Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Täglich schaut man, was sich auf dem amerikanischen Fernsehmarkt tut. Wir suchen in Übersee nach neuen Serien, während wir den Blick für die landeseigenen Perlen verlieren. Der Auftakt zu Staffel 2 von „CopStories“ wäre ein Grund, das zu ändern.
Obwohl die Serie sich nun schon in ihrer zweiten Staffel befindet, wage ich zu behaupten, dass die Serie einen vergleichsmäßig geringen Bekanntheitsgrad besitzt. Nach zwei Staffeln und zweieinhalb Jahren hat die engagierte Facebook-Seite nicht einmal 5.000 Likes gesammelt, die Quoten sind eher mau – und von einer kritischen Begleitung abseits von Fortsetzung.tv, ehemals auch BlamayerTV, ist leider wenig zu sehen. Der Lichtblick: Zumindest der ORF scheint sich bewusst zu sein, was er da für eine tolle Serie in petto hat – eine dritte Staffel wurde schon vor Ausstrahlung der zweiten bestellt, die vierte schon vor der Ausstrahlung der dritten.
„Kinderspül“ ist dabei die perfekte Eröffnungsfolge für die zweite Staffel der Serie. Der Fall um den ermordeten Salafisten besitzt ein feinfühliges Verständnis für Völkerverständigung und Engstirnigkeit, das in Zeiten wie diesen aktueller ist denn je. Gleichzeitig gibt es Humor seitens Sylvesters und besorgte Mienen bei den Gemütern der gesamten Mannschaft – die Stimmung zu halten gleicht einem Balanceakt. Doch was „Kinderspül“ besonders auszeichnet, ist der Hauch von Poesie, den die Folge in ihren letzten Minuten beweist, als Roman im Kittel in den Nachthimmel schlendert – eine wunderschöne Metapher, die einem den Glauben schenkt, dass „CopStories“ mehr ist, als der Titel verspricht.
Wir beachten heimische Serien nicht genug, weil wir ihnen zu wenig zutrauen.
Dabei ist das goldene Zeitalter des TVs, das in Amerika in den späten 80ern eingeläutet wurde, bereits längst zu uns herübergeschwappt. Es herrscht nur noch kein rechtes Bewusstsein dafür, dass die narrative Komplexität von Serien auch bei uns schon Einzug gefunden hat. Es freut mich zu sehen, dass der ORF versucht, dieses Bewusstsein zu schüren – etwa, indem er so ein großes Vertrauen in „CopStories“ setzt und der Serie einen vergleichsweise guten Sendeplatz gewährt, in der Hoffnung, dass sich die Zuseher vom seichteren „SOKO Donau“ auch auf das komplexere „CopStories“ einlassen. Aber hoffen ist nun mal nur die halbe Miete.
Optimal beworben ist die Serie nicht. Die offizielle Facebook-Präsenz ist bemüht und sehr aktiv, erreicht aber naturgemäß nur jene Menschen, die ohnehin schon Fans sind. Ich würde Freunden gerne zeigen, was die Stärken der Serie ausmachen, ohne sie gleich in eine gesamte Folge in der TVthek schicken zu müssen – aber ein aussagekräftiger Trailer oder der Vorspann der Serie findet sich etwa auf YouTube leider nicht. Das ist schade, denn die kurzen Trailer auf ORFeins (mit imposanten Schlagworten wie Liebe, Mut, etc.) sind sehr gelungen – aber ein langer, spannend geschnittener lässt sich nicht finden. Klar, das ist viel Arbeit, für den ORF aber eine wichtige Investition für die Zukunft: Wenn jetzt ein Bewusstsein dafür entsteht, dass in Österreich Qualitätsserien produziert werden, die sich mit amerikanischen durchaus messen können, dann wird sich das langfristig bei den nächsten Projekten lohnen.
Sicher: Unsere Fernseh-Rezeptionskultur ist eine andere als etwa in den USA. Gerade (großteils junge) Serienfans haben, mit dem Blick auf den internationalen Fernsehmarkt gerichtet, eine enorme Bandbreite an Möglichkeiten, Serien zu verfolgen – warum dann also eine österreichische, die nicht nur mit geringerem Budget produziert werden muss, sondern auch noch mit einem altertümlichen Image zu kämpfen hat? Dennoch existiert auch bei uns der Reiz, exklusiv Premieren mitzuerleben. Neue Episoden von „CopStories“ besitzen einen Zeitgeist, den importierte, bereits Monate alte Episoden amerikanischer Serien nicht besitzen – wenn doch der ORF bloß nicht so lange auf seinen längst fertig geschnittenen Serien Däumchen drehen würde (Hallo, Staffel 3!). Und nicht zuletzt sprechen uns österreichische Serien auf einer kulturellen Ebene an, die ausländische und/oder synchroniserte Serien nicht erreichen – ein Mehrwert, den es nur in heimischen Produktionen geben kann.
Die Akzeptanz muss aber auch von uns Zusehern kommen, und im weiteren Sinne auch von den Kritikern und Medien. Wir von Fortsetzung.tv haben uns die Mühe gemacht, die gesamte erste Staffel in Retrospektive zu begleiten, weil wir hoffen, dass „CopStories“ nicht bloß als irgendeine weitere deutschsprachige Krimiserie abgetan wird. Wir sind der Überzeugung, dass Serienfans absolut im heimischen Markt fündig werden könnten – wenn sie doch zu suchen anfingen. Aber auch der Standard und Co., also die größeren Print-Titel Österreichs mit Medien-Ressorts, und Webseiten wie Serienjunkies müssten da aktiv werden – nicht erst am Ende des Jahres beteuern, wie gut ihnen zum Beispiel „Janus“ gefallen habe, sondern von vorne herein den heimischen Serien eine Chance geben und sie auch ihren Lesern nahe legen.
Vielleicht generieren Artikel über Serien wie „Janus“ oder „CopStories“ nicht sonderlich viele Klicks, aber wenn den Autoren etwas an heimischer Fernsehkunst liegt – und das tut es ihnen bestimmt, es handelt sich dabei schließlich um Serien-Fans – dann wäre es nicht zu viel verlangt, diesen Serien mehr Exposition und Aufmerksamkeit zu schenken. Denn nicht nur das Schauen, sondern auch das tatsächliche Befassen mit heimischen Serien ist identitätsstiftend, und somit auch für die Leserschaft von kultureller Relevanz.
Narrative Komplexität.
Warum springen wir allerdings überhaupt für „CopStories“ so in die Bresche? Weil die Serie eben jenes selber tut: in eine Bresche springen, die von deutschsprachigen Serien immer weiter vorangetrieben wird. Es geht darum, dass österreichische Serien, wie die amerikanischen und skandinavischen Vertreter, zunehmend an narrativer Komplexität dazugewinnen. Zusammengefasst bedeutet narrative Komplexität, dass Handlungsbögen über mehrere Episoden oder gar Staffeln laufen, Figuren sich langfristig durch die Geschehnisse der Serie entwickeln und Geschehnisse enger ineinander verzahnt werden können. Das ist schwieriger zu schreiben (von der Autorenseite) und schwieriger zu verarbeiten (von der Zuseherseite), bereichert das Sehvergnügen aber ungemein, denn: In Wahrheit geht es uns Zusehern immer um die Figuren und deren Interaktionen. Längere, komplexere Geschichten liefern da schlichtweg ungemein mehr Spielraum.
„CopStories“ besitzt diese narrative Komplexität und ist sich dessen auch sehr bewusst. Die Serie gibt sich betont modern – das beginnt etwa schon beim (englischsprachigen) Namen und der wunderschönen, rasanten, ja gar euphorischen Titelsequenz, die einen deutlichen Kontrast zum altbackenen „Tatort“-Intro darstellt. Im Gegenzug, um den Durchschnittszuseher nicht zu überfordern, ist die Serie im deutschsprachigen Standard-Millieu, dem Polizeirevier, angesiedelt – eine Innovation nach der anderen halt. Deutsche und Österreicher sind bekanntlich sehr scheu, was Genre-Experimente anbelangt. Insofern werden sich die hiesigen Fernsehzuschauer erst an die diversen Genre-Variationen gewöhnen müssen, bevor ein Ausbruch aus dem Krimi-Einerlei möglich wird.
Das Krimi-Etikett ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass österreichischen Serien wenig Innovation zugetraut wird. Dabei ist „CopStories“ gar keine richtige Krimiserie, was schon mal anhand des außergewöhnlich großen Ensembles erkenntlich sein dürfte. Dabei ist herauszuheben, wie sicher die Serie in ihrem Umgang mit diesen Figuren ist: Eigentlich alle sind so einprägsam, dass man schon nach zwei, drei Episoden eine gute Vorstellung davon hat, wer diese Figuren sind und wie sie ticken – und immer wieder schafft es die Serie, die Figuren mit maßgeschneiderten Fällen zu konfrontieren, die ihre charakterdefinierenden Entscheidungen zum Vorschein kommen lassen. Verantwortlich dafür sind nicht nur die präzisen Dialoge, sondern auch die Schauspielriege, die ausnahmslos eine Glanzleistung hinlegt – ein großes Lob hier an die Besetzungsabteilung.
Und jede der 12 Hauptfiguren hat ihre eigene Geschichte, die in moderner Zopfdramaturgie immer wieder weitergesponnen werden, ohne je in Gefahr zu geraten, zu soapig zu werden. Einzig die Figur des Altan hebt sich ein wenig aus dem Ensemble hervor, ist sie doch die einzige, deren Handlungsstrang (sein Bruder ist unter den Fittichen eines Drogen-Mafioso, den die Polizei noch nicht festnehmen will) in jeder Episode ein wenig weitergesponnen wird. Die Serie balanciert das durch je drei bis vier Nebengeschichten pro Folge aus, die nicht nur das Bedürfnis nach abgeschlossenen Handlungen in jeder Folge stillen, sondern auch die Persönlichkeiten der doch sehr unterschiedlichen Polizisten beleuchten – und auch für eine gesunde Prise Humor sorgen. Weil jede „CopStories“-Episode so viele Geschehnisse und Fälle in sich vereinen möchte, kommen einige dieser Nebenhandlungen nicht umhin, überzeichnet zu wirken – ein Preis, den man für die Dichte des Erzählens in Kauf nehmen muss.
„CopStories“ gehört darum für Fortsetzung.tv wöchentlich zum Pflichtprogramm – nicht nur, weil es uns ideologisch wichtig ist, mehr österreichische Serien zu schauen und publizistisch zu begleiten, sondern weil „CopStories“, in der zweiten Staffel erneut von Guntmar Lasnig und Mike Majzen verfasst, schlichtweg eine tolle, teils suchterregende Serie ist, die so gut wie alle erzählerischen Ansprüche erfüllt. Für die Zukunft wäre noch der Mut wünschenswert, auch in anderen Genres Fuß zu fassen beziehungsweise für „CopStories“ im Speziellen, öfter derart schöne Momente auf den Bildschirm zu zaubern wie Romans Sprung ins Ungewisse. „CopStories“ bricht aber damit schon einmal Genrekonventionen, und für Innovationen schlägt das Serienherz.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in etwas anderer Form auf BlamayerTV.wordpress.com.
„CopStories“ Staffeln 1 und 2 werden seit dem 7. Juli jeden fußballfreien Dienstag um 21.05 Uhr auf ORFeins ausgestrahlt. Danach sind die Folgen jeweils für sieben Tage in der ORF-TVthek (auch weltweit) verfügbar. Beide Staffeln sind als DVD erhältlich.