Endspurt bei „Better Call Saul“. Mike findet eine mysteriöse Notiz und Jimmy muss feststellen, dass sein Bruder doch der Smartere ist. Unser Rezensent kleidet derweil sein Zimmer mit Alufolie aus.
Wir beginnen mit einer Rückblende: Jimmy McGill (Bob Odenkirk) und sein Bruder Chuck (Michael McKean) sitzen im Krankenhaus am Bett der Mutter. Diese liegt im Sterben. Chuck nimmt das ziemlich mit, aber Jimmy möchte eigentlich lieber was zu essen. Während seiner Abwesenheit wird die Mutter ein letztes Mal wach und fragt geistesabwesend nach Jimmy, danach stirbt sie. Die Szene deutet an, dass sich Chuck trotz seiner besseren Karriere immer mit seinem Bruder messen musste und in der Gunst der Mutter nur an zweiter Stelle lag. Ein weiteres Teilchen fügt sich in das Puzzle des Bruderkonfliktes.
Im Krankenhaus geht es direkt weiter, die Autoren lösen den Cliffhanger von letzter Woche schnell auf: Chuck lebt, muss aber ins Krankenhaus eingeliefert werden. Gab sich in der letzten Folge schon Peter Gould als Regisseur die Ehre, lässt es sich Vince Gilligan nicht nehmen, den Abschluss der Staffel selbst zu inszenieren und kommt hier mit einer schönen Idee um die Ecke: Er dreht die Szene komplett auf den Kopf, Chuck hängt oben am Bildrand. Das macht auf effiziente Weise deutlich, unter welchem Stress jemand wie der ältere McGill-Bruder leiden muss, wenn er in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Alles voll mit Elektrizität, die Ärzte drohen auch direkt mit EKG und CT. Die behandelnde Medizinerin (Clea DuVall in derselben Rolle wie in der ersten Staffel) möchte am liebsten eine Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung vornehmen.
Beim CT kommt es zu Komplikationen, Chuck fällt in einen nach Aussagen der Ärztin selbstinduzierten katatonischen Zustand, aus dem er aber schon bald erwacht. Jimmy bringt ihn erstmal nach Hause, über eine temporäre Betreuung kommt Chuck wohl nicht herum. Denn kaum lässt ihn Jimmy alleine, kleidet er sein Haus vollständig mit Aluminiumfolie aus. Man weiß als Zuschauer nie, ob man dafür noch irgendwie Mitlied haben soll. Außerdem hat Chuck die Kanzlei verlassen und will sich aufs Altenteil zurückziehen, weshalb Jimmy besorgt ist. Er begeht den Fehler, Chuck zu beichten, dass er für die Fehler auf den Mesa-Verde-Dokumenten verantworlich ist. Was er dabei nicht ahnt: Sein Bruder zeichnet das Gespräch auf. (Zuvor hat sich Jimmy theaterhaft aus der Szene verabschiedet und ist durch einen Vorhang aus Aluminium abgegangen.)
Den Finger am Abzug
Bei Mike Ehrmantraut hat sich nicht viel getan. Er befindet sich weiter im Beobachtungsmodus und stellt Nacho (Michael Mando) nach, vermutlich, um mehr Informationen über die Machenschaften des Salamanca-Clans zu bekommen. Anschließend geht es zu Schießübungen mit dem bekannten Waffenhändler (Jim Beaver), Mike übt sich in der Gewehrsbedienung über eine große Distanz. Was hat er vor? Er legt sich auf die Lauer und beobachtet in einer ziemlich spannenden Sequenz eine Hütte in der Wüste, wo die Salamancas jemanden umlegen. Er hat Hector ein paar Mal im Fadenkreuz, schießt aber nichts. Dann hört er ein Hupen seines abgestellte Fahrzeugs und findet eine Notiz: „Don’t.“ Wer diesen Zettel geschrieben hat, werden wir leider erst in der nächsten Staffel erfahren.
Gleich zwei Cliffhanger beenden also den zweiten Durchgang von „Better Call Saul“. Jimmy wird noch größere Probleme mit seinem Bruder bekommen, Mike bald vermutlich dem Schreiber der mysteriösen Notiz begegnen. Wer könnte es gewesen sein? Ich tippe auf Gustavo Fring oder jemanden aus seinem Umfeld. Spekulationen, der Drogenproduzent aus „Breaking Bad“ könnte bereits in dieser Folge auftauchen, haben sich nicht bewahrheitet. Vielleicht wäre das auch des Guten etwas zu viel gewesen, nachdem als Fanservice bereits Hector Salamanca in einigen Folgen zu sehen war.
Zeit für ein persönliches Fazit: Die zweite Staffel der etwas anderen Anwaltsserie konnte mich mehr überzeugen als die erste. Die Figuren sind besser ausgearbeitet und machen interessantere Entwicklungen durch, einige Handlungsstränge werden verdichtet und vorangetrieben. Das Tempo bleibt aber gemächlich, manchmal zu gemächlich für meinen Geschmack. Gewinnbringend war die Idee, Jimmy und Mike wieder zu trennen und ihnen unabhängige Erzählungen zu gewähren. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass „Better Call Mike“ doch die spannendere Serie geworden wäre.
Schauspielerische Glanzmomente
Michael McKean, der Darsteller von Chuck, braucht dringend mehr zu tun in der Serie. Die Szene, als er am Bett seiner sterbenden Mutter sitzt, gehörte schauspielerisch zu den Glanzmomenten dieser Staffel. Mit leisen Tönen macht dieser Mann eine Menge. Apropos Töne: In der zweiten Staffel spielt das Team um Vince Gilligan verstärkt mit unterschiedlichen Tönen herum. Wir haben Comedy- und Drama-Anteile, wir haben Thriller-Elemente, wir haben kleine stilistische Spielereien am Rande. Der Longshot aus der achten Folge fällt sofort ein (der übrigens eine Anspielung an die Eröffnungsszene von Orson Welles‘ „Touch Of Evil“ sein soll).
Als weiterhin nachteilig empfinde ich die Tatsache, dass viel Spannung dadurch verschenkt wird, dass wir bereits wissen, welche Figuren diese Serie überleben und später in „Breaking Bad“ wieder auftauchen. Wenn sich also Mike zum wiederholten Male in Gefahr begibt, springt das nicht auf den Zuschauer über, der ja den Erkenntnisvorsprung hat. Aber dieses Problem liegt jedem Prequel zugrunde.
„Better Call Saul“ bleibt eine tiefenentspannte Serie mit einem guten Schauspielensemble, auch wenn ich nicht mehr der größte Fan von Bob Odenkirk werde. Oft kommt er mir zu aufgesetzt rüber. Von einigen Schwankungen abgesehen fügt er sich aber ordentlich zwischen den wirklich befähigten Leuten wie Jonathan Banks, Rhea Seehorn und Michael McKean ein. Aber Mister Odenkirk hat noch etwas Zeit. AMC hat bereits eine dritte Staffel bestellt und es würde mich überraschen, wenn das die letzte bliebe.
Beide Staffeln von „Better Call Saul“ sind bei Netflix abrufbar.