Am Mittwoch startet in Köln wieder das Festival Großes Fernsehen. Bis Sonntag sind herausragende TV-Serien und -Filme aus aller Welt als Deutschlandpremieren auf der großen Leinwand zu sehen. Eines der Highlights am Freitag ist die neue Showime-Comedy „House of Lies“ um einen skrupellosen Unternehmensberater.
Die erste Szene ist typisch für die Comedy-Serien des US-Pay-TV-Senders Showtime und zugleich bezeichnend für die chaotische Lebensführung seines neusten Antihelden: Marty Kaan wacht neben seiner Ex-Frau auf, beide liegen nackt im Bett, seine Versuche, sie zu wecken, bleiben vergeblich. Also zerrt er sie bewusstlos aus dem Bett, setzt sie auf einen Stuhl und drapiert notdürftig Kleidung und einen Laptop auf ihr – da steht auch schon der kleine gemeinsame Sohn im Zimmer.
Der aus oscarnominierten Hollywood-Filmen wie „L.A. Crash“ oder „Hotel Ruanda“ bekannte Don Cheadle spielt in „House of Lies“ diesen Marty Kaan, einen archetypischen Vertreter jener Gattung Mensch, die sich die höchst skurille Zeitschrift „Business Punk“ wohl als Zielgruppe auserkoren hat: jung, erfolgreich, skrupellos, 12 Stunden am Tag arbeitend, aber danach noch vor genügend Energie strotzend, um sich ins Nachtleben zu stürzen, mit Wein, Weib, Gesang (Karaoke) und anderen Drogen. Er ist Unternehmensberater in einer der größten Agenturen der USA, geschieden, alleinerziehend und keinem Rock abgeneigt. Nach dem turbulenten Auftakt der Pilotfolge im heimischen Schlafzimmer verfolgen wir seinen nicht minder turbulenten beruflichen Alltag: Zusammen mit seinen drei Kollegen (darunter die aus „Veronika Mars“ bekannte Kristen Bell) fliegt er nach New York, um einer Investmentbank auf die Sprünge zu helfen, deren Image im Zuge der Finanzkrise stark gelitten hat. Dummerweise haben deren Bosse noch eine zweite Beratungsfirma engagiert, und die wird ausgerechnet von Martys Ex-Frau vertreten.
Der Abend endet nach einem Stripteaseclub-Besuch mit einer der Tänzerinnen in einem Diner, wo ausgerechnet einer von Martys Auftraggebern auftaucht. Die Begleiterin reagiert schnell, und verschafft Marty so ein Doppeldate am nächsten Tag, mit ihr als „Ehefrau“, dem Kunden und dessen Gattin, die eigentlich ganz andere sexuelle Präferenzen hat. Ähnlich wie das ebenfalls von Showtime produzierte „Californication“ ist „House of Lies“ ziemlich over the top: Auf Glaubwürdigkeit wird weniger Wert gelegt als auf Überzeichnung und viel nackte Haut. Tea-Party-Anhänger und christliche Fundamentalisten haben an dieser Serie sicher keinen Spaß – alle Anderen können das getrost als Qualitätskriterium verstehen. Die Pilotfolge legt eine Respektlosigkeit gegenüber allem, was in den USA gemeinhin als moralisches Verhalten angesehen wird, an den Tag, die Fans von Showtime-Serien bereits aus „Weeds“ vertraut sein dürfte. Dabei macht sie dank der erfrischenden Inszenierung und der durchweg guten Schauspieler einfach Spaß und Lust auf mehr.
Neben Bell als kühler Kollegin Martys begegnen uns im Piloten noch zwei weitere bekannte Seriengesichter: Greg German, der Richard Fish aus „Ally McBeal“ und John Aylward, der als Klinikchef Dr. Anspaugh lange Jahre zur Stammbesetzung von „ER“ gehörte. In späteren Folgen gibt es dann u.a. ein Wiedersehen mit Richard Schiff aus „The West Wing“. Die erste Folge gehört aber ganz Don Cheadle und seinem Consultant, der das „Business Punk“-Motto „Work hard, play hard“ mustergültig verkörpert. Dabei ist ihm sogar klar, dass mit seinem Job und seinem Lebensstil etwas nicht stimmt und er findet durchaus noch Zeit, sich liebevoll um seinen gerade von vorpubertären Gender-Problemen geplagten Sohn zu kümmern. Was ihn nicht davon abhält, während einer Schulaufführung erst einmal eine Mutter auf dem Parkplatz flachzulegen.
Was die anderen Showtime-Comedys auszeichnet (die ja meist eher Dramedys sind), zeichnet auch das neueste Kind der Serienfamilie aus: Bei aller drastischen Situationskomik und derber Sprüche bleibt immer noch Zeit für nachdenklichere Momente. So räumen die Autoren auch den Verlierern der Finanzkrise ihren Raum ein: den Angehörigen der Mittelschicht, die durch das Platzen der Spekulationsblase ihre Eigenheime verloren haben, während die Banker sich dicke Boni zugeschanzt haben. Kaans Vorschlag zur Lösung des Imageproblems ist dann einerseits perfide, andererseits aber auch fast schon wieder sozial. Erstaunlich, wie US-Kabelsender es immer wieder schaffen, in ihren Serien gesellschaftliche Realität zu reflektieren, ohne dass der Humor zu kurz kommt oder man das Gefühl hätte, hier wedele der erhobene Zeigefinger. Wer die Eskapaden von Hank Moody oder die kleinen Gaunereien von Nancy Botwin mit Freuden verfolgt hat, wird auch Marty Kaan in sein Herz schließen. Und Showtime setzt seinen sehr guten Run fort und erweist sich einmal mehr als der Sender, der dem großen Vorbild HBO längst den Rang abgelaufen hat.
Freitag, 9. März, 19 Uhr im Cinedom Köln. Eintritt frei, Kartenreservierung erforderlich.
Stimme dem Artikel absolut zu. Eine sehr sehenswerte, bitterböse, komische, skurrile, sexistische und z.T. tieftraurige Abrechnung mit dem Turbokapitalismus einer perfiden Branche. Und Don Cheadle schafft es, dieses eigentliche Ekelpaket Marty durchaus sympathisch rüberkommen zu lassen. Sehenswert!