„Es heißt immer wieder: Krimi, Krimi, Krimi“: „Verbrechen“-Autor André Georgi im Interview

Möchte auch mal ein reines Drama schreiben: André Georgi; Foto: Christine Kisorsy

Mit Beiträgen zur „Tatort“- und „Bella Block“-Reihe sowie der aktuellen Staffel von „Letzte Spur Berlin“ gehört André Georgi zu den gut beschäftigten Drehbuchautoren des Landes. Für die unkonventionelle ZDF-Serienadaption des Ferdinand von Schirach-Bucherfolgs „Verbrechen“ schrieb er die erste Folge „Fähner“. Im Rahmen der Veranstaltung „Filmstoffentwicklung – Tag der Dramaturgie“ in Berlin sprach er mit Jens Mayer über die Krimiflut und einen wichtigen Paradigmenwechsel im deutschen Fernsehen.

Herr Georgi, Sie haben auf Ihrer Website Ihr Credo ausgegeben: „Das Langweiligste am Krimi? Der Krimi. Das Spannendste am Krimi? Das Drama.“

Ich habe schon öfter überlegt, ob es gut war, das so hinzuschreiben. Die Aussage ist für einen Krimiautoren natürlich offensiv, aber es geht mir so.

Muss man sich als Drama-Autor in Deutschland zwangsläufig darauf einlassen, das Drama im Krimi zu suchen – ganz einfach, weil man kaum eine andere Möglichkeit bekommt?

Ja, muss man. Wir hatten bei einer Siegfried Lenz-Verfilmung der Minigeschichte „Die Flut ist pünktlich“ kurzzeitig die Idee, dass wir es schaffen, ein Drama zu erzählen, das kein Krimi ist. Das hat nicht lange funktioniert: Ruckzuck kam der Wunsch – mit Hinweis auf die Vorliebe des Publikums – nach einem Krimi, und dann mussten wir es auch machen. Das hat zwar super funktioniert, aber letztendlich muss man sagen, dass selbst mich – einen krimischreibenden Autor –diese Dominanz des Krimis eigentlich nervt. Es ist wie ein Gestrüpp, das alles zuwuchert, und das die Genrevielfalt, die wir eigentlich erhalten sollten, nicht mehr erlaubt. Man denkt ja schon seit einigen Jahren, dass alle übersättigt sein müssten, aber es heißt immer wieder: Krimi, Krimi, Krimi. Deswegen ist es einfach immer noch so, dass man Dramen in den Rahmen eines Krimis einpassen muss, wenn man sie erzählen will, sonst läuft es momentan leider nicht.

Sie haben für die „Tatort“-Reihe geschrieben, für „Bella Block“, für „Letzte Spur Berlin“ und für „Verbrechen“ – Sie können sich also vorstellen oder wünschen es sich sogar, auch mal ein Drama ohne Krimi erzählen zu können?

Absolut! Wir sind ja alle von den großen amerikanischen Dramaserien begeistert und ich denke, es ist der Traum von vielen hier, dass wir mal von diesen reinen Genrekrimis wegkommen und einfach einmal ein starkes Drama hier in Deutschland produzieren können. Ich bin mir sicher, dass wir das können und das auch werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es soweit sein wird. Momentan – weiß ich nicht. Wir hatten bei „Letzte Spur Berlin“ darauf gehofft, dass man ein wenig in die Richtung gehen kann, man wird noch sehen, wie viel das Publikum akzeptiert. Letztendlich glaube ich an die tiefe Kraft des Dramas.

Natürlich kann eine Kriminalgeschichte ein ideales Trojanisches Pferd sein, um eine ganz andere Geschichte zu erzählen, aber so scheint er hierzulande nicht wahrgenommen zu werden.

Beim Drama ist man direkt drin. Beim Krimi dagegen ist das Publikum nicht direkt im Geschehen, sondern hat eine Stellvertreterperson – einen Kommissar, der für sie da reingeht – als Filter. Diese Mittelbarkeit bietet dem Publikum einen gewissen Schutz. Natürlich gibt es dann auch wieder Tricks, den auszuhebeln, um die mittelbaren Figuren wieder interessant zu machen. Aber im Prinzip ist es für einen Autor interessant, dahin zu gehen, wo es wirklich wehtut, und da brauche ich nicht immer eine Kommissarfigur, sondern will in Echtzeit sehen, was jetzt passiert: Wo ist dieses Drama? Und nicht: Wo war dieser Mord, die Hitze in diesem Stoff, vor fünf Tagen oder vor fünf Jahren.  Ich glaube, das ist auch das Prickelnde an „Verbrechen“, dass man da in Echtzeit mitverfolgen kann, wo die Hitze in diesem Stoff ist und nicht durch die Mittelbarkeit des Kommissars, der etwas ermittelt, was vor Ewigkeiten schon gewesen ist.

In „Verbrechen“ ist kein Kommissar, sondern der Anwalt die Verbindungsfigur zum Zuschauer.

Ein ganz wichtiger Punkt! Wir haben eine dezidierte Parteilichkeit. Es geht nicht darum, die objektive Wahrheit aufzudecken,  das quasi Positivistische – die Fakten sind alle sortiert. Der Anwalt bezieht für eine Täterfigur Partei. Das ist eine der innovativen Sachen, die „Verbrechen“ leistet.

„In Echtzeit mitverfolgen, wo die Hitze in diesem Stoff ist“: Edgar Selge in der „Verbrechen“-Folge „Fähner“ von André Georgi; Foto: MOOVIE/ZDF Enterprises

Apropos Innovation: Sie wurden in Kopenhagen geboren. Verfolgen Sie die vielbeachtete Serienlandschaft in Dänemark? Von Krimis wie „The Killing“ ausgehend werden da ja mittlerweile auch gefeierte Dramaserien wie „Borgen“ produziert.

Ich war vor einigen Jahren bei „North by Northwest“, einem Drehbuchentwicklungsprogramm in Dänemark. Da kamen ein paar amerikanische Gurus wie David Howard [Autor eines bekannten Drehbuchratgebers; Anm. d. Red.] – die Stars der Szene. Dadurch waren wir auch sehr nah an der dänischen Entwicklung dran. Da ist etwas passiert, das absolut essentiell ist, was auch bei uns noch passieren muss: Es hat ein völliger Paradigmenwechsel stattgefunden, weg von einer Regiezentriertheit hin zu einer Zentriertheit auf die Autoren: das, was HBO und entsprechende Sender machen. Die wurden in dem Moment gut, als sie sagten, dass die Autoren das Zentrum dieser Serien sind. Erst im zweiten Schritt kommen die Regisseure dazu.

Es ist zudem keine Frage des Geldes: „House Of Cards“ hat 100 Millionen Dollar gekostet, das ist auch in Skandinavien utopisch. Aber es gibt Serien wie „Real Humans“, die ich liebe, auch wenn die vielleicht nicht den Look einer tollen HBO-Serie hat, aber sie ist philosophisch, sie ist brillant, sie ist toll und durchaus auch zu einem Budget zu schaffen, das wir auch in Deutschland hinkriegen können.

Woran liegt es denn nun genau? Spricht man mit Programmverantwortlichen, werden die Vorwürfe meistens entkräftet, natürlich arbeite man partnerschaftlich zusammen. Fragt man Kreative, vor allem Autoren, erfährt man ein enormes Frustrationspotential, meist off-the-record.

Als Drehbuchautoren lieben wir unseren Job, aber wir sind auch alle frustriert. Ich behaupte, dass alle, die ein bisschen länger im Geschäft sind, frustriert sind. Es ist ein Machtgerangel zwischen Regisseur, Produzent, Autor und Sender. Natürlich will jeder Autor Teamwork, aber das Gewicht ist zu stark auf den falschen Seiten und das stört Autoren extrem. Ich habe so oft erlebt, dass wir das Buch an einen guten Punkt gebracht haben, dann ein Regisseur dazu kommt und alles zunichte macht, weil er sagt, dass er damit nichts anfangen kann. Dann müsste man im Grunde sagen können, dass man sich eben jemand anderen sucht. Aber es passiert so oft, dass ich die Filme zum ersten Mal sehe, wenn sie ausgestrahlt werden. Ich sehe keine Muster, kann nichts zu Regieentscheidungen sagen, ich erlebe, dass manchmal nächtelang gehobelte Dialoge plötzlich improvisiert anders gesprochen werden. Es tauchen Kaninchen im Film auf, die bei mir nie standen, weil der Regisseur nun den Wunsch hatte, dort Kaninchen auftauchen zu lassen – das sind mal glückliche, mal unglückliche Situationen. Für Autoren aber eine untragbare Situation.

Und letztendlich verstehe ich es auch nicht, weil es doch für Sender eine wahnsinnig gut kalkulierbare Sache ist, wenn man Geld in eine sauber durchgeschriebene Serie investiert. Man kann genau sehen, was passiert und dann sagen: Jetzt brauchen wir einen Regisseur, der es genau so umsetzt. Das heißt nicht, dass er an die Leine genommen werden und er keine kreativen Entscheidungen treffen soll, aber warum soll er eigentlich die Macht über die dramaturgische Gestaltung haben? Erst wenn der erwähnte Paradigmenwechsel eintritt, wird sich in Deutschland wirklich etwas tun.

Die Frage ist aber, wie und wo der überhaupt passieren kann. Liegen die Hoffnungen im Pay-TV und bei den Video-on-Demand-Plattformen wie Netflix? Wie wichtig ist es, dass es da noch andere gibt, die vielleicht losgelöst von gewissen Zwängen agieren können?

Ich finde das extrem wichtig. Ich höre auch Gutes darüber, was da passiert. Allerdings glaube ich, dass es momentan in Deutschland noch nicht marktrelevant ist. Die Leute, die beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen arbeiten, sind ja keine Idioten, die sind extrem verantwortungsvoll. Die wissen, dass sie ihre Gelder so verteilen müssen, dass Publikum zwischen fünf und zehn Millionen zuguckt. Und wir haben eben gerade nicht die Chance eines Nischenfernsehens, in dem einem bestimmten Publikum Bestimmtes geboten wird. Das ist ein Problem.

Wir waren im deutschen Fernsehen lange in einer glücklichen Position. Wir haben synchronisiert und haben unser eigenes Fernsehen gemacht, aber jetzt sind wir im Nachteil, wir sind ein bisschen abgeschnitten von der Weltentwicklung. Die Skandinavier haben immer nicht-synchronisiertes, englisches Fernsehen sehen müssen, deshalb sind die auch nah an dessen Sehgewohnheiten dran gewesen. Wenn man jetzt umgekehrt mal einem amerikanischen Dramaturgen einen „Tatort“ zeigt, fragt der: Was ist denn das Schnarchnasiges? Die begreifen gar nicht, was das Besondere sein soll, weil sich einfach Sehgewohnheiten des Publikums auseinander entwickelt  haben.

Gerade im Zusammenhang mit dem ZDF wird das Thema Serien immer wieder diskutiert. In der Sendung „Log In“ stellte sich Programmdirektor Norbert Himmler den Fragen des jungen Publikums und musste sich auch zum Thema äußern. Die Diskussion ist so präsent wie nie zuvor. Allerdings kommt dann doch der alleinerziehende Pfarrer mit fünf Söhnen am Vorabend…

Das ist der Punkt: Was gesagt wird, ist das eine und was dann letztendlich für Entscheidungen getroffen werden, was gemacht wird, ist das andere. Und das setzt sich unmittelbar in jeder Drehbuchbesprechung, in jeder Entscheidung um. Was wird gemacht, wie setzen wir das um? Wie schräg dürfen Ermittlerfiguren sein, wie viele Recap-Szenen brauchen wir im Plot, so dass es jeder versteht?

Ich will nicht sagen, dass ich skeptisch bin, denn ich will ja hoffen – und ich hoffe, dass es einen Generationswechsel gibt, mit anderen Sehgewohnheiten, dass man innovativer sein will. Das wollen wir ja eigentlich alle und das spürt auch jeder. Die Frage ist nur, wann es kommt, denn es ist so oft versprochen worden und irgendwann verhungert es immer wieder. Ich will hoffen, dass es dieses Mal anders wird.

7 comments

  1. Hej, nicht so pessimistisch: Ende 2014 zeigt das ZDF ein vierteiliges „deutsches Breaking Bad“. Gegenwärtig darf man sich jeden Freitag kurz vor Mitternacht(!) an der fünften(!) „Mad Men“-Staffel – nachdem die ersten vier auf einem Digitalkanal unterhalb jeder Messbarkeit versendet wurden – erfreuen. Na, wenn das nichts ist?

    Nee, im Ernst: Ein Paradigmenwechsel bei den ÖR-Sendern? Wann? Wann? Eher führt der Vatikan den/das Zölibat ein; eher wird Alice Schwarzer einen Puff aufmachen; eher wird Christian Wulff uns allen die Mailbox vollbrüllen, als das ARD und ZDF grundlegende Veränderungen in ihrem fiktionalen Programm vollziehen.

    Das einzige, was aus meiner Sicht derzeit einen Wandel bewirken könnte, wäre das Filmemachen außerhalb der gängigen TV- und Film“förder“-Strukturen, was allerdings nichts anderes als Selbstausbeutung unter prekären Verhältnissen wäre. Dass die quasiverbeamteten Fictionverwalter bei den ÖR-Sender ihre Pfründe zugunsten eines ambitionierten fiktionalen Programms in Frage stellen, liegt außerhalb jedes bisherigen Erfahrungshorizonts.

    Hier ein weiteres interessantes Gespräch mit durchaus auch anderen Erfahrungen:

    http://www.stichwortdrehbuch.de/podcast/2013-11-21_geschichten-fuer-morgen

  2. Hallo Jens,

    bin leider/ zum Glück in keinem der social networks unterwegs, von daher…Werde deinen Artikel aber trotzdem mit großem Interesse lesen 😉

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