Bobineau, Paul-Vincent Mayr:  „Vier Typen seriellen Erzählens im Fernsehen: Eine illustrative Einführung in Theorie, Geschichte und Diskurs“ Paperback, 244 Seiten, ISBN-13: 9783732287789, Books on Demand, 34,99 €

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