Lokal und global: Trends auf dem Serien-Summit Köln 2016

Die Macher in der Kuppel: ratlos - Panel mit deutschen TV-Verantwortlichen und -Produzenten; Fotos: kir

Zum fünften Mal trafen sich deutsche und internationale TV-Produzenten, -Autoren und -Programmmacher am Freitag in Köln zum „Großen Serien-Summit“ in den MMC Studios. Ob die vorgestellten Projekte aus Schweden, England, Spanien oder Belgien kamen: Einige Tendenzen im europäischen Seriengeschäft zeichneten sich deutlich ab.

Ein wichtiges Kriterium, um über die Grenzen des eigenen Landes hinaus mit einer Serienidee Erfolg zu haben, zog sich wie ein roter Faden durch den Tag: „Make it local to make it global“. Gemeint ist mit diesem Motto, dass die Geschichte regional verankert sein, eben etwas haben muss, das spezifisch für das Land ist, in dem sie spielt. Also im Grunde das, was in Deutschland etwa Edgar Reitz schon in den frühen 1980er Jahren mit seiner ersten „Heimat“ vorgemacht hat, die weltweit Erfolge feierte, obwohl oder gerade weil Schauplatz und Figuren so typisch deutsch, um nicht zu sagen hunsrückisch, waren. Was hingegen auch die US-Amerikaner auf keinen Fall bräuchten, wären  europäische Versuche, Hollywood-Serien nachzuahmen, meinte Produzent Marc Conrad („Im Angesicht des Verbrechens“). „Internationale TV-Anbieter suchen originäre Produktionen mit eigener Handschrift“,  so der Geschäftsführer der Kölner Conradfilm.

Ivan Diaz, der bei der Produktionsfirma Filmax in Barcelona die internationale Abteilung leitet, hat ebenfalls schon viel Erfahrung mit der Verkäuflichkeit regionaler Stoffe: Die Krankenhausserie „Polseres vermelles“ wurde bekanntlich auf katalanisch gedreht und trat von einem kleinen Regionalsender aus seinen Erfolgszug durch die Welt an. In dem regionalen Projekt entdeckten zahlreiche ausländische Sender die universelle Geschichte und bestellten Adaptionen für die eigenen Märkte, wie „Red Band Society“ in den USA oder „Club der roten Bänder“ in Deutschland. Dass ausgerechnet die US-Version bei FOX floppte, hat für Diaz im Nachhinein auch einen Vorteil gehabt: Das verhinderte, dass in anderen Ländern einfach eine dominierende englische Fassung eingekauft wurde, stattdessen habe es weitere Adaptionen in anderen Sprachen ermöglicht, die dann wieder näher am Original (und beim Publikum erfolgreicher) waren als die US-Version.

Krimi geht immer – aber mit einem Twist

Trotz des Hungers nach regional unterscheidbaren Stoffen ist im europäischen Serienbusiness aber auch ein entgegengesetzter Trend erkennbar, auf den Francesco Capurro vom Pariser Serienfestival Séries Mania hinwies: eine gewisse Standardisierung. Schon der dänische Indiekino- und Serienschauspieler Jens Albinus (Lars von Triers „Idioten“, aber auch europäische TV-Produktionen wie „Der Adler“ und zuletzt „Deutschland 83“) meinte vergangenes Jahr in einem WDR5-Interview, europäische Serien sähen inzwischen überall gleich aus, egal ob sie aus Dänemark oder etwa England kämen. Diese unausgesprochene Einigung auf gewisse Standards betrifft aber offenbar nicht nur das Optische, etwa die Bildgestaltung, sondern auch die Inhalte. Auch wenn Capurro hervorhob, dass bei den Einreichungen zu seinem „Co-Production Forum“ von Séries Mania inzwischen Fantasy- und Science-Fiction-Serien den drittgrößten Anteil ausmachten, waren doch mit Ausnahme von „Polseres vermelles“ alle in Köln präsentierten Projekte im weiteren Sinne dem Thriller- und Crimegenre zuzuordnen.

Da es sich um moderne Serien handeln soll, haben sie aber immer mindestens einen sogenannten Twist. Das kann etwa, wie in der flämischen Serie „Beau Séjour“, die demnächst bei arte laufen soll, sein, dass das Mordopfer selbst in seinem Mordfall ermittelt. Die getötete junge Kato kann dabei nur von einer Handvoll lebender Menschen gesehen werden. Bei der BBC-Miniserie „London Spy“, mit Ben Whishaw, Jim Broadbent und Charlotte Rampling hochkarätig besetzt, ist der Twist, dass es auf den zweiten Blick gar kein Thriller ist, sondern eher eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern, von denen einer verschwindet. Der Titel mit den Schlagwörtern London und Spy helfe nur, die Serie (auch international) zu verkaufen, so Produzent Guy Heeley.

Von Katalanien um die Welt: Ivan Diaz stellte "Polseres vermelles" und "I Know Who You Are" vor
Von Katalanien um die Welt: Ivan Diaz stellte „Polseres vermelles“ und „I Know Who You Are“ vor

Den besten Eindruck unter den präsentierten Serien machte das spanische „I Know Who You Are“, das neue Projekt der katalanischen Produktionsfirma Filmax International. Im Mittelpunkt steht hier ein angesehener Rechtsanwalt und Familienvater, der nach einem Autounfall sein Gedächtnis verliert und des Mordes an seiner verschwundenen Beifahrerin, einer jungen Studentin, beschuldigt wird. Wie der ältere Herr zwischen die Mühlen aller möglichen Anschuldigungen von Gesellschaft, Justiz, eigener Familie und ehemaliger Geliebter gerät, sah zumindest in dem vorgestellten Trailer sehr spannend und rasant aus.

Der Zustand der deutschen Serie: …und ewig grüßt das Murmeltier

Und wie positioniert sich zwischen alledem die deutsche Serie? Hier herrschte auf dem abschließenden Panel von Produzenten und Senderverantwortlichen Uneinigkeit. Während manche auf wichtigen Positionen Sitzende, wie WDR-Film- und Serienchef Gebhard Henke sich im Großen und Ganzen recht zufrieden zeigten, kann seine HR-Kollegin Liane Jessen die Jahr für Jahr gleich lautenden Situations- und Problembeschreibungen nicht mehr hören. „Fernsehen in Deutschland ist nicht innovativ“, meinte sie. „Das hat wenig mit Produktionsmitteln zu tun.“ Vielmehr wollten die Menschen „in diesem System“ (gemeint war wohl das öffentlich-rechtliche) die Art moderner, komplexer Geschichten nicht erzählen, die Serienfans heute so lieben. Das deutsche TV sei gut in historischen Stoffen, aber ganz schlecht darin, die Probleme von heute zu erzählen. „So wie es ist, sind Sender und Publikum mit ‚In aller Freundschaft‘ weiterhin sehr zufrieden“, lautete Jessens ernüchterndes Fazit. Sie selbst versuche, Abhilfe zu schaffen, indem sie etwa mit dem österreichischen Starautor David Schalko („Braunschlag“) im Gespräch sei, der sich die Rechte gesichert habe, aus Fritz Langs Kinoklassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ eine Serie zu machen.

Auf der Suche nach der deutschen Qualitätsserie: Frank Jastfelder (Sky), Liane Jessen (HR), Wolfgang Feindt (ZDF)
Auf der Suche nach der deutschen Qualitätsserie: Frank Jastfelder (Sky), Liane Jessen (HR), Wolfgang Feindt (ZDF)

Dass moderne Serien im deutschen Fernsehen noch immer stiefmütterlich behandelt werden, hat nach Marc Conrads Meinung „auch etwas mit den Menschen an den Senderspitzen zu tun“. Das seien – im Gegensatz zu früher – eben oft Journalisten, die wenig Interesse an Fiction hätten. „Oft scheitern Serien an der Dummheit einzelner Leute“, erklärte Conrad am Beispiel des von ihm produzierten Vierteilers „Blackout – Die Erinnerung ist tödlich“, den Sat.1 2006 nach zwei Teilen im Nachtprogramm versenkte. Die Programmierung sonntags gegen den „Tatort“ habe von Anfang an nicht funktionieren können. Wolfgang Feindt, beim ZDF für internationale Koproduktionen verantwortlich (Stichwort: „Nordic Noir“), versteht gar nicht, warum Deutschland auf jedem Gebiet „Exportweltmeister“ sein müsse. Sein Sender weite die Gemeinschaftsarbeiten mit anderen europäischen Anstalten kräftig aus, alleine fünf international koproduzierte Serien sollen in nächster Zeit für ZDFneo entstehen.

Sky-Dramaproduktionschef Frank Jastfelder sieht seinen Sender weiterhin in der Nische: „Quote hat für uns keine Relevanz.“ Vielmehr müssten sich Eigenproduktionen beim Seriensender Sky Atlantic in das qualitätsvolle Umfeld einbetten. Entsprechende Projekte bräuchten Zeit und Budget, weswegen es auch nicht ungewöhnlich sei, dass es mit „Babylon Berlin“ eben etwas länger dauere. Ein Problem sieht Jastfelder aber auf Seiten der Kreativen: Die bei Sky eingereichten Serienkonzepte entsprächen oft dem, wie eben traditionell in Deutschland erzählt werde. Für einen spitzer aufgestelten Pay-TV-Kanal seien diese dann ungeeignet. Marc Conrad gibt die Schuld daran den ökonomischen Rahmenbedingungen: Bei einem hierzulande üblichen Honorar von etwa 10.000 Euro für ein halbes Jahr Arbeit würde sich die Stoffentwicklung für deutsche Drehbuchautoren schlicht nicht rechnen. In den USA sei man einfach bereit, den Kreativen mehr Geld zu bezahlen, 60-70.000 Euro pro Staffel seien dort für einen Showrunner normal. Dadurch, dass an einem Projekt in Hollywood mehrere Autoren und Produzenten beteiligt seien, ergäbe sich zudem eine Art Schwarmintelligenz.

Eines Eindrucks kann man sich nach diesem Tag dann doch nicht erwehren: Während überall sonst in Europa längst mehr oder weniger hochwertige Dramaserien (auch) für den internationalen Markt produziert werden, die auch tatsächlich im Ausland erfolgreich laufen, dreht sich das deutsche Fernsehen nach wie vor hauptsächlich um sich selbst. Solange bestimmte Menschen in den Sendern weiterhin das Sagen haben, wird sich daran wohl auch nicht viel ändern.

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