Das Leben nach dem Tod in Flandern: die arte-Serie „Zimmer 108“

Nach Hause telefonieren: Kato (Lynn van Royen) will Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen © DeMensen Foto: ARTE France

Nicht nur Skandinavier beherrschen das Genre des düsteren, horizontal erzählten Krimis. In der im Original „Beau Séjour“ betitelten Serie mischen die belgischen Macher einen klassischen Whodunnit mit einem originellen Mysteryelement zu einem packenden Zehnteiler.

Am Anfang steht der Schock. Vor alem für die Hauptfigur, die 19-jährige Kato (Lynn van Royen), die mit blutverschmiertem Kopf im Hotel Beau Séjour aufwacht und nach dem Gang ins Bad ihren eigenen toten Körper in der Wanne liegen sieht. Verstört rennt sie aus dem Hotel und durch den Wald. Eine Reiterin, auf die sie trifft, reagiert jedoch genauso nicht auf ihre Bitte um Hilfe wie die Autofahrer auf der Landstraße. Nach und nach wird ihr bewusst, dass sie wirklich gestorben – besser ermordet worden – sein muss. Es gibt aber eine Handvoll Menschen aus ihrer Umgebung, die sie nach wie vor ganz normal wahrnehmen können, während sie für alle anderen buchstäblich Luft ist: ihr Vater, ihre Stiefschwester, ihre Freundin Ines, der Dorfbulle Alexander Vincken und dessen Sohn Charlie. Wobei einer von denen ein Trinker ist und einer gerade aus der Psychiatrie entlassen wurde – nicht die verlässlichsten Zeugen also. Dummerweise kann sich Kato zudem an nichts erinnern, was am Abend zuvor auf dem Schützenfest passiert ist. Da der örtlichen Polizei nicht recht zu trauen ist, beginnt sie selbst zu ermitteln. Nach und nach erfährt sie Dinge, die sich bruchstückhaft zu einem Bild der Ereignisse zusammenfügen. Aber wer könnte ein Motiv gehabt haben, die Teenagerin umzubringen? Und warum können ausgerechnet diese wenigen Personen sie weiterhin sehen?

„Beau Séjour“ ist formal eine jener moderneren Krimiserien, wie sie seit „Kommissarin Lund“ verstärkt aus verschiedenen europäischen Ländern kommen: Ein Fall mit zahlreichen Figuren, von denen manche mehr, manche weniger in das Verbrechen verwickelt sind, wird über eine komplette Staffel ausgebreitet. Hinweise werden gelegt, die manchmal in die Irre führen, und der eine oder andere zu Unrecht Verdächtige dem Zuschauer präsentiert. Dabei erfahren wir, dass in der kleinen flämischen Gemeinde, in der alle per Du sind, längst nicht alles so beschaulich ist, wie es zunächst den Anschein hat. Da wird zum Beispiel fleißig mit Drogen gedealt und die Polizei lässt gerne mal Beweise verschwinden. Der Krimiplot ist dabei gut konstruiert und lässt einen bis zum Schluss mitfiebern, wer es denn nun gewesen sein könnte und warum.

Wie würdest du reagieren?

Das besondere Gimmick der Serie ist aber, dass hier das Mordopfer selbst ermittelt. Dadurch, dass Kato weitgehend unbemerkt durch die Welt der Lebenden wandelt, ergeben sich nicht nur berührende Momente (etwa wenn sie vergeblich versucht, ihre um sie trauernde Mutter zu trösten, die sie nicht wahrnehmen kann). Es stellen sich auch interessante Fragen: Wie würde man sich als Zeuge seiner eigenen Beerdigung fühlen? Würde man sich seine eigene Obduktion ansehen? Macht man sich vielleicht sogar Vorwürfe, zu leichtsinnig gewesen und in gewisser Weise an seinem Tod mitschuldig zu sein?

Stilistisch ist die Serie ihrem Sujet angemessen: Die Atmosphäre auf dem Land in Flandern ist eher düster, entsprechend sind auch die Bilder. Die realistische Schilderung des Alltags und der Polizeiarbeit wird nur gelegentlich durch poetische Momente durchbrochen: Pferde sind dabei ein wiederkehrendes Motiv, sie scheinen oft mehr zu spüren als die Menschen. Die Grundidee der in einer Zwischenwelt gefangenen Kato driftet nie ins Esoterische ab, die Autoren haben klare Regeln aufgestellt, wie sie sich durch die reale Welt bewegt, was sie dabei kann und was nicht und wer sie wahrnimmt. So wirkt sie weniger wie ein Gespenst als wie eine verlorene junge Frau, die mehr oder weniger auf sich alleine gestellt ist. Mit zunehmender Laufzeit entwickelt die Serie – auch dank der guten Darsteller, Inge Paulussen, die die Mutter spielt, kennt man etwa schon als Goedele aus der sarkastischen Thrillercomedy „The Clan“ – einen Sog, wie man ihn von Vertretern des Scandinavian Noir kennt. Nur mit einer zweiten Staffel wird es angesichts der Prämisse wohl schwierig.

Die Serie zeigt arte ab dem 2. März jeweils donnerstags um 20 Uhr 15 in Doppelfolgen.

 

 

 

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