Die neue siebenteilige ITV-Serie zeigt ein gealtertes homosexuelles Pärchen, das sich seit Jahrzehnten mit allerlei Gemeinheiten kabbelt. Die Sitcom erfindet das Genre nicht gerade neu, aber mit Ian McKellen und Derek Jacobi stehen ihr zwei hervorragende, bewährte Schauspieler zur Verfügung.
Von Hari List
Das Genre Sitcom ist nicht unbedingt für seine großen epischen Handlungsstränge, seine intelligente Charakterentwicklung und seine innovativen Ideen bekannt. Die Grundprämisse ist eigentlich immer die Gleiche: Familie oder Wohngemeinschaft bekommt durch ein Element von außen ihr Leben durcheinandergewirbelt. Dann werden die Figuren 24 Wochen lang mit Kleinstproblemen konfrontiert und am Ende jeder Folge und Staffel ist alles wieder auf Anfang. Charakterentwicklung passiert dadurch, dass jeder einmal mit jedem darf, aber alle immer auf der Suche nach dem großen (Liebes-) Glück sind. Das serielle Element steht immer im Hintergrund, aber trotzdem werden uns die Augen feucht, wenn die “Friends” ihre Schlüssel auf den Tisch legen und in ein neues (Spin-Off-)Leben gehen.
Es sind immer relativ junge Menschen, denen wir zusehen. Menschen, die noch reifen, ihren Platz in der Welt erst finden müssen. Oder Familien, die mit mental junggebliebenen Verwandten oder Kindern zurechtkommen müssen.
Was aber passiert, wenn man eine Sitcom um eine Wohngemeinschaft/Familie entwickelt, deren Mitglieder sich im letzten Viertel ihres Lebens befinden? Die von Schauspielern gespielt werden, die sich nicht am Beginn ihrer Karriere befinden und niemandem mehr etwas beweisen müssen? Der britische Sender ITV gibt uns jetzt mit „Vicious“ die Antwort darauf.
Die Mutter ahnt noch immer nichts
In der WG von Freddie und Stuart herrscht Alltag: schnell nachschauen, ob Hund Balthasar noch lebt, Tee trinken und unangemeldeten Besuch von Freundin Violet erhalten. Was nach einem relativ entspannten Seniorenleben klingt – Freddie und Stuart sind beide in ihren 70ern –, wird durch die ständige Zankerei und den gegenseitigen Austausch von Gemeinheiten aufgelockert. Freddie und Stuart schenken sich nichts.
Stuart, ehemals Barkeeper und das Heimchen in der Wohnung, lässt keine Gelegenheit aus, um Freddie seinen relativ bescheidenen Erfolg als Schauspieler madig zu machen. Freddie, der sich nicht nur als attraktiven Künstler und Ernährer der beiden sieht, kann es immer noch nicht fassen, dass Stuart seiner Mutter nach fast 50 Jahren immer noch nicht gebeichtet hat, dass ihr Zusammenleben keine Wohngemeinschaft ist, sondern etwas ganz anderes: eine Beziehung.
Als der Twen Ash in das Apartment nebenan einzieht, kommt wieder etwas Schwung in das fade Leben der Beiden. Nicht nur, dass sie dem jungen unerfahrenen Mann bei jeder Gelegenheit mit meist nicht hilfreichen Ratschlägen zur Seite stehen, sondern auch ihre eigene Vergangenheit und Vergänglichkeit sorgt immer wieder für herrliche Komik.
Mit Brechstange und feiner Klinge
„Vicious“ (passender Arbeitstitel in der Entwicklungsphase war „Vicious Old Queens“) erfindet nichts neu, gibt sich keine Mühe, relevante Handlungsstränge aufkommen zu lassen und ist selbst für Sitcoms sparsam mit Handlungsorten. Daseinsberechtigung erhält die Sendung einzig und allein durch die zwei Hauptdarsteller. Ian McKellen als Freddie und Derek Jacobi als Stuart haben sichtlich Spaß dabei, jedwedes heterosexuelle Klischee über schwule Partnerschaften wahlweise mit der Brechstange oder mit der feinen Klinge darzubieten.
Als Impulsgeber und Handlungsauslöser wirken die britische Charakterdarstellerin Frances de la Tour als Freundin Violet, die ihre Besuche nie anmeldet und deren private Probleme und Sorgen sicher nicht unabsichtlich lächerlich sind, und der neue Nachbar Ash (Iwan Rheon, der Simon von den „Misfits“), der offenbar echt nichts Besseres zu tun hat als ständig bei seinen merkwürdigen Nachbarn anzuklopfen (und es eine Minute später meist wieder bereut).
Langes Serienleben unwahrscheinlich
Aber es ist nicht Einfallslosigkeit, die die Autoren zu einem übermäßigen Einsatz von Running Gags und abgedroschenen Schwulen-Klischees verleitet. Vielmehr liegt es an der Inflexibilität des Genres Sitcom. Der Versuch, ältere Zuseher wie im Kino vermehrt als Zielgruppe anzusprechen, musste zwangsläufig auch im Fernsehen (wieder) gestartet werden, aber der Ansatz, durch zwei bereits geadelte Darsteller dieser Qualität einen Mehrwert für den Zuseher zu erreichen, ist das einzig Neue an „Vicious“.
Nachdem wir Stuarts Mutter bereits kennen – schließlich telefoniert er am Beginn jeder Folge mit ihr – und Violet und Ash es auch langfristig sicher nicht miteinander versuchen werden, bleiben sonst keine Geheimnisse oder Beziehungskonstellationen über, die der Serie ein langes Leben garantieren könnten. Außerdem spricht der umtriebige Kino- und Theaterterminplan von McKellen und Jacobi dagegen, denn den beiden konnte man in den letzten Jahrzehnten wirklich nicht vorwerfen, auf der faulen Haut zu liegen.
Unterm Strich ist die Serie ein spaßiger Spielplatz für zwei grandiose Sirs und de la Tour sowie ein passabler Eintrag in der Filmografie des talentierten jungen Iwan Rheon. Und für uns Zuseher bleiben ein paar nette Episoden brauchbaren Humors. Allemal geeignet zur Entspannung nach einem anstrengenden Tag oder als kleine Lehrhäppchen für angehende Schauspieler.
UK 2013, ITV. Von Gary Janetti; Darsteller: Ian McKellen, Derek Jacobi, Frances de la Tour, Iwan Rheon
Bisher wurden 4 von 7 geplanten Episoden ausgestrahlt.