Die ITV-Miniserie nach einem authentischen Kriminalfall war der große Abräumer bei den diesjährigen BAFTA-Awards am Sonntag. Dominic West gewann für seine Darstellung des Serienfrauenmörders Fred West den Preis für die beste männliche Hauptrolle, Monica Dolan als seine Ehefrau den für die beste weibliche Nebenrolle. Emily Watson wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
Eigentlich wollte Janet Leach, Mutter mehrerer Kinder, die gerade noch ein spätes Sozialarbeiterstudium absolviert, sich lediglich ehrenamtlich um Tatverdächtige mit Lernschwierigkeiten kümmern. Als sie dann jedoch von der Polizei zu ihrem ersten Einsatz gerufen wird, entpuppt sich der von ihr zu Betreuende nicht als jugendlicher Kleinkrimineller, sondern als Mann, der aussagt, versehentlich seine Tochter erwürgt zu haben. Nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen habe er sie mit einer Eissäge bearbeitet und ihre Körperteile im Garten seines Hauses vergraben. Doch schon bald widerruft er seine Aussage und zunächst findet die Polizei auch die Leichenteile nicht. Als sie doch noch fündig wird, offenbart sich, dass der Fall viel größere und schockierendere Ausmaße hat als ursprünglich angenommen.
Autor Neil McKay und Regisseur Julian Jarrold adaptierten im vergangenen Jahr den wahren Fall der Serienmörder Fred und Rose West als Zweiteiler für den britischen Sender ITV. Das Ehepaar West hatte in den 70ern ein knappes Dutzend junger Frauen erst zu S/M-Sexspielen missbraucht und dann ermordet und heimlich vergraben – hauptsächlich im Garten des eigenen Familienhäuschens. Viele der Opfer waren Au-Pair-Mädchen und/oder Geliebte Freds, aber auch vor eigenen Kindern schreckten die Beiden nicht zurück. Der Film „Appropriate Adult“ rollt die Enthüllung der unfassbaren Geschehnisse und das anschließende Gerichtsverfahren aus der Sicht von Janet Leach auf, einer Privatperson, die als gerichtlicher Beistand des Killers berufen wurde. Diese Position des Appropriate Adult ist eine Besonderheit des britischen Rechtssystems, eine Art Mischung aus gesetzlichem Vertreter und sozial-psychologischem Begleiter für minderjährige oder geistig minderbemittelte Tatverdächtige. Durch ihr ehrenamtliches Engagement wird die „Frau von Nebenan“ aus ihrem geordneten Familienleben heraus- und in Abgründe hineingezogen, die den meisten Bürgern wohl ein Leben lang verborgen bleiben. Und wie oft in solchen Fällen, übt das Abgründige auch hier eine Faszination aus, die das Maß des Gesunden schon bald gehörig übersteigt.
Das liegt vor allem daran, dass dieser Fred West an keinem Punkt des Verfahrens wie ein eiskalter Serienmörder erscheint. Eher wie ein verwirrtes zu groß geratenes Kind, wie er da in handgestrickten Pullovern und mit schiefen Vorderzähnen im Verhörzimmer sitzt und sich in immer neue Widersprüche verheddert. Auch wenn er sich selbst immer mehr belastet, beharrt er doch hartnäckig darauf, dass seine Ehefrau Rose (Monica Dolan) nichts mit den Morden zu tun habe – und dass er ausgerechnet ein verschwundenes Mädchen nicht getötet habe, da sie die große Liebe seines Lebens gewesen sei. Und gerade dieser Ann ist Janet Leach wie aus dem Gesicht geschnitten…
Der Film lebt vor allem von seinen beiden fantastischen Hauptdarstellern: Dominic West lässt die Erinnerung daran, dass er mal der coole Cop McNulty in „The Wire“ war, völlig hinter dem unsicher erscheinenden Fred West verblassen. Er schafft das Kunststück, dass man als Zuschauer gleichzeitig mit ihm mitfühlt und vor ihm schaudert. Emily Watson beweist hier eindrücklich, dass sie viel mehr kann als nur leidend zu gucken wie seinerzeit in Lars von Triers „Breaking the Waves“. Sie verkörpert hier die ganze Gefühlspalette von Schock vor den unfassbaren Taten bis Anziehung zu dem doch so hilfsbedürftig wirkenden Täter.
Ein weniger sensibles Autoren-Regisseurs-Gespann hätte aus diesem wahren Kriminalfall wahrscheinlich ein reißerisches Biopic gemacht, einen Film über ein Monster in Menschengestalt. McKay und Jarrold machen daraus ein ruhiges, zurückhaltendes Psychodrama über die unwahrscheinliche emotionale Beziehung einer „Frau von nebenan“ zu einem Mörder, der kein Monster ist, sondern nur ein Mann in geschmacklosen Pullovern. Monströs sind dessen Taten, aber woher diese Monströsität gekommen sein mag, bleibt unklar. Die Banalität des Grauens lässt sich nicht rational erklären.
„Appropriate Adult“ ist ein typisch britischer Film, mit Understatement, über weite Strecken fast schon unterkühlt erzählt und inszeniert, in dem PolizistInnen ermitteln, mit Gesichtern, wie man sie wohl nur auf der Insel findet. Nur selten verlässt die Kamera die engen Räume, in denen das Ermittlungs- und danach das Gerichtsverfahren ihren wohlgeordneten Gang nehmen, und fängt die Weite der grünen Wiesen und öden Felder ein, unter denen weitere Opfer ihre letzte Ruhe gefunden haben. Die Art, wie sie sowohl die einen wie auch die anderen Schauplätze filmt, sind meilenweit entfernt von der sonntäglichen Routine der deutschen „Tatort“-Krimis. Die Briten beweisen einmal mehr, was man doch in nur zwei Stunden und mit einem begrenzten Budget alles erzählen kann.
Dieser Emily Watson-Diss ist ja wohl eine Unverschämtheit. Die war absolut fantastisch in „Breaking The Waves“ – und auch in allen anderen Rollen, in denen ich sie gesehen habe.
Bei Dominic West hingegen bin ich skeptisch. In „The Wire“ war er noch erträglich, aber in „Centurion“ schrecklich.
Das sollte gar kein Angriff auf Emily Watson, sondern eher auf „Breaking the Waves“ sein, das ist nämlich der einzige LvT-Film, den ich rundum schrecklich finde.
Gerade noch mal Glück gehabt. 😉
Ich hab „Breaking The Waves“ gut im Kopf, aber das letzte Mal vor über zehn Jahren oder so gesehen. Da kann sich eine Menge verändern. Ich muss sagen, das einzige von Lars von Trier, das ich gesehen habe und das mir nicht gefiel, ist „Riget II“.
Wo und wann kann ich diesen Film denn sehen?
Weiss man das schon?
Ich glaube, es gibt noch keinen deutschen Sender, der die Miniserie eingekauft hätte.