Film Festival Cologne: Robbie Coltrane ist zurück in „National Treasure“

Opfer oder Täter? Paul Finchley (Robbie Coltrane) mit Familie (Andrea Riseborough, l., und Julie Walters); Foto: Channel 4

Im Rahmen des umbenannten Kölner Film- und Fernsehfestivals erlebte am gestrigen Mittwoch die britische Miniserie „National Treasure“ ihre Deutschlandpremiere, die gerade erst auf Channel 4 zu Ende ging. Kultstar Robbie Coltrane zeigt in der Rolle eines TV-Comedians unter Vergewaltigungsverdacht, dass er nichts von seiner Präsenz verloren hat.

Ein bisschen kommt einem diese Geschichte aus der Presse bekannt vor: Paul Finchley (Robbie Coltrane), in Großbritannien quasi ein nationales Heiligtum, weil seit Jahrzehnten als Comedian und aktuell Quizmaster auf den heimischen Fernsehschirmen präsent, erlebt plötzlich ein böses Erwachen. Eine ehemalige Babysitterin beschuldigt ihn, sie als Minderjährige vergewaltigt zu haben. Und es melden sich noch andere mutmaßliche Opfer, Frauen, die der TV-Star vor Jahren sexuell missbraucht haben soll. Finchley wird daraufhin natürlich zu einem gefunden Fressen für die (Boulevard-)Medien. Und schon bald wissen auch die eigene Ehefrau (Julie Walters) und die psychisch ohnehin angeschlagene erwachsene Tochter (Andrea Riseborough) nicht mehr, wem sie glauben sollen.

Dieses Mal waren die Programmplaner des Film Festival Cologne (ehemals Cologne Conference) wirklich schnell: Erst am Montag lief im UK die letzte Folge der neuen Miniserie auf Channel 4, zwei Tage später konnten sich Kölner Serienfans mit genügend Sitzfleisch dann schon alle vier Teile hintereinander im Filmhauskino auf der großen Leinwand angucken. In Großbritannien jubelt die Presse und tatsächlich hat „National Treasure“ einiges zu bieten.

Zunächst einmal einen Hauptdarsteller mit einem großen Namen: Robbie Coltrane, seit seiner Rolle als egomanischer Kriminalpsychologe Dr. Eddie „Fitz“ Fitzgerald auch in Deutschland Kult. Bevor er ins Charakterfach wechselte, war der schwergewichtige Brite bekanntlich selbst Comedian, weswegen er in diese Rolle passt wie vermutlich kein anderer. Die letzte reguläre Folge von „Cracker“ alias „Für alle Fälle Fitz“ liegt auch schon wieder 20 Jahre zurück. Coltrane hat aber in der Zwischenzeit nichts von seiner schauspielerischen Präsenz eingebüßt. Auf der Kinoleinwand ist besonders eindrücklich zu erleben, wie er mit ganz wenig Mimik maximale emotionale Ergebnisse erzielt.

Die Welt des Protagonisten steht Kopf

Der andere, zumindest Fans des jüngeren britischen Serienschaffens bekannte Name findet sich auf den Drehbüchern: Die stammen von Jack Thorne („Skins“, „This is England“, „Glue“), sicher einem der talentiertesten TV-Autoren seiner Generation. Nach der etwas krude-überladenen internationalen Koproduktion „The Last Panthers“ für Sky konzentriert sich Thorne bei dieser Arbeit wieder auf seine Stärken: Charakterdrama, leichte Thrillerelemente und skurrile Typen. Der Vierteiler kommt zwar etwas behäbig und zu konventionell aus den Startlöchern, nimmt aber im Verlauf der zweiten Folge an Fahrt auf und erzeugt insbesondere im letzten Drittel von Folge 2 doch noch den Sog, den man erwartet hatte.

Dazu tragen nicht nur die gelungenen Dialoge bei, sondern vor allem auch das intensive Schauspiel von Julie Walters, die in einer ungemein beklemmenden Szene gegenüber ihrer Tochter die unangenehme Seite der treuen Ehefrau und Mutter Marie Finchley offenbart. Hier muss man auch Marc Mundens Inszenierung loben, die sonst leider etwas zu standardmäßig ausgefallen ist. Ab und zu findet er dann aber doch mal ungewöhnliche Bilder, etwa wenn Paul in der Schlussszene der Auftaktepisode unter der Dusche steht und der Film rückwärts läuft: Das Wasser fällt nach oben und auch Coltranes nacktes Fleisch scheint den Gesetzen der Schwerkraft zu widersprechen, während sich sein Gesicht zu einem Schluchzen verzieht und er seinen Schmerz hinausschreit. Die Welt des Promis steht von einem Tag auf den anderen Kopf.

A good man?

Wie in den realen Fällen um Bill Cosby oder Woody Allen liegt ein Reiz der Serie natürlich in der Frage, was tatsächlich geschehen ist. Ist Finchley so unschuldig, wie er beteuert, nur ein Opfer seines Promistatus, der früher oder später eben oft auch psychisch labile Personen anzieht? Rückblenden in die Zeit, als seine Tochter Dee noch klein und die attraktive 15-jährige Christina ihre Babysitterin war, lassen zumindest leise Zweifel aufkommen. Schon damals versicherte der jüngere (jetzt von Trystan Gavelle gespielte) Paul am Bett seiner (vorgeblich schlafenden) Tochter, dass er ein guter Mann sei, auch wenn das Schicksal ihn prüfen wolle. Aber muss ein Mann, der wirklich gut ist, sich selbst das überhaupt versichern? Und auch die erwachsene Dee beginnt, sich zu fragen, ob ihre psychischen Probleme nicht daher kommen könnten, dass ihr Vater sie vielleicht doch als Kind missbraucht hat.

Mit der Frage, was es aus Menschen macht, wenn sie als Kind Opfer eines psychisch gestörten Vaters wurden, beschäftigt sich übrigens auch der niederländische Altmeister Paul Verhoeven in seinem neuen Film „Elle“, allerdings auf wesentlich plakativere Weise. Auch das Vergewaltigungsdrama mit Isabelle Huppert war vorab auf dem Film Festival Cologne zu sehen. Nächstes Jahr wird es dann regulär in Deutschland starten. Das ist auch „National Treasure“ zu wünschen.

Das Festival läuft noch bis morgen.   

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