Fast wie „Das Fest – Die Serie“: das dänische Familiendrama „Die Erbschaft“

Die ungleichen Geschwister vor dem Objekt der Begierde: Signe, Gro, Frederik und Emil; Foto: DR

Die dänische Serienwelle rollt auch in Deutschland weiter – jetzt auch auf arte. Ab dem 9. Juni erlebt das Familiendrama „Arvingerne/The Legacy“ mit Trine Dyrholm endlich seine deutsche TV-Premiere. Die kürzlich auf der Berlinale ausgezeichnete Schauspielerin war schon beim internationalen Durchbruch des dänischen Kinos 1998 in „Das Fest“ dabei.

Am Anfang ist die Welt noch halbwegs in Ordnung. Ok, der älteste Sohn der wohlhabenden Künstlerfamilie Grønnegaard, Frederik  (Carsten Bjørnlund), will nicht zur Weihnachtsfeier seiner Mutter Veronika (Kristen Olesen) kommen, weil die Beiden sich verkracht haben. Wie in einer ganz normalen Familie halt, wo die erwachsenen Kinder sich von den Eltern entfremdet haben, unterschiedliche Lebensauffassungen dafür gesorgt haben, dass jeder meist seiner eigenen Wege geht. Aber zumindest der jüngere Bruder Emil (Mikkel Boe Følsgaard) hat sich aus Thailand angekündigt, wo er eines seiner Projekte verfolgt, die bislang noch nie geklappt haben. Und die Erstgeborene Gro (Trine Dyrholm), eine ehrgeizige Galeriemitarbeiterin, plant schon das Familientreffen, wie es so ihre Art ist, immer alles für andere zu organisieren. Aber Veronika, erfolgreiche Künstlerin und von ihren Kindern enttäuscht, hat gerade eine schockierende Prognose von ihrem Arzt bekommen und spürt das starke Verlangen, Kontakt zu einer weiteren Tochter zu suchen – die gar nicht weiß, dass Veronika ihre Mutter ist.

Eine Großfamilie in einem üppigen Anwesen auf dem Land, Konflikte mit den erwachsenen Kindern und lange gehütete Familiengeheimnisse – vieles in der neuen dänischen Dramaserie „Die Erbschaft“ von Chefautorin Maya Ilsøe erinnert an Thomas Vinterbergs „Das Fest“, jenen Film, mit dem 1998 nicht nur die Dogma-Bewegung begann, sondern auch die bis heute anhaltende internationale Erfolgswelle des zeitgenössischen dänischen Kinos (und später Fernsehens). Und so ist es mehr als nur eine Pointe am Rande, dass eine Schauspielerin hier in der Hauptrolle der Gro zu sehen ist, die bereits als junge Frau als Kellnerin in „Das Fest“ dabei war: Trine Dyrholm, auch hierzulande aus vielen weiteren Filmen wie etwa „Okay“ oder „Love is All You Need“ von Oscarpreisträgerin Susanne Bier bekannt. Aber ansonsten steht „Arvingerne“, so der Originaltitel, doch ganz auf eigenen Füßen.

Nach langsamem Auftakt verdichten sich schon bald die Konflikte, stehen sich die Interessen der einzelnen Alt- und Neugeschwister gegenüber und überlappen sich mit den Gefühlen, die sich eben so entwickeln, wenn bislang festgefügte Familienstrukturen sich plötzlich diametral verschieben. Denn Veronika – so weit muss man wohl spoilern – stirbt schon kurz nach der ersten Wiederbegegnung mit Signe, der Tochter, die bis heute dachte, ihre Eltern wären Lise und John. Und vorher hat die leibliche Mutter ihr noch das Haus vererbt. Mit dem hatten alle anderen, „offiziellen“ Kinder aber ganz andere Pläne: Frederik und Emil wollten es hauptsächlich aus finanziellen Gründen, Gro wollte die Mutter überreden, es mitsamt deren Werken in eine Stiftung zu überführen, um ein Museum daraus zu machen. Mit dem Auftauchen der verlorenen Schwester und des Nottestaments der Mutter sind die Erbverhältnisse nun aber völlig unklar und jeder ist sich erst einmal selbst der nächste – bis auf Signe, die quasi unschuldig durch diese für sie neue Welt wandelt, ohne jede böse oder auch nur egoistische Absicht. Während sie sich zunächst einfach nur über die „neuen“ Geschwister freut, liegen die schon auf der Lauer…

Wenn die Eltern freigeistige Alt-68er sind

Die Serienproduktionen des öffentlich-rechtlichen dänischen Fernsehens DR haben seit einigen Jahren international einen unglaublichen Lauf: „Forbrydelsen“ („Kommissarin Lund“) war ein Welterfolg, wurde nicht nur im ZDF oder bei der BBC zum Quotenhit, sondern sogar als „The Killing“ in den USA adaptiert. Die Poliserie „Borgen“ bewies einige Jahre später, dass aus Skandinavien nicht nur tolle düstere Krimis kommen, sondern die Dänen es auch in ganz anderen Genres mit den englischsprachigen TV-Nationen aufnehmen können. Und auch „Die Erbschaft“ wurde bereits auf internationalen Filmfestivals gefeiert und ausgezeichnet. Wenn auf den ersten Blick das Alleinstellungsmerkmal hier fehlen mag, vereint die Serie doch all das, was wir am dänischen seriellen Erzählen schätzen gelernt haben: ein interessantes, vielschichtiges Figurenensemble, eine reizvolle Ausgangssituation, die sich zunehmend weiterentwickelt, eine unaufgeregte Inszenierung (konzeptionelle Regisseurin ist Pernilla August) und durchweg starke Schauspieler. Dyrholm ist hier nur eine unter Gleichen, die nur wegen ihrer Bekanntheit außerhalb Dänemarks zwischen ihren Kollegen hervorsticht. Besonders eindrucksvoll sind aber auch Marie Bach Hansen als naiv-warmherzige Signe und Jesper Christensen als Thomas, bohèmehafter (Lebens-)Künstler und erster Ehemann Veronikas. Er hat den Joint praktisch immer im Mundwinkel und die Rotweinflasche ständig in der Hand, lebt in einem Wohnwagen auf dem weitläufigen Anwesen seiner Ex-Ehefrau und benimmt sich seinen (Stief-)Kindern gegenüber eher wie ein komischer Onkel.

Die Serie wirft auch die alte Frage vom Generationenkonflikt zwischen 68er-Eltern und deren Kindern auf: Wie soll man selbst erwachsen werden, wenn die Eltern es im Geiste und teils auch äußerlich nie geworden sind? Heißt Rebellion dann, spießiger zu werden als die eigenen, ach so unangepaßten Hippieeltern? Obwohl die Gemengelage durch die unkonventionelle Rollenverteilung zwischen Eltern- und Kindergeneration zusätzlichen Reiz gewinnt, wäre es aber zu kurz gegriffen, „Die Erbschaft“ auf das Thema 1968 und die Folgen zu verkürzen. Die thematisierten Konflikte und Konstellationen sind letztlich so universell, dass sich jeder darin wiedererkennen dürfte, wenn er nicht gerade völlig ohne Verwandte aufgewachsen ist. Anders als in „Forbrydelsen“ ist hier die Lage aber – zumindest in den ersten drei Folgen, die das DVD-Label vorab zur Verfügung stellte – nie völlig verkorkst. Zwischen all den unbewältigten Zurückweisungen, den Lügen und den Egoismen, ist doch auch immer Raum für Lebensfreude, für eine überraschende herzliche Geste, für Musik und Kunst und ausgelassenes Über-die-Stränge-Schlagen. Das ist halt bei aller Verwirrung doch der Vorteil einer solchen 68er-Erziehung: Langweilig wird es in einer Familie wie dieser nie.

DK 2014, ca. 560 Minuten, Ton: Deutsch. Label: Constantin/Nadcon. Ab 8. Januar 2015 auf DVD.

Ab dem 9. Juni donnerstags ab 20 Uhr 15 auf arte.

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