Tagung „Let’s get series“: Die Hoffnung auf deutsche Serien wächst

Paneldiskussion mit Mathias Schwarz (Allianz Deutscher Produzenten), Michael Loeb (WDR mediagroup), Kirsten Niehuus (Medienboard Berlin-Brandenburg), Moderator Martin Diesbach, Produzent Max Wiedemann und Sky-Senior Vice President Marcus Ammon; Foto: Medienboard Berlin-Brandenburg

Wie sind die Bedigungen für deutsche Produzenten und Autoren, anspruchsvolle Serien zu entwickeln und auf den Markt zu bringen? Wie ist die rechtliche Situation, um Serien auch über Video-on-Demand-Anbieter auszuwerten? Einen Pfad durch den Förder- und Rechtedschungel wollte eine Berliner Tagung schlagen.

Nach den Jahren der Schockstarre scheint sich jetzt wirklich etwas zu bewegen in der Produktion deutscher TV-Qualitätsserien. Die Privatsender sind 2015 mit in den Ring gestiegen und haben bereits mehrere Achtungserfolge erzielt. Auch die Förderinstitutionen haben erstaunlich schnell reagiert und innerhalb weniger Monate die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Produktion und Auswertung von TV-Serien drastisch verbessert.

Aus diesem Anlass hat das Medienboard Berlin-Brandenburg zusammen mit der Berliner Anwaltskanzlei SKW Schwarz am 21. Januar 2016 zu „Let’s get series“ eingeladen. Die Veranstaltung war hauptsächlich an Produzenten gerichtet, wohl um sie zu ermutigen, das Feuer jetzt bloß nicht ausgehen zu lassen.

Der Bedarf an solchen Streicheleinheiten wird erst verständlich vor dem Hintergrund, wie schlecht die „freien“ Film- und Fernsehproduzenten in Deutschland gestellt sind, wie große finanzielle Risiken sie eingehen müssen und wie wenig sie dabei verdienen können. Die meisten Filme und Serien werden für ein überschaubares Oligopol öffentlicher und privater Sender produziert, die nach festen, seit dreißig Jahren unveränderten Kostenrahmen kalkulieren und praktisch nichts für die der Produktion vorausgehende Stoffentwicklung bezahlen. Ein Produzent geht schnell mit 100.000 bis 300.000 Euro in Vorleistung, um ein Drehbuch einzukaufen und weiterzuentwickeln, ohne dass er, wenn er das Glück hat, dass ein Sender den Stoff kauft, diese Kosten ‚offen‘ ins Budget einrechnen könnte (dafür eben ‚versteckt‘).

Gleichzeitig haben die öffentlich-rechtlichen Sender riesige eigene Produktionsfirmen als hundertprozentige Töchter ausgelagert, etwa die Bavaria Studios und Studio Hamburg, die ganz anders kalkulieren können und ständig die Preise der freien Produzenten unterbieten. Und als ob diese Marktverzerrung nicht reichen würde – von der man nur hoffen kann, dass die Europäische Kommission oder das Bundeskartellamt sie mit einer Kartellklage endlich beseitigt und die quasi-staatseigenen Produzenten zerschlägt –, bleibt bei den Produzenten auch kein ernstzunehmender Gewinn hängen. Denn in der Regel erwirbt der einkaufende Sender im Zuge eines sog. Total-Buyouts alle Verwertungsrechte an dem produzierten Stoff, was von den Wiederausstrahlungsrechten bis zu den Video-on-Demand-Lizenzen geht. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Finanzierungsanteil des Senders nur bei 60 oder 70 Prozent liegt und der Rest aus Fördergeldern, privaten Investments und den Eigenmitteln des Produzenten kommt.

Das heißt, die Produktionsfirmen bekommen gerade einmal einen zuvor fest kalkulierten Gewinn von meistens 6,5 Prozent des Budgets. Damit werden sie von kreativen Kulturunternehmern, die auf eigenes Risiko bleibende Werte schaffen, zu Dienstleistern und Söldnern des deutschen Senderoligopols degradiert. Da sie alle Rechte abgeben müssen, können sie keinen Rechtestock aufbauen, der ihnen zu einem späteren Zeitpunkt Gewinne bringt, die sie wiederum in eigene, neue Projekte investieren können, ohne erst bei Fördereinrichtungen oder privaten Investoren betteln gehen zu müssen. Erst seit November 2015 ist vorgesehen, dass Produzenten überhaupt an VoD-Erlösen beteiligt werden, was bisher allerdings nur für ARD und ZDF gilt.

Neue Fördertöpfe für deutsche Serien

Es war daher eine gute Idee der Veranstalter, den rund 320 gespannten, vorwiegend aus Produzenten bestehenden Zuhörern erst einmal die neuen regionalen, bundes- und europaweiten Förderinstrumente vorzustellen, denn da geht es um viel geschenktes oder billig zu leihendes Geld.

Das Medienboard Berlin-Brandenburg hat seit Januar 2015 ein eigenes Programm Förderung serieller Formate“, mit dem sowohl Entwicklung als auch Produktion von Serien gefördert werden. Die Förderquote beträgt 50 bis maximal 80 Prozent für die Entwicklung, maximal 30 Prozent für die Produktion und interessanterweise sind beide nicht auf Festbeträge gedeckelt. Sympathisch ist auch, dass tatsächlich ganz unterschiedliche Formate, einschließlich Webserien, gefördert werden können und dass ein Gremium vier Mal pro Jahr über die Anträge entscheidet. Ein kleinerer Fisch ist das vom Medienboard verwaltete, bundesweite Deutsch-Französische Förderprogramm mit 50.000 Euro pro Projekt. Dafür ist das ebenfalls beim Medienboard angesiedelte Programm Creative Europe MEDIA umso größer, fördert Entwicklung und Produktion von Serien mit mindestens sechs Folgen à 45 Minuten und einem Mindestbudget von 10 Millionen Euro mit bis zu einer Million Euro Zuschuss. Allerdings müssen dazu Letters of Commitment von drei europäischen TV-Sendern vorliegen. Das richtig dicke Ding ist aber der gerade erst im Dezember 2015 aus der Taufe gehobene German Motion Picture Fund, der beim Bundeswirtschaftsministerium aufgehängt ist. Im Moment liegen da erst zehn Millionen Euro im (noch nicht ausgeschöpften) Topf, aber das dürfte bald deutlich mehr werden. Gefördert werden ausschließlich hochwertige Serien von mindestens sechs Folgen à 45 Minuten, wobei pro Folge ein Mindestbudget von 1,2 Millionen Euro vorgegeben ist. Wenn das deutsche Gesamtbudget über 20 Millionen Euro liegt, gibt es bis zu vier Millionen Euro Zuschuss. Das kann sich doch sehen lassen, oder?

Beispiel „Deutschland 83“

Nach dieser Einführung in den deutschen Förderdschungel ließen die US-amerikanische Drehbuchautorin Anna Winger und ihr deutscher Ehemann, der Ufa-Produzent Jörg Winger, uns hinter die Kulissen ihres Gemeinschaftsprojekts „Deutschland 83″ blicken, eine achtteilige TV-Serie für RTL. Es war die erste deutsche Serie, die zuerst in den USA ausgestrahlt wurde, weil SundanceTV bereits auf der Berlinale 2015 völlig überraschend die Senderechte gekauft hatte. In Deutschland ging sie erst ab November 2015 auf Sendung – und die Quoten waren eine große Enttäuschung für alle Beteiligten. Die 3,19 Millionen Zuschauer des Piloten am 26. November zur Primetime waren noch okay, aber die Halbierung dieser Zahl ab der fünften Folge war ein Desaster.

Da helfe es auch nichts, so das Winger-Team, dass die Serie geradezu traumhafte Starts in ganz Europa hingelegt hat, allen voran in Großbritannien und Italien. Der eingangs zu diesem Thema gezeigte Zusammenschnitt der herrlich eigenwilligen europäischen Trailer, den die Wingers selbst zum ersten Mal sahen, machte den ausländischen Erfolg verständlich, auch weil sie alle pfiffiger und temperamentvoller sind als der recht plumpe deutsche Trailer zu „Deutschland 83“. Mit einer zweiten Staffel ist also vorerst nicht zu rechnen.

Stellten ihre Serie "Deutschland 83" vor: Anna und Jörg Winger; Foto: Reginald Grünenberg
Stellten ihre Serie „Deutschland 83“ vor: Anna und Jörg Winger; Foto: Reginald Grünenberg

Der Autor dieser Zeilen fragte bei der Gelegenheit, ob es vielleicht keine so gute Idee der Rechtsabteilungen von Ufa und RTL war, auf Deutschlands größten Streamingportalen movie4k und kinox mit großem Aufwand alle Kanäle dicht zu machen, also die von der US-Erstaufführung bei den Filehostern hochgeladene Version mit englischen Untertiteln überall rausnehmen zu lassen. Damit haben sie schätzungsweise zwei bis drei Millionen jüngeren Nutzern dieser Plattformen die Gelegenheit genommen, die Serie zu testen und ihren mehrheitlich noch vor diesem seltsamen linearen Fernsehen hockenden Eltern zu empfehlen. War das also nicht ein unüberlegter juristischer Feldzug zur Vernichtung kostenloser Werbung? Nur der Applaus des Publikums konnte Jörg Winger dazu bringen, widerwillig zu antworten: „Interessante Hypothese. Kann sein.“

Die Produktionsbedingungen seien traumhaft gewesen, berichtete das Writer-Producer-Paar weiter. Zwischen den Zeilen konnte man auch verstehen, dass ein großer Vorteil des Arrangements darin bestand, dass RTL gar keine Fiction-Redaktion hat, die, wie es bei anderen Sendern üblich ist, der Produktion ständig reinredet, Vorschriften macht und am Ende alles versaut, ohne ein Körnchen Verantwortung zu übernehmen.

Als der Mangel an deutschen Qualitätsserien zur Sprache kann, meinte Ufa-Produzent Winger, dass die besten Autoren dafür alle schon gut bezahlte Jobs im feuchtwarmen Tatort-Soko-Polizeiruf-Biotop haben. Die geringen finanziellen Anreize und das enorme Risiko, mit Privatsendern und unabhängigen Produzenten eine Serie auf der grünen Wiese zu entwickeln, sei für sie so attraktiv wie ein Spaziergang in der Unterhose auf dem Polarkreis. Sie würden etwa die Hälfte ihrer Einkünfte verlieren, wenn eine Serie doch nicht produziert wird, und wären nach dem heutigen Stand der Spielregeln auch nicht am Erfolg beteiligt, wenn sie durch die Decke geht.

Sky steigt ins Geschäft mit deutschen Serien ein

Höchst optimistisch gab sich Marcus Ammon, der Senior Vice President Film von Sky, dem ersten deutschen Pay-TV-Anbieter, der möglicherweise im laufenden Geschäftsjahr mit 4,3 Millionen Abonnenten und einem Umsatz von über 1,8 Milliarden Euro profitabel wird. Es ist der Lohn dafür, dass Sky im Seriengeschäft bisher alles richtig gemacht hat, indem der Sender sich die Erstausstrahlungsrechte für „Game of Thrones“, „True Detective“ und „House of Cards“ sicherte. Inzwischen ist Sky Koproduzent von Tom Tykwers „Berlin Babylon“ und hat erstaunliche sechs eigene deutsche Serienprojekte in Entwicklung. Die Kriterien, mit denen Sky hierbei zu Werke geht und die Ammon lebhaft aufzählte, klingen vielversprechend: Die Sky-Serien sollen vertikale und horizontale Komponenten kombinieren und dabei anspruchsvoll, originell, frech und witzig sein, was für mich nach einer Fortführung des großartigen „Tatortreinigers“ mit anderen Mitteln und Inhalten klang.

Man kann davon ausgehen, dass ein Vortrag über die juristischen Rahmenbedingungen der VoD-Produktion und -Auswertung eine trockene Angelegenheit ist. In diesem Wissen beschied sich Dr. Andreas Bareiss von SKW Schwarz Rechtsanwälte in seinem Impulsreferat auf zwei wesentliche Punkte: Es ist unglaublich komplex! Und durch die zunehmenden Eigenproduktionen der VoD-Anbieter wird alles noch verrückter und dynamischer! Mit wenigen Folien machte er das Chaos von gesetzlichen Vorgaben, Richtlinien, Eckpunkten und Vereinbarungen anschaulich, in dem die widerstreitenden Interessen und Zeithorizonte der Produzenten, Verleihe, Sender, Weltvertriebe und VoD-Anbieter Einigungen finden müssen. Interessant war dabei vor allem zu sehen, wie sehr die Filmförderrichtlinien von Europa, Bund und Ländern mit ihren oft willkürlichen Auflagen die Verwertungszyklen stören, also die anfängliche Förderung zur Behinderung wird.

Alle reden mit: Überblick über die VoD-Rechte in Deutschland; Abb.: SKW Schwarz Rechtsanwälte
Alle reden mit: Überblick über die VoD-Rechte in Deutschland; Abb.: SKW Schwarz Rechtsanwälte

Wenn international operierende VoD-Dienste zunehmend eigenen Content entwickeln und dabei vor allem auf Serien setzen, dann ist das auch eine Antwort auf den globalen Lizenz- und Gesetzesdschungel. Die Nutzer ärgern sich über Einschränkungen, die sie nicht verstehen, für die der VoD-Anbieter aber gar nichts kann und sich dabei noch mit kleineren Margen zufriedengeben muss – siehe Netflix, das sich jetzt durch die Contentinhaber gezwungen sieht, die Proxyserver zu neutralisieren, mit denen etwa deutsche Zuschauer das US-amerikanische Netflix-Programm empfangen konnten. Die VoD-Anbieter produzieren inzwischen selbst oder beauftragen Produzenten direkt, um eine lückenlose globale Kontrolle über ihren Content und die Auswertung zu haben.

Das abschließende Panel war hauptsächlich eine gemeinschaftliche Reflexion über die vorgenannten Aspekte der deutschen Produktionslandschaft und der in ihr wachsenden Entwicklung von Serien bis hin zu ihrer VoD-Auswertung. Interessanter Ausreißer war die Erinnerung daran, wie das Kartellamt 2011 den Start einer gemeinsamen Streaming-Plattform von ProSiebenSat.1 und RTL verbat. Sie sollte für alle privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern offen sein, damit die Zuschauer dort jeweils eine Woche lang alle Sendungen und Serien zeitversetzt, kostenlos und werbefinanziert sehen können. Es sollte so etwas wie ein ‚deutsches Hulu‘ werden. Aus heutiger Sicht ist dasselbe Kartellamt, das in Sachen Entflechtung der öffentlich-rechtlichen Sender und ihres hauseigenen, GEZ-finanzierten und damit quasi-staatlichen Produktionskonglomerats immer noch schläft, an dieser Stelle auf eine primitive Art übereifrig gewesen. Wir dürfen nur noch abwarten, wann Netflix, Google oder Amazon in die für sie offengehaltene Marktlücke eintreten.

Fazit: „Let’s get series“ war eine spannende Berliner Konferenz über das deutsche Seriengeschäft, hochkarätig besetzt und spendabel mit frischen Infos, Stories und Anekdoten. Man merkt zwar, dass sich die Entwicklung und Produktion deutscher Qualitätsserien noch im Trainingsmodus abspielt, aber die Stimmung ist gut und die Rahmenbedingungen werden ständig verbessert. Es scheint keine Frage des Prinzips mehr zu sein, sondern nur noch der Zeit, wann es den ersten globalen Serienchampion aus Deutschland gibt.

Dr. Reginald Grünenberg ist Produzent und Drehbuchautor.
www.clara-films.com

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