Das Leben nach dem Tod in Frankreich: „Les Revenants“

Die Mysteryserie des französischen Pay-TV-Senders Canal+ ist in Deutschland immer noch ein Geheimtipp, während sie etwa in Großbritannien schon erfolgreich auf Channel 4 lief. Seit vergangenem Monat ist sie bei uns zumindest beim Video-on-Demand-Portal Watchever abrufbar (unter dem englischen Titel „The Returned“). Gelegenheit, sich auf eine höchst unheimliche Reise in eine Alpengemeinde zu begeben, in der die Toten plötzlich wieder quicklebendig sind.

Manchmal kommen sie doch zurück: Serge und Victor mit Julie und Adèle; Fotos: Canal+

Menschen, die einen geliebten Angehörigen verlieren, mögen sich wünschen, dass diese zurückkehren, und sogar dafür beten. Aber wie würden sie damit umgehen, wenn die Verstorbenen wirklich leibhaftig wiederkehrten? „Niemand würde das wollen“, sagt sogar der Pfarrer der in den Alpen gelegenen Kleinstadt, darauf angesprochen, ob es möglich sei, dass die Toten „im Fleisch“ auferstünden. In der namenlosen Gemeinde passiert nämlich einigen Bewohnern genau das: Ihre längst gestorbenen Kinder, Partner oder Geschwister stehen plötzlich wieder vor ihnen, im gleichen Alter und in der gleichen Gestalt wie vor ihrem Tod. Sie erinnern sich zunächst nicht an ihren eigenen Tod, scheinen ansonsten unverändert. Lediglich schlafen können sie nicht, dafür ist ihr Appetit umso größer.

Die Reaktionen der Angehörigen auf das Unfassbare fallen höchst unterschiedlich aus. So ist Claire (Anne Consigny) nach der ersten Fassungslosigkeit froh, ihre 15-jährige Tochter Camille (Yara Pilartz) zurückzuhaben, die vor vier Jahren gemeinsam mit all ihren Klassenkameraden ums Leben kam, als auf einem Schulausflug der Bus einen Abhang hinabstürzte. Nun erwacht Camille plötzlich auf dem Hang, denkt, sie wäre erst am Morgen losgefahren und läuft nach Hause, wo sie sich nichtsahnend in der Küche ein Sandwich schmiert, als ihre geschockte Mutter hereinkommt. Dass etwas nicht stimmt, wird ihr erst bewusst, als sie das Zimmer ihrer Zwillingsschwester Léna (Jenna Thiam) betritt, die inzwischen natürlich vier Jahre älter geworden ist.

Der schweigende Junge und das „unvollendete Mädchen“

Während Claire und der Vater versuchen, Camille wieder in ihr normales Leben zu integrieren, springt der alte Lehrer Monsieur Costa lieber gleich vom Staudamm, als seine vor 30 Jahren gestorbene Gattin plötzlich wieder im Haus sitzt. Auch die junge Adèle (Clotilde Hesme) glaubt zunächst, ihren Verstand verloren zu haben, als ihr ehemaliger Bräutigam Simon (Pierre Perrier), der am Tag ihrer Hochzeit starb, quicklebendig vor ihr steht. Da sie schon nach dessen Tod entsprechende Halluzinationen hatte, tut sie ihn als Produkt ihres Unterbewusstseins ab. Zu den Rückkehrern gehören auch ein Serienkiller und ein mysteriöser kleiner Junge, der nicht spricht. Er ist der einzige, der nicht seine Angehörigen aufsucht. Stattdessen folgt er der Krankenschwester Julie (Céline Sallette), die selbst mit einem Trauma leben muss. Sie ist nämlich ein überlebendes Opfer des Frauenmörders, „das unvollendete Mädchen“.

Zwischen Lolita und unsicherem Teenager: Camille (Yara Pilartz)

Die Ausgangssituation der französischen Mysteryserie „Les Revenants“ von Fabrice Gobert (die lose auf einem gleichnamigen Kinofilm von 2004 basiert) ist faszinierend. Die in der Bibel versprochene Wiedervereinigung mit den verstorbenen Liebsten wird darin quasi vom Jenseits ins Hier und Jetzt vorverlegt. Das bringt aber nicht nur Weltbild und Glaubenssystem der Angehörigen durcheinander, sondern auch ihren ganz profanen Alltag. Denn anders als für die Rückkehrer ist für sie das Leben natürlich weiter gegangen: Camilles Eltern sind getrennt und Claire ist längst mit einem anderen Mann zusammen, Adèle steht kurz vor der Hochzeit mit dem Chef der örtlichen Polizei. Urplötzlich brechen die alten Gefühle wieder auf, aber auch alte Wunden. Geheimnisse werden ebenso offenbart wie verdrängte Schuld wieder hochkommt. Und es ist eben nicht möglich, sein Leben an einem bestimmten Punkt wieder aufzunehmen, als wäre seitdem nichts geschehen. Die Atmosphäre wird zunehmend bedrohlicher, bis schließlich das Alltagsleben komplett zum Erliegen kommt.

Gobert erzählt all das in einem ruhigen Tempo und ohne großartige Action- oder Splattereffekte (abgesehen von den Attacken des Serienkillers). Es ist eben keine Zombieserie, sondern klassische Mystery, die eher an „Twin Peaks“ denken lässt als an „The Walking Dead“. Canal+, der Pay-TV-Sender, auf dem die achtteilige erste Staffel 2012 zu sehen war, gilt in Frankreich als eine Art Pendant zu HBO, und bei dieser Serie sind die Parallelen offensichtlich. Starke, ambivalente Figuren agieren vor einer stimmungsvoll eingefangenen Kulisse, eine filmische Kameraarbeit sorgt von Anfang an für einen kinohaften Eindruck. Dazu kommt die getragene Instrumentalmusik der schottischen Band Mogwai, die die unwirkliche Atmosphäre perfekt unterstreicht.

Niedlich und creepy

Durchweg überzeugen können auch die Darsteller: von der erfahrenen Kinoschauspielerin Anne Consigny, die Programmkinogänger etwa aus den jüngeren Werken von Altmeister Alain Resnais kennen könnten, bis zu den jugendlichen Newcomern wie Yara Pilartz. Ihre ständig lasziv mit den Jungs flirtende Camille ist eine Figur, die sich wohl nur die Franzosen trauen: laut Drehbuch 15, wirkt sie eher wie 13, was die Macher aber nicht hindert, sie auch beim Sex zu inszenieren. Und dann ist da noch Swann Nambotin als etwa achtjähriger „Victor“, der das Kunststück schafft, gleichzeitig niedlich und höchst creepy zu wirken, scheint er doch immer mehr zu wissen als alle anderen, während niemand weiß, was in seinem Kopf vor sich geht. Obwohl sich der Zuschauer natürlich die ganze Zeit über die Frage stellt, was der Grund für die Rückkehr der Wiederauferstandenen ist. Haben sie eine Mission? Wollen sie Rache nehmen? Hat die etwas mit dem Stausee zu tun, auf dessen Grund ein ganzer Ort zu liegen scheint, und der nun auf unerklärliche Weise wieder Wasser verliert?

Die unheimlich dicht inszenierte Pilotfolge zählt vermutlich zu den besten Serienauftakten der vergangenen Jahre. Auch die darauffolgenden Episoden können noch voll und ganz überzeugen. Die zweite Staffelhälfte ist etwas schwächer, kommt es dort doch zu ein paar unglaubwürdigen Entwicklungen, insbesondere, was Paarbildungen betrifft. In der letzten Folge enttäuscht dann der groß aufgebaute Showdown, der sich buchstäblich in Nichts auflöst und nur offene Fragen hinterlässt. Hier bleibt die Hoffnung, dass die für 2014 angekündigte zweite Staffel befriedigende Antworten liefern kann. Dann könnte sich „Les Revenants“ tatsächlich unter die bahnbrechenden Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und Carnivàle einreihen.

Die komplette Staffel ist bei Watchever verfügbar, die erste Folge auch gratis ohne Anmeldung.

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