Beim Kölner Film- und Fernsehfestival stand der Mittwochabend im Residenz-Kino ganz im Zeichen der britischen Krimikultur. Zu sehen waren die jeweils ersten Folgen von „The Fear“, einer Gangsterstory mit Peter Mullan, „Broadchurch“, einer Mördersuche mit David Tennant, sowie „Utopia“, einem Mystery-Thriller um eine Gruppe von Nerds. Wer konnte am meisten überzeugen?
Los ging es mit „The Fear“. Die vierteilige Miniserie war im Dezember 2012 an aufeinanderfolgenden Abenden auf Channel 4 zu sehen. Sie beginnt recht verhalten: Richie Becket (Peter Mullan), ein erfolgreicher Geschäftsmann aus Brighton, eröffnet einen neuen, von ihm finanzierten Pier mit Vergnügungsangeboten am Strand. Aber schnell wird klar, dass Becket nicht nur ein erhöhtes Aggressionspotential hat, sondern offenbar auch eine kriminelle Vergangenheit, deren Erlöse ihm den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen haben. Seine beiden Söhne stecken noch immer tief im Drogen- und Prostitutionssumpf. Als einer der Söhne den abgetrennten Kopf einer Geliebten im Bett vorfindet, muss Vater Becket wieder aktiv werden. Dumm ist nur, dass er unter Demenz leidet, was außer ihm noch niemand weiß…
Nach dem relativ konventionellen Anfang steigert sich die Auftaktfolge nach dem Schockeffekt des grausigen Fundes kontinuierlich und packt die Zuschauer gleich auf zweifache Weise: mit einer spannenden Thrillerhandlung und mit der Frage, wie der Gangstervater mit seiner degenerierenden Krankheit fertig wird. Was macht ein Mann, der sein Leben lang darauf gesetzt hat, keine Schwäche zu zeigen, wenn ihm sein Gedächtnis schrittweise verloren geht? Peter Mullan verkörpert diesen Zwiespalt zwischen aggressivem Auftreten und Zerbrechlichkeit eindringlich, unterstützt von einer interessanten Bildsprache: extrem kurze Flashbacks durchbrechen immer wieder die Handlung und illustrieren so Beckets sich auflösenden Verstand. Ein dichter Thriller mit einem faszinierenden Twist.
Wesentlich konventioneller erscheint da schon das im Anschluss gezeigte „Broadchurch“, der Quotenhit von ITV. Die achtteilige erste Staffel erzählt eine klassische Suche nach dem Mörder eines kleinen Jungen in einer britischen Kleinstadt. Am Strand von Broadchurch, einem Touristenort, wo jeder jeden kennt, wird die Leiche des 11-jährigen Danny gefunden. Detective Sergeant Ellie Miller (Olivia Colman), die sich eigentlich eine Beförderung versprochen hatte, muss mit dem neuen Vorgesetzten Detective Inspector Alec Hardy (David Tennant) zusammenarbeiten, der den Job bekommen hat. Ein junger ehrgeiziger Lokalreporter wittert die Chance seines Lebens, endlich die Schulfest-Berichterstattung hinter sich lassen zu können und wirbelt gehörig Staub in der Kleinstadtgemeinde auf.
Das ist alles ansprechend in Szene gesetzt, mit guten Schauspielern und der beeindruckenden Kulisse der englischen Küste. Aber letztlich bietet die Auftaktfolge nichts, das man nicht schon Dutzende Male gesehen hätte (Broadchurch ist leider nicht gerade Twin Peaks), und die Inszenierung mit eindringlicher Musikuntermalung überdramatisiert teilweise die Handlung auf etwas zu vordergründige Weise.
Eine originellere Prämisse liefert der Sechsteiler „Utopia“, den Channel 4 Anfang des Jahres ausstrahlte: Gleich zu Anfang richten zwei schräge Killer ein Blutbad in einem Comicladen an – auf der Suche nach einem seltenen Manuskript. Hinter dem ist auch eine Gruppe von Geeks her, die sich in einem Online-Forum über den Kultcomic „Utopia“ austauschen, von dem nur ein Heft erschienen ist. Ein Forenmitglied behauptet, die Originalzeichnungen der Fortsetzung gekauft zu haben, und lädt vier andere User ein, sich mit ihm im Pub zu treffen. Neben dem Computerfreak Wilson Wilson (Adeel Akthar), der angehenden Doktorandin Becky (Alexandra Roach) und dem gelangweilten IT-Angestellten Ian (Nathan Stewart-Jarrett, der Curtis von den „Misfits“) gehört auch ein etwa 13-jähriger verwahrloster Junge zu den Eingeladenen. Wer nicht erscheint, ist der Gastgeber selbst – der wird nämlich von den Killern aus dem Fenster seines Apartments geworfen. Schnell wird den Nerds klar, dass das Manuskript von „Utopia 2“ ein Geheimnis offenbaren würde, für dessen Wahrung manche bereit sind, über Leichen zu gehen.
„Utopia“ wartet mit einer etwas gewöhnungsbedürftigen Mischung aus schrägem Humor und spannender Verschwörungsgeschichte mit teils etwas unnötigen Gewaltdarstellungen auf. Allein schon das Figurenensemble aus sozial inkompetenten Comic- und Internetfreaks, die plötzlich mit einem Killerkommando konfrontiert werden, hebt die Miniserie vom Thrillereinerlei ab. Serienschöpfer Dennis Kelly zitiert fröhlich Lynch (Hasenkostüme!) und Tarantino (skurrile Killer mit ungewöhnlichen Foltermethoden), wirft Slapstick, Mystery und Verschwörungstheorien über den bürokratisch-industriellen Komplex wild durcheinander – und unterhält damit prächtig. Zumindest das Kölner Kinopublikum schien von dieser Auftaktfolge am meisten gehookt. Die Reaktionen reichten von Szenenapplaus (als einer der brutalen Killer selbst dran glauben musste) bis zu lautem Seufzen, als nach dem Cliffhanger der Abspann über die Leinwand lief. Viele hätten hier wohl gerne gleich zur nächsten Folge weitergeskippt.