Der ursprünglich im August 2011 gelaufene Auftaktfall des neuen BR-„Polizeiruf“-Kommissars Hans von Meuffels (Matthias Brandt), den das Erste am 22. Februar wiederholt, erhitzte die Gemüter der Stammseher. Es bestätigte sich wieder einmal: Wer jeden Sonntag um 20 Uhr 15 den ARD-Krimi guckt, ist wohl überwiegend längst zu abgestumpft, um Filme, die so dermaßen von gängigen Sehgewohnheiten abweichen, noch wertschätzen zu können. Für Freunde des abseitigen Genrefilms ist er hingegen ein Fest. Dominik Graf und sein Drehbuchautor Günter Schütter trauen sich einiges: Die brilliante Anfangssequenz unterlegt Graf mit Free Jazz, das rasante Tempo lässt kaum Zeit, der Handlung zu folgen, zwischendurch sprechen die Figuren tiefstes Bayrisch, bei Schießübungen wird auch schon mal eine Taube zerfetzt (eine Anspielung an den von Graf geliebten Samuel-Fuller-„Tatort“ „Tote Taube in der Beethovenstraße“?). Tatsächlich erinnert die Inszenierung häufig eher an einen italienischen B-Genrefilm à la Dario Argento (die Spiegeleffekte kurz vor Schluss!) als an die übliche Sonntagskrimikost.
Auch wenn die Nebenhandlung um den 20 Jahre zurück liegenden Kindsmord ebenso wirr wie überflüssig ist, zeigt dieser Film einmal mehr, dass Schütters Anteil an der herausragenden Stellung der gemeinsamen Arbeiten mit Graf wohl größer ist, als man zunächst denken würde. Nach seinen Büchern („Die Sieger“, „Frau Bu lacht“, „Der scharlachrote Engel“) gelingen Graf regelmäßig seine besten Filme. Kein Vergleich mit den meist etwas zu vordergründig moralisierenden Vorlagen Rolf Basedows. Bei Schütters Geschichte des Polizisten, dessen Ehefrau vermeintlich von seiner psychopathischen verflossenen Geliebten mit Mordanschlägen verfolgt wird, stimmt hingegen fast alles: die abseitigen Figuren, die locker-tiefgründigen Dialoge, die durchgehende Spannung und die Melancholie, wenn eine alte, von Doris Kunstmann gespielte Polizistin dem guten alten Schwabing nachtrauert, dessen Plattenläden, Programmkinos und Absteigen bis drei Uhr morgens längst durch touristentaugliche Brauereifilialen und Latte-Cafés verdrängt worden sind.
Durchgehend überzeugend sind auch die Schauspieler: Neben Brandt fasziniert vor allem Alma Leiberg als vermeintliches Opfer. Schon in ihrer Staffelgastrolle in KDD fiel sie positiv auf: ein Gesicht, das man sich merken sollte. Ronald Zehrfeld gibt als den Frauen zugeneigter lässiger Polizeiobermeister eine abgründigere Variation seiner Rolle aus „Im Angesicht des Verbrechens“, zeigt diesmal aber wesentlich mehr von seinen darstellerischen Fähigkeiten. Interessant auch die Figurenkonstellation auf dem Kommissariat: Ermittlung ist hier keine One-Man- oder Two-Men-Show, ein ganzes Team von Beamten gruppiert sich um den Chefermittler.
Und natürlich sind in diesem Film wieder alle Topoi drin, die man von Graf kennt: der endlose Funkverkehr ebenso wie die Erkenntnis, dass die Polizei im Grunde auf verlorenem Posten steht, weil sie den Kampf gegen das organisierte Verbrechen schon längst verloren hat. Da bleiben nur die kleinen Erfolge, die den Kommissar aber am Ende trotzdem tanzen lassen. (kir)
Der Film wird am Freitag, den 22. Februar um 22 Uhr im Ersten wiederholt. Einen Tag später ist Dominik Graf ab 19 Uhr zu Gast in der Black Box im Düsseldorfer Filmmuseum zu einer Lesung mit Gespräch.
Hab ich mir aufgrund deiner Empfehlung hier angesehen, und war ziemlich entsetzt – vor allem von der Anfangssequenz, weil die ganz entsetzlich schlecht geschnitten ist. Wenig ist schwieriger zu meistern, als der Schnitt eines richtig guten Filmanfangs, der nicht mehr und nicht weniger zu leisten hat, als den Zuschauer in die Geschichte zu ziehen. Ich habe nichts gegen schnelle Schnittfolgen, aber dann sollte man die Schnitte trotzdem an den richtigen Stellen setzen. Phasenweise findet der Film zu etwas, das man Erzählrhythmus nennen könnte, was die Vermutung nahe legt, dass der erste Rohschnitt deutlich länger war, als das Formatkorsett des Sendeplatzes erlaubt. Anstatt sich aber dazu durch zu ringen Teile (wie von dir richtig erwähnt) aus der komplexen Handlung zu schmeißen, damit man die Haupthandlung mit etwas mehr Raum zum Atmen erzählen könnte, wird nur auf Teufel komm raus auf die Tube gedrückt. Mit der Folge, dass der Film gehetzt und ohne jede Dynamik über einen hinweg braust. Natürlich sticht er so immer noch aus dem Krimi-Einerlei heraus, hat aber nicht wirklich mehr zu bieten, weil es dazu einen konsequenteren Schnitt gebraucht hätte. Ob das an der Cutterin, dem Regisseur oder den Redakteuren lag, entzieht sich meiner Kenntnis. Das passiert meistens dann, wenn man die Gesamtlänge gewaltig kürzen muss, und da reichen Ulla Möllinger und Dominik Graf eben nicht an David Lean und Anne Coates (LAWRENCE OF ARABIA) ran. Die hatten aber auch keinen Redakteur vom BR im Nacken sitzen.
Deine Einschätzung zu Günter Schütter teile ich hingegen uneingeschränkt. Und Graf mag ich trotzdem, weil er sich wenigstens zu Scheitern traut.