Es ist schon merkwürdig, was aus dem einstigen Branchenprimus und Auslöser der gegenwärtigen Welle komplex erzählter US-Serien geworden ist. Um im derzeitigen Angebot von HBO noch aktuelle Eigenproduktionen zu finden, auf die das Siegel „Qualitätsserie“ wirklich passt, muss man schon etwas länger suchen. Stattdessen findet man erfolgreichen Trash, agitatorische Politserien und mittelmäßige Comedys, die kaum jemanden interessieren. Zeit für einen Abgesang?
Ein Kommentar von Marcus Kirzynowski
Noch vor acht Jahren liefen bei HBO „Die Sopranos“, „The Wire“ und „Six Feet Under“ – gleich drei Serien, die viele Kritiker und Fans zu den besten aller Zeiten zählen. Dazu kamen noch „Deadwood“, „Rome“ und „Carnivàle“, alles ebenso hoch ambitionierte wie originelle Produktionen, wie sie das Fernsehen zuvor noch nicht gekannt hatte. Und heute? Im Dramabereich hat der Sender mit „Game of Thrones“ eine aufwändige Fantasyserie, die in Ausstattung und Inszenierung sicher neue Maßstäbe setzt und sich einer großen internationalen Fangemeinde erfreut. Aber ist dieses im Grunde altbekannte Spiel von Gut gegen Böse wirklich inhaltlich innovativ oder nicht doch nur eine clevere Kombination bekannter Versatzstücke? Letzteres könnte man wohl auch über „Boardwalk Empire“ sagen, das das Gangster-/Mafiagenre sicher nicht neu erfindet und in der Beliebtheit nicht an HBOs große Erfolge anknüpfen konnte. Die zweite aktuelle Fantasyserie im Programm, „True Blood“, ist trotz aller eingebauten Bezüge zur Gegenwart dann doch nicht viel mehr als trashige Unterhaltung ohne viel Anspruch.
Und dann hat man noch zwei Ikonen unter den Autoren und Showrunnern an Bord, David Simon und Aaron Sorkin, die mit ihren vorherigen Serien „The Wire“ und „The West Wing“ maßgeblich zum Aufschwung der ganzen Gattung beigetragen haben. Ersterer leitet seit 2010 „Treme“, die Serie über New Orleans nach dem verheerenden Wirbelsturm Katrina im Jahr 2005. Sie geht in wenigen Wochen zu Ende, mit der letzten einer auf fünf Folgen verkürzten vierten Staffel. Auf den ersten Blick erinnert „Treme“ stark an „The Wire“: die gleiche handwerkliche Sorgfalt, ähnlich gute Schauspieler, die teilweise auch direkt aus der Vorgängerserie übernommen sind, eine extrem langsame Erzählweise und ein gesellschaftpolitisches Anliegen, eine Kritik an den herrschenden Verhältnissen in den USA der (Post-)Bush-Ära. Leicht hat David Simon es seinen Zuschauern noch nie gemacht und selbst hartgesottene Freunde sich langsam entwickelnder Qualitätsserien brauchen auch bei „The Wire“ schon mal mehrere Anläufe, um in den erwünschten erzählerischen Sog zu geraten. Aber zumindest gab es da eine Erzählung! Oder besser gesagt, ganz viele kleine, die auch für sich alleine stehen könnten (und das zu Beginn der Staffeln oft scheinbar auch taten), aber im weiteren Verlauf auf brillante Weise zusammenliefen und sich als Teile eines einzigen großen Mosaiks entpuppten.
„Treme“: Handlung gesucht
Und in „Treme“? Was ist da eigentlich die Geschichte? Zumindest über die erste Staffel lässt sich ohne Übertreibung feststellen: Es gibt im eigentlichen Sinne keine. Stattdessen beobachten wir ein ganzes Ensemble von Einwohnern der Stadt New Orleans in ihrem Alltag: beim Musizieren und Musikhören, beim Kochen und Essen gehen, beim Arbeiten und Zeit vertrödeln, bei der Schreibblockade und beim Agitieren in die Webcam. Das ist streckenweise durchaus faszinierend anzusehen, auf die Dauer aber leider zunehmend ermüdend, zumal das Tempo nach der interessanten Pilotfolge eher noch weiter reduziert wird statt anzuziehen. Der Gipfel ist dann wohl erreicht, wenn in der achten Folge nichts weiter passiert, als dass die Hauptfiguren Mardi Gras feiern und jegliche Handlung(en) völlig zum Erliegen kommt. Echt, das soll ein Vertreter des allseits so hoch gelobten komplexen Erzählens sein? Leute, die sich einen Karnevalszug ansehen, sich betrinken, tanzen und Kamellen auffangen – und das 55 Minuten lang? Auch sonst ist von einer Erzählstruktur oft wenig zu erkennen. Es ist eben keine gehobene Erzählkunst, wenn man eine Figur (John Goodmans Englisch-Professor) Hasstiraden auf die US-Regierung in eine Webcam sprechen lässt, danach unvermittelt zu einem Live-Gig in einem Jazzclub schneidet, danach mal wieder Goodman zeigt, wie er an seinem writer’s block leidet, um daraufhin erneut Musiker beim Spielen ihrer Instrumente zu inszenieren. Für eine clevere Erzählstruktur müsste man hingegen erst einmal wissen, was man eigentlich erzählen will.
Statt eine hintergründige Parabel auf das heutige Amerika (oder den Kapitalismus im allgemeinen) zu sein, erschöpft sich „Treme“ in einer oft platten Agitation, die in den unangenehm wirkenden Reden John Goodmans besonders deutlich wird. Wo Simon in „The Wire“ seine Botschaft noch subtil durch das Gezeigte vermittelte, mit ambivalenten Figuren, die, ob Polizist oder Drogendealer, letztlich alle Opfer einer verfehlten Politik waren, könnte man in den Szenen mit Goodman jedes Mal dick „Author’s Voice“ einblenden, so ungefiltert trägt dieser vor, was Simon seinem Publikum offenbar sagen will. Durchsetzt sind diese Kampfreden oft auch noch von (auf Deutsche) merkwürdig anmutendem Patriotismus. Die USA könnten eben doch das tollste Land der Welt sein, wenn sie sich nur auf ihre Traditionen besinnen würden. Und New Orleans ist eh die geilste Stadt der Welt. Nur wieso sollte mich das als Nicht-Amerikaner außerhalb der Stadt interessieren? Überhaupt ist es ziemlich bedenklich, wie unkritisch Simon und seine Ko-Autoren New Orleans und dessen Einwohner zeichnen. Schuld sind immer nur die Anderen, die Ignoranten aus New York und anderswo, die Politiker in Washington, etc. In New Orleans selbst leben hingegen nur rechtschaffene, ehrliche Menschen mit einer einzigartigen Kultur. An die Stelle der facettenreichen Grautöne aus „The Wire“ ist reine Schwarz-Weiß-Malerei getreten. Stand das Baltimore in „The Wire“ noch stellvertretend für viele ähnliche, vom wirtschaftlichen Niedergang zerstörte ehemalige Industriestädte, ist „Treme“ eine einzige Promotion für das Tourismusbüro von New Orleans.
Und sonst?
Den unangenehmen Hang zum Agitieren teilt Simon hier mit dem Schöpfer einer weiteren aktuellen HBO-Dramaserie, Aaron Sorkin. Auch der lässt in seiner neuen Serie „The Newsroom“ (s. torrent 2/2012) meist jegliche Subtilität vermissen und wo in seiner NBC-Serie „The West Wing“ politische Fragen noch ausdiskutiert wurden, präsentiert er seinen Zuschauern hier gleich die Antworten. Auch aus den Szenen der fiktiven Nachrichtensendung „News Night“, in denen Sorkins Anchorman Will McAvoy (Jeff Daniels) sein Publikum belehrt, schreit pausenlos der Drehbuchautor seine Meinungen in die Welt. Dazu kommen noch merkwürdig ungelenk wirkende Comedyelemente wie diverse Dreiecks-Beziehungen zwischen den Redaktionsmitgliedern. Das mögen manche unterhaltsam finden (das hate-watching scheint aber zumindest unter den Wortmeldungen im Netz zu überwiegen), Qualitätsfernsehen geht aber trotzdem anders.
Im Comedybereich sieht es bei HBO zur Zeit fast noch trüber aus. Charmante Halbstünder wie „Bored to Death“ werden abgesetzt, um seltsam unlustigen „Dramedys“ wie „Family Tree“ und „Getting On“ Platz zu machen, die eher so wirken, als würden sie auf BBC Two laufen. Was daran liegen könnte, dass ersteres eine Ko-Produktion mit der BBC ist und tatsächlich auch dort zu sehen ist, während letzteres auf einem BBC-Format basiert. Auch „Hello Ladies“ hat britische Wurzeln, hat HBO sich hier doch mit Stephen Merchant gleich einen dortigen Starkomiker eingekauft, um als Serienschöpfer und Hauptdarsteller zu fungieren. Das Ergebnis ist zwar lustiger als die beiden anderen Beispiele und vor allem wesentlich edler gefilmt, gemein ist allen genannten Neustarts trotzdem, dass sie keinerlei Buzz erzeugen, im Internet praktisch nicht diskutiert werden.
Kein Vergleich mit den zahlreichen ebenso beliebten wie oftmals hintersinnigen Dramedys des HBO-Konkurrenten Showtime, von „Californication“ über „House of Lies“ bis „Shameless“. Wie überhaupt in den vergangenen Jahren ganz andere Kabelsender die Maßstäbe setzten, was gehobene Serienunterhaltung angeht: Neben Showtime (im Dramabereich mit der ersten „Homeland“-Staffel und ganz aktuell „Masters of Sex“) vor allem AMC (mit „Mad Men“ und „Breaking Bad“) und im zu Ende gehenden Jahr auch der Sundance Channel mit seinen ersten fiktiven Eigenproduktionen „Top of the Lake“ und „Rectify“. HBO zehrt hingegen überwiegend nur noch vom in vergangenen Tagen aufgebauten guten Ruf, während vom aktuellen Portfolio kaum eine Serie in der ersten Liga mitspielt. Die Frage ist, wie lange sich ein solcher guter Ruf unter diesen Umständen aufrecht erhalten lässt.
Den Anmerkungen zu „Treme“ liegt lediglich die Kenntnis der ersten Staffel zu Grunde.
/signed.
Schaut nach einem in den letzten Jahren oft beobachteten Unternehmensverlauf aus. Ein Unternehmen ist der Pionier für ein nicht neues, aber endlich brauchbares Produkt. Plötzlich will es jeder haben und andere produzieren es auch, nur anders oder sogar besser. Oder in der Nische. Der Pionier und Marktführer kommt dann innovativ nicht mit, trifft vielleicht noch 1-2 große falsche Entscheidungen und verliert rasant an Boden. Nokia, BlackBerry Microsoft mit Windows und IE, Yahoo, uvm fallen mir ein.
Schade um HBO, wäre interessant zu wissen wie es sich in den letzten Monaten mit ihren Abo-/Zuseherzahlen verhalten hat. Vermutlich beschönigt GoT aber noch die Statistik.
wollte gerade sagen. sonnenaufgang, sonnenuntergang – eine ganz normale entwicklung bei hbo. in ein paar jahren wird es wieder besser und wir lesen einen abgesang auf amc und showtime. so what.
Oh man, da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll. Ich kann ja wirklich total nachvollziehen, wenn man mit „Treme“ wenig anfangen kann, aber der Serie deswegen im Grunde gleich jedwede Qualität abzusprechen, weil man mit der Machart nichts anzufangen weiß, ist einfach dämlich, sorry.
1. wird in „Treme“ die Geschichte von New Orleans und ihren Bewohnern nach Katrina erzählt, nur eben auf völlig andere Art und Weise, wie man es von anderen Serien gewohnt ist. DAS ist doch gerade das Außergewöhnliche und so Originelle an der Sache, dass man auf herkömmliche Erzählstrukturen verzichtet.
2. sind gerade die Mardi-Gras-Folgen nicht nur für mich immer das absolute Highlight einer jeden Staffel.
3. basiert John Goodmans Figur nicht auf Simons eigenen Ansichten, sondern (wie so viele Charaktere in „The Wire“ auch) auf einer Person aus dem wahren Leben.
4. ist NOLA vielleicht nicht die „geilste“ Stadt der Welt, aber sicherlich eine der kulturell und historisch bedeutendsten. Und mir persönlich reicht das auch vollkommen, um mich als Nicht-Amerikaner für die Stadt zu interessieren.
5. ist Simon NIE unkritisch. In NOLA leben nur ehrliche, rechtschaffene Menschen? Schwarz-Weiß-Malerei? Bitte?!? Reden wir von derselben Serie?
6. zeigt die Serie sehr wohl auch die hässliche, gefährliche Seite der Stadt, die so ziemlich das genaue Gegenteil von tourismusfördernd ist (sonst wäre ich schon längst dort gewesen).
7. sollte man bei dem Thema „Girls“, „Curb Your Enthusiasm“ und „Veep“ nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen, zumal das alles Comedys sind, die meines Erachtens auf keinem anderen Sender als auf HBO laufen könnten.
8. gibt’s nen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen fiktiv und fiktional. 😉
Aber ja, die Hochphase von HBO ist sicherlich vorbei, auch wenn ich mich schon sehr auf „True Detective“ und „Looking“ freue.
/signed 🙂
Wenn man HBO bezüglich TREME etwas anlasten kann, dann dass die abschließende vierte Staffel nur 5 Folgen bekommen hat. Gleichzeitig muss man sie genau dafür loben, denn die Ratings rechtfertigen das nicht, sehr wohl aber der Dienst an den treuen Fans (man vergleiche das mal mit dem Vorgehen von Starz bei der großartigen Serie BOSS – ob es einen die Story abschließenden Fernsehfilm geben wird, steht immer noch in den „Sternen“ – da fühlt man sich als Kunde/Fan zu Recht ver**scht). Auch THE WIRE hatte keine Top-Quoten und Simon stand jedes Jahr auf der Kippe, was die Verlängerung anging, und über die Jahre haben die DVD Verkäufe angezogen, ebenso bei GENERATION KILL, etc. Qualität braucht Zeit, das wird auch bei TREME der Fall sein – in Sachen Musik/Musiker gibt es keine Serie, die ihr nur annähernd das Wasser reichen kann. Ganz großes, „alltägliches“ Erzählkino, dass Große spiegelt sich im Alltag, bei den Schwarzen, bei den Weißen, bei den Armen, bei den Reichen, bei den Engagierten, bei den Korrumpierten… besser geht’s nicht.
GAME OF THRONES ist brillant und wird von Jahr zu Jahr teurer, und bei weiteren 3/4 Staffeln werden die Produktionssummen astronomisch, und ob sich das ewig über Blu-ray und DVD Verkäufe amortisiert, ist mal dahin gestellt. Dort sterben die Hauptdarsteller wie die Fliegen, und wenn der Durchschnittszuschauer alle seine Lieblinge eingebüßt hat – guckt er dann weiter? Vielleicht war Season 3 schon der „Peak“ für die Serie, oder Season 4 wird es – was dann? Ich bin mir sicher, dass HBO das Ding weiter durchzieht, bei anderen Anbietern habe ich da eher meine Bedenken 🙂
Also, man kann über „Treme“ alles mögliche sagen, aber bestimmt nicht, dass es „Erzählkino“ ist ;). Wir sind uns ja grundsätzlich einig, dass Serien nicht unbedingt story-driven sein müssen, aber ein Mindestmaß an Handlung, die dann auch ein wenig vorangetrieben wird, braucht es mMn schon (bestes Beispiel wäre „Die Zweite Heimat“, sicher ähnlich kontemplativ wie „Treme“, aber es GIBT halt auch eine Geschichte, die durchgehend erzählt wird, auch wenn sich Reitz immer wieder in langen Alltagsbeobachtungen scheinbar verliert).
So generös ist HBO im Übrigen gegenüber den Fans auch nicht – siehe „Carnivàle“. Als da die Quoten nicht mehr in einem akzeptablen Verhältnis zu den Kosten standen, hat man aber ganz schnell nach zwei von geplanten sechs Staffeln den Stecker gezogen – trotz Fanprotesten. Glaube nicht, dass das bei einer so teuren Serie wie GoT anders wäre, sollten die Quoten massiv einbrechen.
Der Unterschied zu CARNIVALE dürfte der sein, das David Simon ein „Kritikerliebling“ ist, während Erstere „nur“ ihrer Zeit voraus war. Sonst wäre es anders gekommen, und Simon hat ja jetzt anscheinend auch erstmal genug von dem Streß und macht eine Pause vom Fernsehgeschäft. Sei ihm gegönnt.
GAME OF THRONES ist insofern nicht vergleichbar, weil du den Fanfaktor der Buchleser nicht mit berücksichtigst, die seit über 10 Jahren hinter George RR Martin und seinem ausufernden Epos stehen. Es ist überschaubar wie viele Staffeln noch kommen, mehr als sieben oder acht werden es nicht, und die Showrunner gehören zum erlesenen Kreis derer, die das Ende der noch nicht niedergeschriebenen Buchvorlage kennen. Mehr dazu in unserem Podcast im März…
Aber jetzt zu TREME – wie definierst du Erzählkino? Natürlich werden hier Geschichten erzählt, und es gibt bei jeder Figur Handlungsbögen. Die sind alltäglicher, aber dennoch vorhanden und zu benennen. Diese sind eingebettet in einen penibel recherchierten historischen Hintergrund, und beleuchten ihn durch die Figuren aus verschiedenen Perspektiven. Das ist erzählerisch auf allerhöchstem Niveau, und wenn dir davon die Hälfte entgeht, unterstreicht das, wie wenig Aufmerksamkeit das auf seine Konstruktion zieht, ja dass es so wirkt, als beobachte man „nur“ den Alltag von einem nicht zusammenhängenden Haufen Menschen, ist ja genau die unsichtbare Qualität der Bücher, wie der unsichtbare Continuity-Schnitt. Wenn John Goodman in der ersten Staffel auf die Regierung schimpft, dann ist das mitnichten 1:1 David Simon der dort spricht. Selbst wenn dem so wäre, wieso trifft das nicht auf alle Figuren zu? Und was bedeutet dies, auf das Schicksal dieser Figur am Ende der Staffel bezogen? Gut, zugegeben, danach macht die Figur keine weitere Entwicklung mehr durch…
Die erste Staffel gibt dir außerdem noch nicht das Bild dessen, worauf es hinsteuert. Die vierte Staffel beginnt mit der Wahl von Obama zum Präsidenten – erinnert ihr euch noch an die Euphorie damals? Und was halten wir heute davon? Eben. Das sich nichts ändert, wurde in TREME längst penibel erzählt. Wie schlägt sich jeder Einzelne dabei? Die Lebensentwürfe stehen immer wieder auf der Probe, und das geschieht so authentisch, wie ich es noch nie gesehen habe, vermischt mit echten Musikern, und die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation verschwindet. Was übrig bleibt ist die Notwendigkeit, sich eine eigene Meinung bilden, weil einem Simon eben keine vorkaut und hinrotzt. Das kann man ihm gar nicht hoch genug anrechnen.
Wenn ich mir zum Vergleich das deutsche Fernsehen so anschaue, ist dies hier aber doch meckern auf hohem Niveau…
es ist meckern auf angemessenem niveau. deutschland muss man komplett rauslassen, die bekommen fast gar nichts hin.
A-B-S-O-L-U-T!!!!
Fragwürdiger als den vermeintlichen Qualitätsverfall bzw. Niedergang bei HBO finde ich die Spin-Offs bei AMC!
Woran erinnert uns das? Ach ja, den Prequel-, Sequel, Remake- und Rebootwahn der großen Hollywoodstudios. Unlängst wurden zwei Spiderman Spin-Offs beschlossen. Hauptsache auf Nummer sicher gehen.
AMC scheint also erstes Opfer des eigenen Erfolgs geworden zu sein.
Ich kann mich den beiden „Treme-Verteidigern“ in den Kommentaren nur anschließen und mit dem Kopf schütteln, was hier für ein sehr selektiv ausgewählter Stuss über die Serie zusammengepflückt wurde. Dass man Treme nicht mögen muss, ist klar, dass es eine absolute Nischenserie, die man gerne unter „ist nichts für mich“ abtun kann, geschenkt. Haben ja schließlich auch die Mehrheit der Zuschauer gemacht. Die Argumente, was an der Serie funktioniert und warum man sie durchaus als gute Serie betrachten kann, haben die beiden Kommentatoren schon angesprochen, ich will es nur noch um mein Unverständnis ergänzen, dass Markus in seinem Text wirklich behauptet, es wäre rein gar nix passiert in Staffel 1. Ich könnte jetzt, ohne viel zu spoilern dort nur Storylines wie LaDonnas Suche nach ihrem Bruder, Tonis Engagement darin, Creightons Abgleiten in die Depression (an dieser Stelle, John Goodmans kritische Reden ohne das Ende seiner Storyline in Staffel 1 als Negativbespiel stehen zu lassen, passt natürlich viel besser in die Endaussage dieses Artikels), Janttes Kampf um ihr Restaurant, Alberts Versuche, die Kultur der Mardi Gras Indians nach dem Sturm aufleben zu lassen nennen. Aber dann könnte man ja nicht mehr behaupten, es wäre nichts passiert. 😉 Es scheint so, als hätte Markus sich dafür einfach nicht interessiert, was auch sein gutes Recht ist. Nur da waren sie schon, die Handlungsstränge, man musste sie halt nur wahrnehmen.
Noch mehr als die komplett ignorante Einschätzung von „Treme“ stört mich aber die Argumentation, jetzt aufgrund der Dramaserie mit den wenigsten Zuschauern bei HBO (ich hab jetzt keine Zahlen parat, aber man kann davon ausgehen, dass Treme für HBO keine Gewinne einfährt) diesen Abgesang auf den Sender aufzuziehen. Welcher etablierte Kabelsender lässt den solche reinen Nischenprodukte, die sowohl gesellschaftlich als auch politisch was aussagen wollen, überhaupt zu? Aber bei Showtime? Bei AMC? Bei FX? Dort ist man viel eher bereit, riskante Verlustprojekte direkt nach Staffel 1 einzustampfen. Und klar, HBO hat immer noch Carnival und auch Deadwood als Leichen im Keller, aber wie lange ist das jetzt her? AMC zeigt doch gerade, wie schwer es ist ein solcher Sender mit derartigen Ansprüchen auf lange Sicht zu sein.
SPOILER!
Und welche Aussage soll jetzt Creightons Ende haben? Dass politisches Engagement eh nichts bringt oder wie? Wobei sein Abgleiten in die Depression mMn auch nur behauptet, aber nicht nachvollziehbar vermittelt wird. Er hat im Grunde alles, um glücklich zu sein, außer, dass er gerade einen writer’s block hat und New Orleans für ihn nicht mehr dasselbe ist wie vor dem Sturm. Ich glaube, aus solchen nichtigen Gründen bringt sich einfach niemand um, wenn alles andere (Job, Familie) stimmt. Und tut mir Leid, ich bleibe dabei: Das, was in den zehn Folgen der ersten Staffel an Handlung steckt, hätte locker in ein bis zwei Folgen gepasst. Ich streite „Treme“ ja andere Qualitäten gar nicht ab, aber es ist eben ein Beispiel dafür, dass einige aktuelle HBO-Serien im Grunde nichts zu erzählen haben, genau wie „The Newsroom“ oder „Family Tree“. Und das finde ich für einen Sender, der dafür berühmt wurde, das Erzählen im Fernsehen neu erfunden zu haben, schon bemerkenswert.
Also im Vergleich mit RECTIFY, das du zu Recht abfeierst, platzt die erste Staffel von TREME an Handlung aus allen Nähten.
Ich glaube woran sich hier viele in den Kommentaren stoßen, ist die zu pauschale Aussage, eine Serie hätte „nichts zu erzählen“. Wenn man konkret wird, wie im Falle von der Figur, die John Goodman verkörpert, dann kann man darüber streiten. Das muss dir nicht gefallen, ich empfand es als angenehm, dass es keine Holzhammer-Inszenierung davon gab, mit sentimentaler Musik im Off oder schlimmeren.
Bei TREME steht Kultur im Vordergrund, Musik, Essen, Soziales – und das am Besten gemeinsam und nicht vor der Glotze, sondern in Bars, Kneipen, Restaurants. Das was uns zusammen hält, als Gesellschaft. Darüber hinaus wächst die Serie mit den folgenden Staffeln, und es gibt viele Höhen und Tiefen. Wenn dich das dort nicht interessiert, ok – dann lass aber doch mich darüber schreiben, wie du es vor einem Jahr im Heft hast machen lassen. Du benennst nicht mal die „anderen Qualitäten“, z.B. die herausragende Kamera, sowie die Live-Musik-Aufnahmen, das Schauspiel (sowohl der Nicht-Musiker, die Musiker spielen, sowie die Musiker, die, äh, sich selbst spielen und so tun, als hätten sie es mit Musikern zu tun). Hast du das schon mal anderswo in besser gesehen?
Auch NEWSROOM mag dir nicht gefallen (ich schwanke da noch), aber das handwerkliche der Bücher ist immer noch phänomenal. Vielleicht ist das nur für Drehbuchautoren interessant, aber dann ist es ein „how to guide“.
Und was ist mit den überragenden Filmen die HBO dieses Jahr produziert hat, was auf A-Festivals lief? Das kann man doch nicht so ausblenden, nur weil es gerade in die Argumentation passt. Natürlich freue ich mich aber über die entstandene Diskussion, und bin langsam geneigt, dass für einen gelungenen Marketing-Gag zum Jahresende zu halten…
SPOILER
Welche Aussage? Im Sinne von, jede Handlung muss eine klare Aussage haben, damit es als Handlung funktioniert? Sorry, damit kann ich nicht dienen, ich kann mir aber ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, dass du bei allem anderen Serien diesen Maßstab anlegst, dass du am Ende eine Moral von der Geschichte möchtest. Dann wäre ja auch „The Wire“ nichts vernünftiges. 😉
Für mich ist in Creightons Storyline absolut greifbar, wie er in diese Depression abrutscht, bereits in den Episoden vor dem finalen Ende (und dabei muss man auch erwähnen, dass sein Tod über die nächsten Staffeln einen unheimlich wichtigen Storymotor für seine Familie liefert, aber ich lese ja aus deinem Text, dass du nach der ersten Staffel nicht weitergeschaut hast) und für mich ist dies ein unheimlich berührendes Beispiel eben für eine solche unbegreifliche Geschichte, wo sich ein Mensch, der eigentlich alles hat, dennoch freiwillig das Leben nimmt. Und auch wenn du das nicht glauben magst, solche Fälle gibt es, und die sind gar nicht mal so selten. Und in New Orleans waren sie nach Katrina nochmal häufiger, als woanders.
Deine Aussage, dass die Serie nichts zu erzählen hätte, zeigt doch, dass sie eigentlich speziell dir nichts zu erzählen hat, wahscheinlich weil dich das, was sie erzählen möchte nicht interessiert. Aber mich und anscheinend einigen anderen wohl schon. Ich empfinde diese Geschichten, die den Alltag von Menschen erzählen (von denen ich ohne Treme wohl nie etwas erfahren hätte) einfach viel aufregender, als die tausendste Variation des mittlerweile ausgelutschten Anti-Heroe-Genres. Dazu kommen Dinge, wie sie Jens noch anspricht, die Musik, die Kultur, das Porträt einer Gesellschaft, die trotz aller Rückschläge die Kraft hat immer wieder aufzustehen, Menschen die ganz fundamental gut sind, ohne dabei an Facettenreichtum zu verlieren, die genialen Schauspieler. Und irgendwie will mir auch nicht in den Kopf gehen, wie man mit so einer Serie einen Blick auf eine Kultur wie die Mardi Gras Indians erhalten kann, von der ich als Mitteleuropäerin vorher ja noch nie was gehört hatte, und davon nicht total fasziniert sein kann? Allein wie Clarke Peters im Piloten das erste Mal in voller Montur auftritt, also ich bekomme da allein beim dran denken Gänsehaut. Eine Aussage, OK, ist nichts für mich, kann ich da gerne akzeptieren, aber ein kompletter Verriss tut einem dann doch irgendwie in der Seele weh.
Du hattest doch selbst geschrieben, dass man die kritischen Reden vom Anfang nicht ohne das Ende von Goodmans Storyline betrachten könnte. Deshalb habe ich gefragt, was das Ganze denn deiner Meinung nach aussagen soll. Natürlich will ich von Simon keine Moral auf dem Silbertablett serviert bekommen.
In „The Wire“ gibt es doch eine klare Aussage: „The Game is the Game and my name is my name.“ 😉
„Was ist da eigentlich die Geschichte? Zumindest über die erste Staffel lässt sich ohne Übertreibung feststellen: Es gibt im eigentlichen Sinne keine“. Irgendwie erinnert mich das an http://www.youtube.com/watch?v=ofOSlsNz5I8
Ja, das trifft es mMn sehr gut ;).
also ich finde treme blöd