Blick in den Trümmerhaufen: der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“

Lange angekündigt und von der Presse im Vorfeld einhellig als „TV-Event“ des Jahres gefeiert, lief diese Woche im ZDF der aufwändig produzierte dreiteilige Fernsehfilm, der ein irgendwie neues Bild von der Rolle der „einfachen“ Deutschen im Zweiten Weltkrieg zeichnen sollte. Was dabei herauskam, spricht leider Bände darüber, was im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen mittlerweile als Qualität durchgeht.

Von Jens Prausnitz

Dramaturgie mit dem Holzhammer: Ihre Freundschaft wird im Grunde nur behauptet statt erzählt; Fotos: ZDF

Wieder einmal haben wir den Versuch unternommen, vom Krieg und den Nazis zu erzählen, und wieder sind wir an diesen Bildern gescheitert. Aber ist es nicht der Versuch, auf den es ankommt, nicht das Scheitern? Ich wünschte, es wäre so einfach.

Doch der Reihe nach. Der Berichterstattung im Vorfeld der TV-Ausstrahlung konnte man sich nicht entziehen, allerorts wurde der Dreiteiler angekündigt und gelobt. Vereinzelt gab es dann die üblichen Hinweise auf Fehler, historische Ungenauigkeiten, Mängel in der Dramaturgie und Sprache. Nicht wenige haben den Selbstversuch entnervt abgebrochen, ohne das Ende zu kennen. Ja, es gibt bessere Filme über den Krieg, auch deutsche. „Die Brücke“ (1959) wird gerne heran gezogen, aber auch im Fernsehen hatte schon 196o „Am grünen Strand der Spree“ den Russlandfeldzug thematisiert, auch wenn dort noch an der Legende „böse SS und gute Wehrmacht“ gestrickt wurde. Die Liste lässt sich verlängern: in den 70er Jahren gab es den Aufschrei nach der „Holocaust“-Serie, in den 80ern kamen „Das Boot“ und „Heimat“, danach die verunglückte Verfilmung der Tagebücher von Victor Klemperer Ende der 90er.

Was dann folgte, waren die entsetzlichen Feelgoodmovies und Neo-Heimatfilme, wie sie Georg Seeßlen 2008 in seinem Aufsatz „Neue Heimat, alte Helden“ einordnete: „Die Gustloff“, „Der Untergang“, „Dresden“ und „Hindenburg“. Ein Genre, in dem sich nach Joseph Vilsmaier nun Nico Hoffmann und seine Firma Teamworx bequem eingerichtet haben, die damit nicht mehr nur bei den Privaten Rummel machen, sondern auch „Rommel“ für die ARD. Wobei diese letzteren Produktionen einen genaueren Blick verdienen, erfolgt doch eine Einbettung in einen Programmkontext mit Dokumentationen und Talkshows, die die Seriosität der fiktionalen Programme unterstreichen sollen. Ein Ansatz, der bei „Unsere Mütter, unsere Väter“ wieder zum Einsatz kommt.

Schon der Titel ist ein Versprechen: Das Schweigen soll endlich gebrochen werden, das, was unsere (Groß-)Eltern zum Schweigen brachte, nachvollziehbar gemacht, Empathie geweckt werden. Für „Unsere Mütter, unsere Väter“ tritt diesmal allerdings eher die Enkelgeneration vor und hinter die Kamera. Was erzählt uns der Film von Geschichte, Familie und Heimat? Ohne Spoiler wird es in der nun folgenden Beschreibung von Einzelheiten nicht gehen, daher für die, die es nicht wissen oder nicht wissen wollen: Wir haben den Krieg verloren.

Fünf Freunde (ohne Timmy, den Hund)

Der erste Teil ist eine derartig abgestandene Klischeesuppe, die uns schon so oft nur dürftig aufgewärmt aufgetischt wurde, dass man danach wenig begeistert den zweiten Teil einschaltet. Aber langsam. „Man sagt, dass alles um einen herum still wird, im Moment des Todes“, ist der erste Satz, den uns Wilhelm Winter (Volker Bruch) im Off einflüstert, ehe es pausenlos zu lärmen beginnt, wie um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen und Lebendigkeit zu behaupten, wo kein Leben mehr ist. Rückblende Juni 1941: Der strenge „Großvater“ ermahnt unsere „Väter“, redet von Ehre und Deutschland. Schuld am Krieg ist also die Generation davor. Prima, dass wir das gleich geklärt haben. Dann begegnen wir unseren fünf Freunden (ohne Timmy, den Hund), darunter ein Jude, Viktor (Ludwig Trepte), der seine Freunde anno 1941 öffentlich mit „Schalom“ begrüßt. Na, das kann ja heiter werden. Aber so muss das eben für die Zielgruppe (die selber dabei war!!!; liebe ZDF-Redaktion – geht’s noch???) erzählt werden. Schalom? Ach, das ist der Jude. Natürlich taucht bei der angestrengt fröhlichen, hektischen Exposition gleich noch der böse Nazi (anstelle der Gestapo) auf, wie wir es schon zu oft gesehen haben. Alles klar. Zwei Soldaten, die Krankenschwester Charlotte (Miriam Stein), die Sängerin Greta (Katharina Schüttler) und der jüdische Schneider (praktisch: kann Kleider und später Wunden bei den Partisanen nähen). Schnell wird klar, was uns der Film erzählen wird: den Krieg im Osten. Allerdings erst den gegen die Russen. Von den ersten heldenhaften Kriegserfahrungen Wilhelms erfährt man nichts. Könnte ja auch schnell peinlich werden, also klammert man es aus. Das hat schnell Methode, wie wir noch sehen werden.

Der gute Deutsche liest selbst im Schützengraben noch Hesse: Zweifler Friedhelm (Tom Schilling)

Auch die Kriegsästhetik setzt keine eigenen Akzente, sondern kopiert brav bei den Amerikanern von „Saving Private Ryan“ bis „Band of Brothers“ (ein ästhetischer Schulterschluss mit den Alliierten, wodurch man ein bisschen zum Sieger über das eigene Großvaterdeutschland wird), setzt auf Hyperrealismus in brillanter Schärfe der sehr kurzen Belichtungszeiten. Die überflüssigen Liebesgeschichten, die keine sind, werden nur der Vollständigkeit halber behauptet. Nicht einmal das unausgesprochen über der Szene schwebende Versprechen, dass Wilhelm und Charlotte das titelgebende Elternpaar sind, das am Ende zusammen kommt, wird erfüllt. Dann hätte man es besser weg lassen sollen. Es werden zu viele thematische Fässer aufgemacht, hier hätte die Konzentration auf weniger gut getan, denn so bleiben nur Stereotypen, die einen auf Dauer kalt lassen. Trotzdem findet selbst der erste Teil Bilder, die man nicht oder nur selten gesehen hat. Der Hauptprotagonist Wilhelm (Volker Bruch), auf dessen Überleben uns die Off-Kommentare richtig schließen lassen, erschießt auf Befehl einen Politoffizier. Es gibt dieses Zögern, und ich sah ihn schon in die Luft schießen und den Russen laufen lassen, als er ihn plötzlich doch von hinten exekutiert.

Später sehen wir seinen Bruder Friedhelm (Tom Schilling) in einem anderen Wald, und eine Fliege hinterlässt Blutspuren auf seiner Wange. Der Boden ist von Blut getränkt. Diese sprachlosen(!) Momente sind es, die genau den Anspruch erzählen, der sonst wieder für alle unmündigen Zuschauer (was machen die um diese Uhrzeit vor dem Fernseher?) zerredet wird. Auch dazu passt das wiederkehrende Entsetzen in den Augen von Tom Schilling, dem die Rolle des Kriegsverstehers Friedhelm (wie passend: Fried und Helm) zukommt, spricht er doch den für das Marketing so unglaublich wichtigen Satz aus – der mindestens dreimal in der Serie fällt: Der Krieg bringe das Schlechteste in uns zum Vorschein. Das ist also die „Message“, die wir mitnehmen sollen. Auch bei Maybrit Illner fällt später am Abend dieser Satz, und bei Peter Hahne sowieso. Schillings Friedhelm jedenfalls ist es dann auch, der die Idee ausspricht, jene Zivilisten in das Minenfeld zu schicken, die ihn und seine Kameraden zuvor dort hinein geführt haben. Damit ist es um seine Unschuld geschehen, kein halbes Jahr hat es gedauert. Im Frontlazarett dreht Charlotte unterdessen wieder und wieder das Radio lauter, damit auch wir die Schreie nicht mehr hören müssen. Und sie denunziert eine Jüdin. Versehentlich halt.

Antisemiten waren immer die Anderen

Der zweite Teil ist dann ein Qualitätssprung, den ich der Produktion nach dem nahezu völlig vergeigten Auftakt nicht mehr zugetraut hätte. Obwohl er nach der Auflösung des Cliffhangers einen Zeitsprung macht und genau die Episode auslässt, die aus dem kleinen Bruder einen kalten Mörder gemacht hat. Wir waren nicht dabei, als er seinen ersten Russen, Partisanen, Zivilisten, oder Soldaten erschossen hat. Jetzt tötet er schon, ohne mit der Wimper zu zucken, auf Befehl und spricht den nachrückenden Frischlingen gegenüber aus, wie er darüber denkt – aber wie er dazu geworden ist, wollten wir sehen und wissen! So wird diese Behauptung auf die Schultern von Tom Schilling abgewälzt, der in seinem Gesicht versucht, das auszusprechen, was ihm das Drehbuch genauso wie uns verschweigt. Charlotte kommen erste Zweifel, als sie erfährt, was mit den Juden hinter der Front passiert. Aber hier überzeugt die Schärfe im Ton der Krankenschwester Hildegard (Henriette Richter-Röhl), als sie die noch immer naive Kollegin ermahnt, vorsichtig zu sein, wem gegenüber sie sich kritisch äußert. Davon mehr wäre schön gewesen. In Berlin gibt es für Greta inzwischen die Erkenntnis, dass die Eltern Victors aus ihrer Wohnung „verschwunden“ sind und nun eine deutsche Mutter mit ihren Kindern dort über die mangelnde Sauberkeit klagt. Für zunehmend mehr Momente findet der Film hier das, wofür er im ersten Teil keine Zeit hatte.

Viktor und die Polin Alina (Alina Levshin) können aus einem Gefangenentransport fliehen und landen über Umwege bei polnischen Partisanen. Hier setzt der Film einen weiteren Akzent; so wird über weite Strecken polnisch gesprochen, vom Widerstand erzählt, und die Polen äußern ihren Antisemitismus frei heraus. Hier ahnt man, welche Chance vertan wurde – denn die gleiche Präzision lässt man bei den eigenen Leuten durchgängig vermissen. Antisemiten waren die anderen Deutschen, und eben nicht unsere Väter und unsere Mütter, von denen diese Trilogie angeblich erzählt. Die Deutschen schonen sich wieder selber, es wird also mal wieder das eine gegen das andere Unrecht aufgerechnet. Dafür gibt es die Szenen, als Friedhelm nach seiner Verwundung auf Fronturlaub zu Hause in der Heimat ist. Die Familie ist wieder nur ein verschenktes Klischee, Mama darf Kuchen backend in der Küche verschwinden und groß Tränen vergießen, der Papa sich idiotisch abwenden. Später aber sein Schweigen gegenüber der Jugend, die alle Abzeichen erkennt und benennt wie Sammelkarten, ist stark. Hier tut es weh, hier wäre es spannend gewesen, genauer und länger hinzusehen, wie zuvor bei den Partisanen. Aber das hält man nicht so lange aus, nicht wahr?

Die Brüder geraten aneinander, Wilhelm fragt nach dem Sinn, und Friedhelm hält ihm vor, Gott habe sie verlassen, es gäbe keine Führer, nur „die Männer“ – und dass er verlangt, von ihm im Kampf geführt zu werden. Na, was denn nun? Hat Wilhelm seinen Führerschein verloren? So scheint es, denn tags darauf wird er desertieren und im Wrack eines russischen Panzers danach suchen, und dort sein Wasser mit dem Feind teilen. Später versteckt er sich, eine Katze streichelnd, in einem Haus am See. Was zum Teufel…? Doch, die Szene gibt es wirklich, und natürlich wird er aufgegriffen, inhaftiert und zum Tode verurteilt. Charlotte schmeißt sich in die Arme eines anderen, Greta zweifelt öffentlich am Endsieg und landet vom bösen Nazi schwanger im Gefängnis. Ein Kind mehr für den Endsieg? Der falsche Fuffziger wäre damit doch bei den seinen locker davon gekommen (Stichwort Lebensborn), und Katharina Schüttler hätte richtig was zu spielen gehabt – stattdessen wartet sie schweigend den dritten Teil über auf ihre Erschießung. Dem Autor ist hier aber so rein gar nichts mehr eingefallen.

„Wir waren Helden…“

Überhaupt reißt der abschließende Film alles mit sich in die Belanglosigkeit, und Schlimmeres. Die von Christiane Paul gespielte (und in Teil 1 von Charlotte denunzierte) Jüdin Lilja kehrt als Befehlshaberin bei den Russen zurück und rettet die stets naive  Charlotte vor der drohenden Vergewaltigung durch einen Rotarmisten. Juhu, sie ist also doch keine durch Denunziation zur Mörderin gewordene Mutter. Toll. Stattdessen erschießen die Russen Verwundete und eine ihrer eigenen Leute, so die Schwester Sonja. Siehste, Sonja, nicht die Deutschen haben dich exekutiert, wie du dachtest, sondern die deinen. Ätschibätsch. Im gleichen Sinne darf Wilhelm im Strafbataillon mal eben nicht ein Häuschen wie befohlen abfackeln, sondern Väterchen und Mütterchen Russland in ihrer Hütte verschonen. Dafür wird er nicht erschossen. Bernd Michael Lade darf hier einen sadistischen Nazianführer des Strafbataillons geben, und wird folgerichtig später von Wilhelm abgestochen, der erneut desertieren kann – diesmal richtig, richtig im Sinne von: Er versteckt sich dieses Mal. Seine Morde und sein Töten bleiben gänzlich unreflektiert, werden so stehengelassen. Einmal als Befehl-ist-Befehl, einmal aus Rache/Notwehr/Hass, moralisch trotzdem fragwürdig. Friedhelm erwischt es noch schlechter. Er erschießt und mordet auf Kommando, jetzt selbst noch Kinder. Natürlich darf er dafür später den verantwortlichen bösen Nazi erschießen, um Viktor zu retten.

„Schalom, ich bin der Jude“: Viktor (Ludwig Trepte)

Aber was er auf keinen Fall darf, ist überleben, und so zu einem der Titel gebenden Väter werden. Nein, an der Seite des Volkssturms liegend provoziert er die Russen, ihn zu töten. Natürlich stirbt er einen ästhetischen (Helden-)Tod in Zeitlupe. Man möchte nur noch kotzen angesichts solcher Plattheit. Wir verheizen unsere sich abmühenden, begabten Darsteller in einem Machwerk. Einzig der Nazi-Schreibtischtäter bleibt im Nachkriegsdeutschland an seinem Platz. Am Ende stehen die drei überlebenden Freunde sprach-, perspektiv- und folgenlos wieder in Berlin beisammen, stoßen mit einem Toast auf Friedhelm und Greta an, und es gibt eine Montage aus besseren Zeiten. Texttafeln klären uns darüber auf, von wann bis wann die fünf gelebt haben, halt – Wilhelm lebt demnach noch. Ein Toast auf die Opfer. Ein Teilschuldeingeständnis wäre angebracht gewesen, Viktor hätte sie in den Arm nehmen und ihnen verzeihen können – nichts dergleichen geschieht.

„Der Krieg bringt das Schlechteste in uns zum Vorschein.“ Langsam wird klar, worum es den Machern mit diesem Satz ging: Das Schlechte ist auf allen Seiten gleichermaßen. Dass wir es waren, die den Krieg angezettelt haben, kann man da schon mal vernachlässigen. Unerträglich ist in diesem Zusammenhang die Wiederholung des Versatzstücks „Wir waren Helden…“, das ernsthaft auf die „Befreiung“ der Ukraine von den Stalinisten anspielt. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr das zum Kotzen ist. Unerträglich. Und falsch obendrein. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – wenn es im ersten Teil fällt, ist es Ausdruck der Propaganda, die „unsere Väter“ in den Krieg treibt, wir lügen uns vor, wir wären die Befreier. Wenn man das aber in Teil 3 wiederholt, als handele es sich dabei plötzlich um Fakten, nur weil die rote Armee gleichermaßen brutal zurückschlägt, wiederholt man die Propaganda wider besseren Wissens, im verdammten 21. Jahrhundert! Liebes ZDF, ich verlange die sofortige Rückerstattung aller Gebührengelder sowie gemeinnützige Strafarbeiten aller Beteiligten über entsprechend viele Tagessätze.

Was uns die Serie verschweigt, was fehlt, sind die Medien, die Propaganda, die Nähe der Großindustrie und Banken zu den Nazis – die falsche Gewissheit, den Krieg zu gewinnen, die von Propaganda vergiftete Atmosphäre, die Parallelen zu heute, wo von „Pleitegriechen“ und „faulen Südländern“ die Rede ist, oder in Berlin auf dem Papier Entscheidungen getroffen werden, die wie damals anderswo in Europa Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verhungern lassen.

Kein Gespür für die richtige Sprache

Und was lief bei Peter Hahne? Erhellenderes, sitzen sich doch hier quasi Enkel- und Großvatergeneration gegenüber: Henriette Richter-Röhl und Mainhardt Graf von Nayhauß. Hier spürt man zum ersten Mal das Bedrückende eines scheiternden Dialogs der Generationen über das Geschehene. Auf die Frage, ob er mit seinen Töchtern denn schon früh über seine Kriegszeit gesprochen habe, antwortet von Nayhauß etwas unglücklich: „Mit der älteren, die 44 ist, erst letzte Woche…“. Überhaupt spürt man im dem Achten auf die korrekte Form der Sprache, die Etikette, im Preußischen, den Schutzwall, sich emotional mit dem Gewesenen auseinanderzusetzen. Erschütternd ist in diesem Zusammenhang selbst noch die Sprachlosigkeit, die sich einstellt, wenn man der Jüngeren zustimmen muss, wo sich von Nayhauß immerhin mehrfach ein „Einverstanden“ abringen kann. Hier wird vielleicht am deutlichsten, was der ZDF-Produktion fehlt: die richtige Sprache. Die Figuren dort klingen nicht entfernt wie unsere Großeltern, sondern nach den Enkeln und wie sie sich, in der Zeit zurückversetzt, damals ausgedrückt hätten. Worauf sich Henriette Richter-Röhl hier eingelassen hat, verdient mehr Anerkennung als der unsägliche Dreiteiler.

Denn die Frage danach, was unsere Großeltern hat wegsehen und kunstvoll übersehen lassen, stellt sich für jede Generation wieder. Die Begriffe mögen sich ändern, der Gebrauch von Jargon anstelle von Sprache ist jedoch identisch – ob es „Judenpack“ oder „Pleitegriechen“ heißt, „Sozialschmarotzer“, „Hartz-IV-Empfänger“, „Gutmenschen“, „Moralkeule“ oder dergleichen mehr. Alles beginnt damit, nicht mehr so genau hinzusehen oder sehen zu wollen oder auf korrekte Zahlen auszuweichen: In „Unsere Mütter, unsere Väter“ sichtbar in den Einblendungen, die einem ständig vorrechnen, in welcher Nähe zu welchem Ort wir uns gerade befinden. So ist man stets etwas daneben, legt aber wieder sehr deutsch Wert auf die korrekte Zahl. Genau das zieht sich bis heute durch, wo uns vorgerechnet wird, dass die Produktion 14 oder werweisswieviele Millionen gekostet hat, und die Einschaltquote lag bei 7,22 sowie 6,57 und 7,63 Millionen. Die Russen hatten über 20 Millionen Tote, und, und, und. Man ertränkt jede sinnvolle Auseinandersetzung in Zahlen, die doch nichts belegen. Das macht deutlich, wie wenig wir begriffen haben, und allein dafür bin ich diesem ZDF-Dreiteiler dankbar, weil sein offensichtliches Scheitern hoffentlich mehr Aufmerksamkeit bringt, sich mit richtigen Quellen und echten Menschen auseinanderzusetzen.

Was denkt der fiktional noch lebende Wilhelm wohl über die Eurokrise und das heutige Deutschland? Wir werden es wohl nie erfahren.

3 comments

  1. Sehr geehrter Herr Prausnitz, ich möchte mich kurz fassen,obwohl Ihr Artikel eigentlich dazu reizt, ihn Zeile für Zeile zu rezipieren. Im Detail kann man sicher über Vieles sehr unterschiedlicher Meinung sein, insbesondere Friedhelms Tod finde ich bedauerlich. Aber insgesamt muss ich Ihnen deutlich widersprechen! Nach Jahren, in denen die historischen fictionalen Mehrteiler stets mit einem Zuckerguss überzogen wurden, ist UMuV wirklich ziemlich schonungslos und authentisch. Die Sprachlosigkeit ist eine FOLGE der Kriegstraumatas,beginnt also nach 45. Ich kenne z.B. das ziemlich redselige Tagebuch meines Vaters (Jhg. 1926;Flaghelfer und dann Marinesoldat). Ihr teilweise vernichtendes Urteil kann ich nicht teilen! Und der Kernsatz; der Krieg bringt das Schlechteste in uns hervor, ist nicht nur richtig und großartig, sondern wird in allen drei Teilen sehr nachvollziehbar umgesetzt. Hier hält UMuV nicht nur mit hochgelobten amerikanischen Formaten mit, sondern übertrifft sie m.E. gar z.T. Was ich am meißten bedauere ist die Tatsache,dass aus diesem wertvollen Dreiteiler nicht eine Reihe wird, die sich generationenübergreifend bis heute durchzieht. Insofern teile ich Ihren letzten Satz…
    Mit besten Grüßen
    Malte Otten

  2. Sehr geehrter Herr Otten, ich gebe ihnen Recht, dass sich UMUV um Authentizität bemüht, aber schonungslos ist die Serie leider nicht. Wenn auf BILD.de im Infokästchen gefragt wird, ob die Polen wirklich so antisemitisch waren, dann ist die Antwort in der Tat ja, aber die Serie muss sich dann die Frage gefallen lassen, warum ausgerechnet das europäische Volk, welches sich als einziges an einer industriellen Vernichtung versucht hat, nicht so dargestellt wird. Wenn man nicht nur gebildeteres Publikum voraussetzt, kann da leicht ein anderer, verfälschender Eindruck entstehen, und dagegen wehre ich mich entschieden. Ich lebe in Polen, und dieses Kapitel wird hier gerade erst aktuell im Kino thematisiert. Lange überfällig, aber es passiert. Dass an dieser Stelle nun ausgerechnet die deutschen Nachbarn vorpreschen – ich wage zu bezweifeln, wie „positiv“ man das hier aufnehmen wird. Dabei weiß ich das nahezu akzentfreie Polnisch in einer deutschen Serie sehr zu würdigen. Aber warum man hier Sendezeit bei den polnischen Partisanen aufwendet, wo es im Titel um unsere Mütter und Väter gehen sollte, sorgt für Stirnrunzeln.

    Der Satz für das Marketing ist ebenso korrekt, wie entlarvend. Und sehr gerne hätte ich dieses Format in Serie gesehen, denn Wilhelm und Charlotte waren als Elternpaar angelegt, und als solche hätte ich sie jetzt gerne gesehen. Wenn das ZDF mutig wäre, würden sie die Geschichte der überlebenden Figuren in der Wirtschaftswunderzeit der 50er Jahre wieder aufnehmen.

    Vielen Dank für Ihren Beitrag, und als vernichtend möchte ich mein Urteil nicht verstanden wissen, denn ich freue mich über die Diskussion zum Thema, die uns gerade im heutigen Europa den Blick auf das Wesentliche schärfen könnte: das wir nicht mehr gegeneinander Krieg führen!

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