Ab heute (6. Juli) wiederholt der ORF seine gelungene Polizeiserie „CopStories“ jeweils dienstags noch einmal von vorne. Unser Autor Hannes begleitet die Ausstrahlung mit wöchentlichen Episodenreviews. Schon zum Serienstart 2013 haben wir erklärt, wie es ging, dass eine Polizeiwache quasi komplett von Amsterdam nach Wien verlegt wurde.
So genannte Problembezirke gibt es sicherlich in jeder europäischen Großstadt und so sind die Geschichten, die der ORF in seiner von März bis Mai 2013 erstmals ausgestrahlten Serie „CopStories“ erzählte, auch universell. Aber nirgends hätte der Zusammenprall alteingesessener und zugewanderter Einwohner so viel Schmäh wie in Wien. Gleich am Anfang der ersten Folge gibt es einen herrlichen Wutausbruch eines Taxifahrers, der durch den Einzug einer arabischen Familie samt Flügel in seinem Mietshaus den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen sieht. Einige Episoden weiter stolpert ein Sturzbetrunkener aus einer Kneipe und speit erst einmal vor selbige. Daraufhin entbrennt ein für Nicht-Österreicher nur schwer verständlicher, aber umso charmanterer Disput mit dem Wirt, wer denn nun die Sauerei aufwischen müsse. Dieser wird auch nicht gerade dadurch beruhigt, dass jeder der beiden zufällig auf Streife vorbeikommenden Polizeibeamten Partei für jeweils einen der beiden Disputanten ergreift.
„CopStories“ spielt in Ottakring, einem Wiener Stadtbezirk mit besonders hohem Migrantenanteil und oft sind es gerade Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen, um die sich die Geschichten drehen. Dabei erinnern die Aufgaben, mit denen die vielköpfige Truppe des Polizeireviers konfrontiert wird, und die von alltäglichen Ruhestörungen bis zu Ermittlungen gegen die Russenmafia reichen, an eine Mischung aus „KDD“ und „Die Wache“ – oder anders gesagt: an „Third Watch“ auf Wienerisch. Auch zu den frühen Folgen des „Großstadtrevier“ mit seinen „großen Haien, kleinen Fischen“, bevor die Serie zunehmend zu einer behaglichen Selbstparodie abrutschte, liegen Parallelen nahe. Wie in jeder guten Polizeiserie sind die besten Geschichten immer nur ein paar Straßen entfernt. Dabei besteht die Truppe aus unterschiedlichsten Charakteren, die aber alle keine makellosen Helden in Uniform sind. Da gibt es etwa auch einen Rassisten, der mit seinen Ansichten auch vor seinem ausgerechnet deutsch-türkischen Partner (quasi ein doppelter Migrationshintergrund) nicht hinterm Zaun hält. Oder einen vom Großstadtleben überforderten Kollegen vom Land, der seiner Einsamkeit mit regelmäßigen Besuchen bei einer freundlichen Prostituierten entkommen will.
All das ist modern inszeniert, mit einer lebendigen (Hand-)Kameraführung, schnellen Wechseln zwischen mehreren parallel erzählten Handlungssträngen, von denen sich einige auch von Folge zu Folge fortschlängeln. Das Schlagwort vom internationalen Standard ist hier wahrlich keine Floskel. Die einzelnen Geschichten wechseln von spannend zu witzig und auch mal zu dramatisch, bleiben immer glaubwürdig und gesellschaftlich relevant.
Niederländisch-österreichische Transformationsprozesse
Der Grund, warum diese ORF-Produktion, mit der der öffentlich-rechtliche Sender so vieles richtig gemacht hat, was seinen deutschen Pendants höchstens alle fünf Jahre einmal gelingt, bei manchen Kritikern trotzdem nicht gut angekommen ist, ist, dass die Geschichten nicht nur in jeder anderen Großstadt spielen könnten. Sie haben es tatsächlich schon einmal fast genauso getan. „CopStories“ ist nämlich eine Adaption der niederländischen Serie „Van Speijk“, die von 2006 bis 2007 auf insgesamt drei Staffeln kam. Vergleicht man die Auftaktfolgen beider Serien (das Original ist komplett auf YouTube verfügbar), stellt man fest, dass das Originaldrehbuch tatsächlich zu rund 90 Prozent einfach übernommen und übersetzt wurde. Lediglich in kleineren Details der Geschichten haben die österreichischen Autoren es hier und da abgewandelt. So haben die „Sex-Orgien“, die aufgebrachte Nachbarn die Polizei rufen lassen, in Wien ihre Ursache in einigen Abiturienten, die ihre Matura mit Prostituierten feiern, während in Amsterdam ein Pornodreh in einem Wohnhaus dahinter steckt. Beim ORF ist übrigens nur das Stöhnen durch die geschlossene Tür zur Terrasse zu hören, während die Niederländer in gewohnter Offenheit erst auf einem Smartphone-Display, später auch in natura, nackte Tatsachen präsentieren. Ansonsten fallen insbesondere folgende Änderungen auf:
– Die Amsterdamer Truppe beinhaltet gleich zwei schwarze KollegInnen (aus der Ex-Kolonie Surinam), während es beim Wiener Pendant außer dem türkischstämmigen Beamten (der auch in Amsterdam dabei ist, dort allerdings nicht aus Deutschland versetzt) nur noch eine Kollegin mit russischen Wurzeln, aber keine dunkelhäutigen Polizisten gibt. Leben in Wien tatsächlich weniger Schwarze oder wäre das dem ORF zu gewagt multi-kulti gewesen?
– Die Wiener Polizisten und vor allem Polizistinnen sehen überwiegend wesentlich besser aus als ihre Amsterdamer Vorbilder. Sind WienerInnen wirklich schönere Menschen oder hatten die einschlägigen niederländischen SchauspielerInnen bloß keine Zeit?
– Während der Chef der Amsterdamer Wache ein strahlender Held wie aus dem Polizeiregelbuch ist, der schon in der ersten Folge mehrere eindringliche Reden an die Bevölkerung hält, wirken der Wiener Oberst und seine Beamten insgesamt geerdeter, realistischer. Hier haben die Autoren wirklich gute Adaptionsarbeit geleistet.
Wie man überhaupt festhalten muss: Wäre „CopStories“ eine Eigenkreation, müsste man die Österreicher einmal mehr für ihre Drehbuchautoren beneiden. So hat das Ganze natürlich einen etwas merkwürdigen Beigeschmack – ohne dass man gleich von „kreativer Bankrotterklärung“ sprechen muss, wie es unser Autor Hari List nach dem Start der ersten Staffel tat. Trotzdem bleibt für alle deutschsprachigen Zuschauer, die das Original nicht kennen (können), eine gelungene Polizeiserie, die weit zeitgemäßer und glaubwürdiger erzählt und inszeniert ist als all die im Duktus der 90er Jahre steckengebliebenen „SOKO“-Ableger des ZDF oder gar die „Heiter bis tödlich“-Versuche der ARD. Ab Staffel 2 löste sich der ORF dann mit eigenen Geschichten vom Vorbild, wie es etwa auch John Wells und sein US-Autorenteam bei der Adaption des britischen „Shameless“ getan haben, deren erste Folge auch noch Szene für Szene vom Original übernommen war.
„CopStories“ Staffel 1, ab 9. Juli jeweils dienstags um 21.05 Uhr auf ORF eins (und danach in der TVthek abrufbar).
Es würde die ganzen Polizei- und Ermittlerserien deutlich beleben und authentischer wirken, würden Fälle mal nicht gelöst werden, wenn sie aufgrund ihrer Dauer im Sande verliefen oder wenn aufgund von schlampigen Ermittlungen die falschen Leute eingebuchtet würden. Also eben all das, was den Alltag all der involvierten Behörden kennzeichnet.
Aus diesen Umständen und Fehlschlägen erwächst dann genügend Frust, Zynismus, Gleichgültigkeit und Konfliktpotenzial, den man sich für die Figurenzeichnung zunutze machen kann. Doch ist von diesem Alltag in den deutschen diesbezüglichen Serien allerdigs nichts zu sehen, da die verantwortlichen Senderleute ihrem Publikum zu viel Realität nicht zutrauen wollen. Das ist eine der depremierendsten Unzulänglichkeiten deutscher Polizei- und Ermittlerserien, weswegen für sie das gilt, was für Pornos gilt: Kennt man einen, kennt man alle!
Fernsehen ist immer auch ein wenig Eskapismus, denke ich – wir wollen ja daran glauben, dass das Gute immer siegt, oder es sich zumindest lohnt dafür zu kämpfen.
Ich stimme Ihnen aber zu, dass das wirklich Potential hat, wenn Fälle nicht oder falsch gelöst werden. Andererseits stellt es auch dramaturgische Probleme dar: Wenn Sie einen Krimi schauen, dann kann man einfach nicht guten Gewissens den Übeltäter unerforscht lassen. Das ist einfach nicht unser Verständnis von einer Geschichte. Es geht da gar nicht um die Darstellung der Realität oder nicht – es wirkt unfertig und lässt Zuseher unzufrieden zurück – sie kommen nie wieder, die Serie verliert Zuseher. Aber ja, gerade CopStories hat durch seine multiplen Fälle die Möglichkeit dazu, Fälle ungelöst zu lassen.
Der Vergleich mit den „Sokos“ und den meisten „Heiter bis tödlich“-Serien ist insofern nicht richtig, da dies wirklich Krimiserien sind, also fast immer einen Mord und einen „Whodunit“ mit einem klaren Mainplot (der Aufklärung) erzählen.
Während „Cop-Stories“ wie auch z.B. „Großstadtrevier“ Polizeiserien sind, also im Grunde Familienserien im Polizeimilieu, wobei die Familie nicht aus Verwandten, sondern aus Kollegen besteht.
„Workplace drama“ könnte man es auch nennen.
*Klugscheißermodus aus*
Ich würde „CopStories“ auch auf jeden Fall als Drama bezeichnen, workplace drama ist absolut die richtige Bezeichnung.
Im übrigen: Interessanter Artikel, gut geschrieben. Und „Torrent“ finde ich überhaupt klasse!
FYI: Cop Stories ab Heute jeden Freitag 21:00 auf BR.