Das neueste Meisterwerk aus dem Hause Showtime läuft seit einigen Wochen sonntags im Doppelpack mit „Homeland“: Verfilmung eines biografischen Buchs, elegantes Period Piece à la „Mad Men“ und eine Erzählung vom Kampf der Wissenschaft für gesellschaftlichen Fortschritt – all das ist „Masters of Sex“.
Dr. William Masters (Michael Sheen) ist ein erfolgreicher und angesehener Gynäkologe und Chirurg an der Washington University in St. Louis. Doch obwohl er Tausende von Frauen behandelt hat, weiß er über die psychologische Seite von deren Sexualleben erstaunlich wenig. Das wird ihm bewusst, als die Prostituierte Betty ihm erklärt, einen Orgasmus vorzutäuschen sei ein ganz normales Verhalten vermutlich fast aller Frauen. Betty (Annaleigh Ashford) ist Masters‘ Studienobjekt, heimlich beobachtet er sie beim Sex mit ihren Freiern und macht sich dabei Notizen über Dauer und Intensität der Erregungsphasen – natürlich alles aus rein wissenschaftlichem Interesse. Als Masters seinem Dekan (Beau Bridges) eine neuartige Studie zu den körperlichen Geschehnissen während des Geschlechtsaktes vorschlägt, lehnt der entrüstet ab, er solle sich doch lieber auf die Behandlung medizinischer Probleme beschränken. Aber als ganzheitlich denkender Wissenschaftler lässt sich Masters nicht abschrecken und beginnt heimlich Testpersonen zu rekrutieren: zunächst weibliche Mitarbeiter der Uniklinik, die er mit Messgeräten überwacht, während sie masturbieren, später lädt er auch männliche Kollegen dazu. Echter, noch dazu außerehelicher Sex unter Laborbedingungen – klar, dass das für Ärger sorgt.
Denn wir befinden uns in den 50er Jahren, lange vor der sexuellen Revolution. Die von Michelle Ashford entwickelte Serie „Masters of Sex“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Thomas Maier, das wiederum die wahre Geschichte von Masters und dessen Assistentin Virginia Johnson erzählt. Da die Gesellschaft in den USA heute immer noch recht prüde ist, kann eine Serie mit einem solchen Thema im Grunde nur fürs Pay-TV entstehen. Und so nahm sich Showtime der Geschichte an, was man schnell merkt, da es schon in der Pilotfolge recht explizit zur Sache geht. Wirkt der von Masters heimlich beobachtete Sex Bettys mit ihrem Freier noch eher komisch, fehlt es den späteren freizügigen Sexszenen im Labor nicht an Erotik. Wobei die nackte Haut hier eben interessanterweise im Gegensatz zu vielen anderen Serien von Showtime oder dessen Konkurrenten HBO einmal inhaltlich begründet ist. Das eigentliche Thema der Serie ist aber das nicht Sichtbare: das, was in den Köpfen der Probanden wie der beobachtenden Wissenschaftler vorgeht, und wie sich langsam der gesellschaftliche Blick auf Sex verändert – wozu Masters und seine Kollegin wesentlich beitragen werden.
Versteckte Leidenschaft – nicht nur für die Wissenschaft
Man kann sich den herrschenden restriktiven Umgang mit Sexualität heute kaum noch vorstellen, wenn man damals nicht selbst schon gelebt hat. Sinnbildlich dafür steht Masters selbst, der alles über den weiblichen Körper weiß, aber nichts über die Gefühle von Frauen, seine eigene eingeschlossen. Mit Ehefrau Libby (Caitlin Fitzgerald) praktiziert er lieblosen Sex in Löffelchenstellung, angeblich der zur Befruchtung geeignetsten. Dass eigentlich er der Unfruchtbare des Paares ist, will Masters weder sich noch seiner Gattin eingestehen. Und sein Kollege Ethan (Nicholas D’Agosto) ist schockiert und fasziniert zugleich, als seine neue Geliebte Virginia Johnson (Lizzy Caplan) sich als Meisterin des Blowjobs erweist. Aber die toughe alleinerziehende Mutter hat noch ganz andere Talente: Obwohl sie keinerlei Collegeabschluss hat, gelingt es ihr, Masters zu überzeugen, sie als seine neue Assistentin einzustellen. Ihre Fähigkeit, mit Menschen umzugehen und insbesondere Probanden für Masters‘ ungewöhnliche Testreihe zu rekrutieren, macht sie für ihren Chef schon bald unentbehrlich. Der scheint aber auch darüber hinaus viel von der klugen jungen Frau zu halten, auch wenn er sich das nicht anmerken lassen will. Oder ist sein schräg wirkender Vorschlag, die Beiden sollten selbst einmal als Testpersonen miteinander schlafen, wirklich nur darin begründet, dass er „sexuelle Übertragungen“ der Forscher auf die Probanden eliminieren will?
Auf dem Papier wirkte es vielleicht noch etwas fragwürdig, ob ein Sachbuch über zwei Pioniere der Sexualforschung in den 50er Jahren wirklich ein geeigneter Stoff für eine interessante Fernsehserie abgeben würde. Schon während der Pilotfolge zerstreuen sich diese Bedenken restlos: „Masters of Sex“ entpuppt sich als faszinierendster Serienneustart seit längerer Zeit. Die Beteiligten machen hier alles richtig: Das beginnt – fürs US-amerikanische Pay-TV fast schon selbstverständlich – mit dem detailgetreuen und authentischen Zeitkolorit in Ausstattung und Kostümen, reicht über eine hervorragende Kameraarbeit bis zu den auf ganzer Linie überzeugenden Schauspielern. Michael Sheen, der viel Erfahrung im Verkörpern realer historischer Personen hat, etwa als Tony Blair in „Die Queen“, gibt den Dr. Masters als verklemmt wirkenden Rationalisten, hinter dessen kontrolliertem Äußeren nicht nur eine Leidenschaft für die Wissenschaft zu stecken scheint. Und Lizzy Caplan stellt als Virginia mit ihrer Lebenserfahrung und ihrem Menschenverstand die in Wahrheit stärkere Seite des ungleichen Duos dar.
Überholte Moral und „abweichendes“ Verhalten
Darüber hinaus erweist sich aber auch das Thema als wesentlich facettenreicher als man zunächst hätte glauben können. Die Sexualforschung ist hier letztlich nur eine Metapher für den gesellschaftlichen Prozess der Aufklärung, wobei dieser Begriff tatsächlich einmal im sexuellen wie im Kant’schen Sinn zu verstehen ist. Mit ihren Studien kämpfen die Protagonisten gegen eine überholte, an Moral geknüpfte Wissenschaftsauffassung, die verhindert, dass Menschen durch ein besseres Verständnis körperlicher Vorgänge auch zu einem befriedigenderen Umgang miteinander gelangen können.
Insbesondere in der dritten Folge wirft die Serie auch einen entlarvenden Blick auf die Geschlechterrollen der 50er Jahre. Und Homosexualität galt auch einem progressiven Mediziner wie Masters noch als abweichendes Verhalten. Wenn es den Autoren gelingt, solche sozialen Themen weiterhin so brillant mit den persönlichen Beziehungen ihrer Figuren zu verknüpfen, könnte ihre Serie ein würdiger „Mad Men“-Nachfolger werden.