Die Dänen haben es mal wieder getan: eine Dramaserie produziert, die internationalen Ansprüchen vollkommen genügt. „1864“, das ab diesem Donnerstag bei arte zu sehen ist, wartet mit einer großen Liebesgeschichte vor historischem Hintergrund und einem prominenten Schauspielerensemble auf – und kann auch als Antwort auf Kriegsserien wie „Unsere Mütter unsere Väter“ gelesen werden.
Europäische Serien über historische Ereignisse, die eine Jahreszahl als Titel tragen, sind in jüngster Zeit in Mode. Nach „1992“ von Sky Italia findet nun auch die dänische Serie „1864“ ihren Weg nach Deutschland, zu arte, das auch als Koproduzent diente. Mit mehr als 170 Millionen Kronen (etwa 23 Millionen Euro) ist es die teuerste dänische TV-Serie aller Zeiten, bemerkenswerterweise kamen davon rund 100 Millionen direkt vom Staat, nämlich vom Kulturministerium. Und tatsächlich scheint die Produktion so etwas wie eine nationale Angelegenheit gewesen zu sein, erzählt sie doch auf populäre Weise vom vielleicht wichtigsten Ereignis in der (jüngeren) dänischen Geschichte: dem Verlust Schleswigs an Preußen im Deutsch-Dänischen Krieg. Dadurch verlor Dänemark zwar einen großen Teil seines Hoheitsgebiets, andererseits gilt dies aber auch als Geburtsstunde des dänischen Nationalstaats, da man sich zwangsweise von den deutschsprachigen Volksgruppen trennen musste.
Wie erzählt man von einem solchen großen Ereignis der eigenen Geschichte? Natürlich, indem man die kleinen, privaten Geschichten darin sucht, die Schicksale normaler, „kleiner“ Leute, die sich vor dem Hintergrund der Zeitläufte abspielten. So beginnt die Serie unspektakulär mit der Bauernfamilie Jensen, die ein Stück Land bewirtschaftet, das zu den Ländereien eines Barons gehört. Vater Thøger (Lars Mikkelsen) kehrt verwundet aus dem Schleswig-Holsteinischen Krieg zurück, sein Bein wird nie mehr richtig heilen. Trotzdem nimmt er die harte Arbeit auf dem Hof wieder auf und versucht, seinen beiden Söhnen Peter und Laust ein gerechter Vater zu sein. Auch Didrich, der Sohn des Gutsbesitzers, gespielt von Pilou Asbæk, dem Kasper Juul aus „Borgen“, war im gleichen Krieg, auch er ist verwundet, allerdings an der Seele – er kommt nicht über die Schrecken hinweg, die er dort erlebt hat. Peter und Laust freunden sich mit Inge an, der Tochter des Gutsverwalters, auf die trotz Alters- und Klassenunterschieds auch der zwielichtige Didrich ein Auge geworfen hat.
Der Blick auf immer weitere gesellschaftliche Kreise
Als die drei Freunde älter geworden sind, wird aus Freundschaft Liebe, eine Art Menage à trois. Gleichzeitig steht ein neuer Krieg bevor. Die Brüder melden sich zur Armee, am Abend vor ihrem Abzug kommt es zu einer berührenden Abschiedsszene zwischen ihnen und Inge, in die beide verliebt sind. Aber Inge erwidert nur Lausts Gefühle, sie gibt sich ihm hin, ohne dass Peter davon erfährt. Dass es früher oder später zum Konflikt zwischen den Brüdern kommen wird, ist unvermeidlich.
Wie wir es von dänischen Serien gewohnt sind, ist das aber nur einer von zahlreichen parallel laufenden Handlungssträngen. Autor und Regisseur Ole Bornedal macht das ganz große Fass auf und weitet seine Erzählung nach und nach auf immer weitere gesellschaftliche Kreise aus. Da sind historische Persönlichkeiten wie der zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn schwankende Premierminister Monrad (Nicolas Bro erinnert stark an Timothy Spall), der den als Schwächling geltenden deutschstämmigen König in den Krieg hineinredet. Da gibt es Künstler wie Monrads Vertraute, die Schauspielerin Johanne Louise Heiberg (Sidse Babett Knudsen) oder Hans Christian Andersen. Der preußische Kanzler Bismarck kommt ins Spiel und sogar die britische Queen Victoria. Daneben gibt es noch eine leicht aufgesetzt wirkende Rahmenhandlung in der Gegenwart um eine aufmüpfige Teenagerin, die sich um einen dementen und verwahrlosten Adligen kümmern soll. Deren Bruder ist in Afghanistan gefallen, womit ein Bogen zur historischen Handlung geschlagen ist. Geschichte wiederholt sich und Kriege bringen selten etwas Gutes, so die etwas simple Botschaft dieser Parallelführung.
Die Absurdität des Krieges
Gelungen ist die Serie immer dann, wenn die Tragik des Krieges und das Drama des Privaten zusammenkommen. Auch wenn die Geschichte der zwei Brüder, die dieselbe Frau lieben, nicht originell ist, vermag sie doch durch die sympathischen Jungdarsteller Marie Tourell Søderberg (Inge), Jakob Oftebro (Laust) und Jens Sætter-Lassen (Peter) zu überzeugen. Ebenso wie die Inszenierung des Krieges selbst, die auch vor krassen Bildern nicht zurückschreckt. Da metzelt ein Blindgänger einen halben Pferch Schweine nieder und ein Jungtier frisst die Überreste eines halb vebrannten Artgenossen (vielleicht der eigenen Mutter), kurz darauf werden die jungen Soldaten um Peter und Laust Zeugen der Fließbandbehandlungen eines Feldlazaretts inklusive Amputationen ohne Betäubung. Quasi „Apocalypse Now“ auf Dänisch.
Aber auch die Absurdität des Krieges wird deutlich, wenn ein reaktivierter alter Hauptmann schon aus Altersschwäche tot vom Pferd fällt, bevor die Schlacht überhaupt begonnen hat, oder ein seniler preußischer Feldmarschall ständig vergisst, ob seine Truppen gerade gegen die Franzosen oder die Dänen kämpfen. Aber ist das nicht eh völlig egal, wie er mit der Weisheit des Trottels seine Vorgesetzten fragt? Und dann sind da immer wieder die hochgestellten Offiziere, die sicher und gemütlich beim Essen sitzen, während die einfachen Soldaten auf dem Feld verrecken. Hinzu kommt in späteren Folgen ein leicht metaphysisches, man könnte auch sagen fantastisches Element, etwa wann die Liebenden über große Entfernungen hinweg miteinander gedanklich zu kommunizieren scheinen oder das Blut, das die Soldaten vergossen haben, wortwörtlich die Fenster des kriegslüsternen Premierministers hinunterläuft.
Die halbe „Borgen“-Besetzung und Hunderte Komparsen
Etwas zäh wird es hingegen immer dann, wenn der Fokus zu lange auf den historischen Figuren bleibt, wenn eine Szene über Kriegstaktik und politische Intrigen der anderen folgt. So dauert es etwa zu Beginn der dritten Episode mehr als zwanzig Minuten, bevor wir die eigentlichen Hauptfiguren Inge und die beiden Brüder überhaupt zu sehen bekommen – dabei ist ihre Geschichte doch die interessanteste. Wie bei einer Historienserie zu erwarten, sind die Schauwerte beträchtlich, da wallt der Nebel über den Schlachtfeldern, in durchchoreografierten Kampfszenen werden Gliedmaßen abgesäbelt, Komparsen treten zu Hunderten auf und es gibt alleine 160 Sprechrollen. Forget „Game of Thrones“! Bemerkenswert auch die Dichte der schauspielerischen Prominenz, die der DR und arte aufgefahren haben. Søren Malling ergänzt das Trio der ehemaligen „Borgen“-Hauptdarsteller als mysteriöser Soldat Johan, Søren Pilmark aus „Geister“ gibt den Kriegsminister und auch auf deutscher Seite gibt es einige bekannte Gesichter von Barnaby Metschurat bis Ludwig Trepte. Der scheint nach „Unsere Mütter unsere Väter“ aber leider auf die Rolle des deutschen Soldaten in sinnlosen Kriegen festgelegt zu sein, was reichlich schade ist.
Ansonsten zeigt „1864“ den Machern jener brachialen ZDF-Produktion über den Zweiten Weltkrieg durchaus, wie eine bessere Serie über das Thema Krieg aussehen kann – auch wenn man in Dänemark der Serie ebenfalls historische Ungenauigkeiten vorgeworfen hat. Letztlich ist es eben doch massentaugliches Unterhaltungsfernsehen und kein Bildungsprogramm. Aber immerhin solches, das seine Zuschauer ernst nimmt und ihnen erzählerisch einiges abverlangt. Es gilt weiterhin, dass einige der interessantesten Serien der Gegenwart ausgrechnet aus dem kleinen Dänemark kommen – das damit auf kulturellem Gebiet auch und gerade nach dem einschneidenden Gebietsverlust von 1864 weiterhin Größe beweist.
Die Serie startet am Donnerstag, den 11. Juni um 20 Uhr 15 auf arte (drei Folgen am Stück, danach auch in der Mediathek).
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