Die neue Dramaserie des Netflix-Konkurrenten fährt große schaupielerische Kaliber auf: Aaron Paul als zweifelnder Anhänger eines religiösen Kults, Michelle Monaghan als seine gläubige Gattin und Hugh Dancy als zwielichtiger Prophet. Das Ergebnis überzeugt.
„The Path“, die neue Eigenproduktion des US-Streamingdienstes Hulu, beginnt mit einem postapokalyptischen Bild: Eine junge Frau in notdürftiger Kleidung und mit verschmutztem Körper bahnt sich ihren Weg durch eine zerstörte Landschaft. Überreste der Zivilisation liegen überall herum: umgestürzte Häuser, brennende Autowracks, durch die Gegend geschleuderter Hausrat. Verzweifelt, verwirrt und ausgelaugt sucht die Frau nach Wasser. Dann tauchen die Retter auf: Helfer kommen aus Kleinbussen, eine etwas ältere Frau bietet ihr zu trinken an. Auf die Apokalypse folgt die Errettung weniger Auserwählter.
Die Helfer nach dem Tornado gehören einer relativ unbedeutenden Sekte an, dem fiktiven Meyerist Movement. Die hat irgendwo im Bundesstaat New York auf einem Stück Land eine abgeschlossene Idylle verwirklicht, auf den ersten Blick ein Paradies auf Erden. Wenn Sarah Lane (Michelle Monaghan), eine der führenden Mitarbeiterinnen, morgens den Zaun zur Anlage hinter sich gelassen hat, fährt sie an Feldern vorbei, auf denen fröhliche Menschen arbeiten, an gut gelaunten Kindern und Glaubensbrüdern und -schwestern, die sie freundlich grüßen. Doch hinter der Fassade von Glück, Freundlichkeit und Seelenfrieden liegen dunklere Seiten dieser Religionsgemeinschaft verborgen, wie wir als Zuschauer erst langsam erfahren. Sarahs Ehemann Eddie (Aaron Paul) jedenfalls hat Zweifel bekommen, seit er von einem Erweckungsritual in Peru zurückgekehrt ist. Eine Aussteigerin hat Kontakt mit ihm aufgenommen, sie behauptet, die Sekte hätte ihren Mann umgebracht, nachdem der die Gruppe verlassen hat. Sarah verdächtigt Eddie hingegen, eine Geliebte zu haben und beginnt, ihn auszuspionieren. Um ihre Ehe zu retten, soll er sich einem sekteneigenen Ritual fügen, bei dem man 14 Tage in einem Raum festgehalten wird und sich strengen Befragungen stellen muss.
Vorstoß ins Qualitätsserien-Lager
Hulu ist bislang, zumindest außerhalb der USA, mit seinen Eigenproduktionen noch nicht besonders aufgefallen. Das ändert sich jetzt langsam durch die Stephen King-Adaption „11.22.63“ und nun eben „The Path“, die erste Serienkreation der Dramatikerin Jessica Goldberg. Als ausführender Produzent dient auch Jason Katims, der als Schöpfer von „Friday Night Lights“ und dem vor Kurzem zu Ende gegangenen „Parenthood“ bekannt geworden ist. Ihr neues gemeinsames Projekt sticht zunächst durch die äußerst renommierte Besetzung hervor: Aaron „Jesse Pinkman“ Paul in seiner ersten großen Serienhauptrolle seit „Breaking Bad“, Michelle Monaghan aus der ersten „True Detective“-Staffel und Hugh Dancy, der FBI-Agent Will Graham aus „Hannibal“. Ganz klar: Hulu zielt mit dieser Serie auf die Fans der sogenannten Qualitätsserien von HBO, AMC & Co. Und fährt große Kaliber auf, um in diese Liga vorzustoßen. Das Potential dazu hat „The Path“ sicher, wie die Auftaktfolgen zeigen.
Religion ist immer noch ein Thema, das in US-amerikanischen Fernsehserien eher selten in den Mittelpunkt gestellt wird. Hervorragend in ihrer Ambivalenz gelang das der in Deutschland leider weitgehend unbekannten HBO-Serie „Big Love“, in der es um eine mormonische Großfamilie ging. In jüngster Zeit widmet sich auch Amazons „Hand of God“ einem verwandten Thema, wobei dort ein einzelner Mann im Mittelpunkt steht, der glaubt, von Gott Anweisungen zu bekommen. Und nun also eine Serie über einen fiktiven religiösen Kult, der aber natürlich Parallelen zu tatsächlich existierenden Organisationen wie Scientology aufweist, etwa eine Art „E-Meter“, ein Apparat, mit dem die Gläubigen ihre Gefühle erkunden sollen.
Durchschnittsfamilie und Prophet
Goldberg betreibt ihr Worldbuilding in den ersten Folgen langsam. Viele Zusammenhänge müssen sich die Zuschauer zunächst selbst erschließen. Da ist auf der einen Seite die Familie Lane, der in der Geschichte wie in der Religionsgemeinschaft eine Schlüsselrolle zukommt. Sie könnte man auf den ersten Blick für eine amerikanische Durchschnittsfamilie halten, mit einer kleinen Tochter und einem Sohn im Teenageralter, der auf eine normale High School geht. Aber der Alltag von Eltern und Kindern wird bestimmt durch die strengen Regeln ihrer Religion. So darf Sohn Hawk (Kyle Allen) eigentlich keine gleichaltigen Mädchen besuchen und Fleisch essen ist ebenfalls tabu. In einen Gewissenskonflikt gerät der Heranwachsende, als seine Mitschülerin Ashley (Amy Forsyth) ihn um Hilfe bittet. Die hormonelle Verwirrung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Hin und her gerissen ist auch Familienvater Eddie. Einerseits weigert er sich noch, der unglaublich klingenden Anklage der Aussteigerin Alison (Sarah Jones) zu vertrauen, andererseits tun sich in seinem eigenen Glauben immer tiefere Risse auf. Ein Abfall von diesem würde aber auch das Ende seiner Ehe zu der überzeugten und in die Sekte hineingeborenen Sarah bedeuten.
Der zweite Ankerpunkt der Serie ist der von Dancy gespielte Cal Roberts, ein charismatischer Prediger und quasi der Interims-Prophet der Gemeinde. Der Gründer und eigentliche religiöse Führer der Meyeristen ist nämlich angeblich irgendwo in Peru damit beschäftigt, göttliche Botschaften zu entschlüsseln. Roberts ist die undurchschaubarste Figur im Ensemble. Ob er wirklich an das glaubt, was er verkündet, oder ob er hauptsächlich aus persönlichen Motiven handelt, bleibt noch unklar. Deutlich wird aber schon, dass er wenig Skrupel zu haben scheint, wenn es darum geht, das Anliegen seines Kults voranzutreiben. Und das lautet in erster Linie: neue Anhänger gewinnen, an Macht zunehmen. In der dritten Folge tritt dann erstmals 1980er-Jahre-Star Kathleen Turner („Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“) als Roberts‘ Mutter auf und liefert erste Hinweise darauf, wie er zu demjenigen geworden ist, der er ist, was er zu kompensieren versucht. Dancy hat in dieser ambivalenten Rolle viel Gelegenheit zu glänzen und schöpft das auch voll aus.
Außergewöhnliche Bilder für außergewöhnliche Erfahrungen
Auch die anderen Darsteller können überzeugen, insbesondere Monaghan als Gläubige zwischen Überzeugung und Verletzlichkeit. Überzeugend ist auch die Inszenierung, die in den beiden Auftaktepisoden dem bisher als Regisseur von Independent-Filmen aufgefallenen Mike Cahill oblag. Er findet immer dann außergewöhnliche Bilder, wenn die Handlung es erfordert, die Wahrnehmung der Protagonisten den Bereich gewöhnlicher Alltagserfahrungen verlässt. Gleich zwei Mal betrifft das Eddie: In der Pilotfolge erleben wir durch seine Augen einen religiös motivierten Drogentrip, bei dem ihm plötzlich sein toter Bruder erscheint. Er führt ihn durch einen dunklen Gang unter dem Gebäude der Sekte in Peru in ein Zimmer, in dem wir die Wahrheit über den Zustand ihres Führes erfahren. Und gegen Ende der zweiten Episode löst die Kamera Raum und Zeit auf, wenn wir in einer einzigen Kreisbewegung Zeugen werden, wie Eddie während der 14-tägigen „Behandlung“, eingesperrt in einem Zimmer, zunehmend den Verstand verliert.
Das Interesse ist geweckt, was es mit dieser Sekte wirklich auf sich hat, welchen Weg die verschiedenen Akteure einschlagen werden. Goldberg schildert ihre abgeschlossene Welt bislang angenehm zurückhaltend, nicht vordergründig ablehnend wie in einem Anti-Scientology-Film. Dass große Macht über andere Menschen auch ein großes Potential birgt, diese zu missbrauchen, wird trotzdem klar. Solange das hohe Niveau von Schauspiel, Drehbuch und Regie gehalten werden kann, wird man gerne zusehen wollen, wie stark das bei den Meyeristen geschieht.
Dieser Text erschien zuerst auf wunschliste.de.