funk erfüllt deutsche Serienwünsche: „Wishlist“, die ARD-YouTube-Serie

Alle Wünsche werden wahr: Mira (Vita Tepel); Foto: Outside the Club

Seit gestern sind die ersten Folgen der ersten fiktionalen Serienproduktion für funk online, das junge Webangebot von ARD und ZDF. Die Mysteryserie ist das Ergebnis des Experiments, YouTuber eine öffentlich-rechtliche Serie drehen zu lassen. Unser deutlich der Zielgruppe entwachsener Redakteur verrät, ob es geglückt ist.

Der Stilwille fällt von Anfang an ins Auge: Hier haben sich ein Regisseur und sein Team vorgenommen, nicht die tausendste deutsche Serie in ARD-/ZDF-Standardästhetik runterzufilmen. Das muss man einerseits betonen, weil es eben doch eine deutsche Serie für ein Angebot von ARD und ZDF ist. Andererseits ist es auch wieder nicht so erstaunlich, wenn man weiß, dass Marc Schießer und seine Mitstreiter gerade nicht vom klassischen Fernsehen kommen, sondern bisher hauptsächlich für YouTube gedreht haben. Schießer und sein Koautor Marcel Becker-Neu steckten gemeinsam schon hinter der Webserie „vivi&denny“, Ideengeberin und „Associate Producer“ Christina Ann Zalamea wurde als „Hello Chrissy“ bei YouTube mit ihren Schminkvideos bekannt. Dort soll jetzt auch „Wishlist“ die jugendliche Zielgruppe für sich gewinnen – und zwar für ein Produkt aus öffentlich-rechtlichem Hause.

Die 17-jährige Mira (Vita Tepel) fungiert als Erzählerin der zehnteiligen Serie. Zu Beginn sieht man sie gelangweilt zwischen ihren Mitschülern sitzen und sich fragen, wie sie das letzte Jahr bis zum Abi bloß noch durchstehen soll. Einen Schnitt später rennt sie schon mit Blutspritzern im Gesicht in einer Kiesgrube um ihr Leben. Wieder einen Schnitt später springen wir an den Anfang der Geschichte zurück und Mira in ein Schwimmbecken. Im Zeitraffer auf der Flucht, im leuchtenden Blau unter Wasser – visuell geht die Serie gleich in die Vollen. Dazu blubbert auf der Tonspur ein elektronischer Score, den Becker-Neu selber mitkomponiert hat.

Mit der Außenseiterin Mira, die für ihre Mitschüler ebenso wie für die Schule im Allgemeinen nur Verachtung übrig hat, besitzt „Wishlist“ eine Hauptfigur, mit der man sich nicht nur als Angehöriger der Zielgruppe sofort identifizieren kann – zumindest, wenn man selbst nicht zu den beliebten Schülern wie der oberflächlichen, immer aufgebretzelten Janina (Nele Schepe) gehört(e). Die ist quasi Miras Nemesis, verkörpert sie mit ihrer Dumpfheit doch alles, was die „Heldin“ verabscheut. Freundinnen werden die beiden ungleichen Mädchen im Laufe der Serie natürlich trotzdem werden.

So abgerockt kann Barmen sein: der Cast von "Wishlist"; Foto: Outside the Club/Vien Tran Van
So abgerockt kann Wuppertal-Barmen sein: der Cast von „Wishlist“; Foto: Outside the Club/Vien Tran Van

Zusammengeführt werden sie und die drei männlichen Hauptfiguren durch eine App namens Wishlist. Einmal auf dem Handy installiert, verspricht sie, alle Wünsche zu erfüllen. Als Gegenleistung muss man allerdings vorher eine individuell berechnete Aufgabe erfüllen, deren Schwierigkeit sich danach bemisst, wie groß der Wunsch ist. Für einen rosa Elefanten mag es reichen, die Mülltonnen auf die Straße zu schieben. Aber man ahnt: Wenn die Verlockung steigt, sich krassere Wünsche zu erfüllen, werden auch die Einsätze nicht so harmlos bleiben. Die Grundidee überträgt eine uralte moralphilosophische Frage – schon bekannt aus dem Märchen vom Fischer und seiner Frau – geschickt in unsere moderne Medienwelt. Dass heute das Smartphone alle Wünsche erfüllen will, ist naheliegend, halten es viele junge Menschen doch inzwischen eh schon auf der Straße vor sich wie eine Wünschelrute.

Hohes Tempo ohne Hektik

Dafür, dass die einzelnen Folgen nur zwischen 15 und 20 Minuten lang sind, passiert darin relativ viel. Mit langsamerem Erzähltempo hätten andere Autoren daraus auch reguläre 45-minütige Episoden für den Vorabend machen können. Aber genau das sollten und wollten die „Wishlist“-Macher ja nicht. Es sollte ein YouTube-Format werden, das optisch und erzählerisch mit modernen TV-Serien mithalten kann – und das ist erstaunlich gut gelungen. Die Serie hat eher leisen Witz, Tempo, ohne bemüht hektisch zu wirken, besitzt aber dennoch genügend dramatisches Potential, um spannend zu bleiben – und sieht vor allem gut aus. Gedreht wurde hauptsächlich in Wuppertal, der Stadt, aus der die Autoren kommen und in der sie auch bisher schon gearbeitet haben. Von ihr sieht man in den ersten Folgen noch nicht allzu viel Spezifisches (außer der unvermeidbaren Schwebebahn), aber Schießer hat ein Gespür für Atmosphäre, wenn etwa die Helden nach einer durchgefeierten Nacht auf einem Flachdach den Sonnenaufgang angucken.

Abgesehen von Yung Ngo, der den Aufschneider Kim spielt und den man bereits als radebrechenden Pfarrer aus „Weinberg“ oder aus Kinofilmen wie „Russendisko“ kennen könnte, sind die Schauspieler noch Newcomer. Während Hauptdarstellerin Tepel auf Anhieb überzeugt, muss man bei den anderen noch etwas abwarten. Schepe hat zumindest eine Staffelrolle in den diesen Herbst anstehenden neuen Folgen von „Club der roten Bänder“ bekommen, der wahrscheinlich erfolgreichsten der im vergangenen Jahr gestarteten „anderen“ deutschen Serien. Ach ja, irgendwelche YouTube-Stars sollen in „Wishlist“ auch Gastauftritte haben.

Mit „Wishlist“ ist der ARD und den jungen Machern der eigens gegründeten Produktionsfirma eine frisch wirkende, aber gleichzeitig handwerklich sehr professionelle Serie gelungen, bei der letztlich egal ist, ob sie fürs Fernsehen gedreht wurde oder fürs Netz. Jetzt bleibt es spannend zu sehen, ob auch die umworbene Zielgruppe das so (und sie überhaupt) sieht.

Die ersten beiden Folgen sind auf YouTube verfügbar, jeweils donnerstags um 15 Uhr kommt eine weitere hinzu.

 

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