Im kafkaesken Irrgarten: die BBC-/SundanceTV-Miniserie „One Child“

Lange getrennt, jetzt durch ein gemeinsames Ziel vereint: Mutter (Mardy Ma) und Tochter (Katie Leung); Foto: BBC/SundanceTV

Mit britischen Miniserien ist es immer so eine Sache: Man liest oft eine Ankündigung, wenn sie in Produktion gehen, aber wenn sie dann erst einmal gestartet sind, bleiben sie meist unter dem Radar der einschlägigen ausländischen Medien. Dabei hat „One Child“ sogar eine internationale Besetzung mit Elizabeth Perkins und den renommierten US-Kabelsender SundanceTV als Koproduzenten.

Die Studentin Mei Ashley (Katie Leung, bekannt aus den „Harry Potter“-Filmen) ist ein Opfer der chinesischen Einkind-Politik: Weil sie die Erstgeborene ihrer Eltern war und die lieber einen Jungen wollten, gab ihre Mutter sie zur Adoption ins Ausland frei. Aufgewachsen ist sie in London bei dem wohlhabend-bildungsbürgerlichen Paar Katherine (Elizabeth Perkins, „Weeds“) und Jim (Donald Sumpter, „Game of Thrones“) und ihre Beziehung zu den Adoptiveltern am Anfang der Serie lässt erkennen, dass es ihr dort weder materiell noch emotional an etwas gefehlt hat. Aber dann holt sie per Internet die Vergangenheit ein: Eine Journalistin aus ihrer chinesischen Geburtsstadt Guangzhou konfrontiert sie damit, dass ihre leibliche Mutter Meis Hilfe braucht. Ihr jüngerer Bruder, von dem sie bisher nicht einmal wusste, dass es ihn gibt, sitzt zu Unrecht in der Todeszelle. Ihm wurde der Mord an einem nigerianischen Geschäftsmann in die Schuhe geschoben, die Engländerin Mei sei seine einzige Hoffnung. Kurz darauf sitzt die junge Frau zum ersten Mal im Flieger nach China, in ein Land, das sie ebenso wenig kennt wie ihre leibliche Mutter.

Wenn wir uns auf Anhieb mit dieser Situation identifizieren können, liegt das vor allem an Leung, die das Wechselbad der Gefühle, dem sie sich von einem Tag auf den anderen ausgesetzt sieht, ungemein glaubhaft verkörpert. Stellvertretend für die Zuschauer wird sie mit einem politischen System konfrontiert, das auf sie wie ein kafkaesker Irrgarten wirkt. Mit Logik kommt man hier ebenso wenig weiter wie mit einer westlich geprägten Vorstellung von Recht. Anfänglich kommt die emotionale Distanz zur neu gefundenen Mutter hinzu, die Frage, ob diese sie nicht nur ausnutzen will, um ihren Sohn zu retten, ohne sich für die verstoßene Tochter überhaupt zu interessieren. Doch die erste Begegnung mit ihrem Bruder Ajun im Gefängnis lässt keine Zweifel übrig: Ab diesem Zeitpunkt ist Mei entschlossen, alles zu tun, was nötig ist, um ihn zu retten. Und das wird mehr sein, als man eigentlich verlangen kann.

Ein Fernsehfilm wie „One Child“ (im UK lief er als Zweiteiler, in den USA als Miniserie mit vier Folgen) wäre im deutschen TV völlig undenkbar. Da griff die BBC im vergangenen Jahr nicht etwa ein britisches innen- oder außenpolitisches Thema auf, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem, das ja vordergründig nur Menschen am entgegengesetzten Ende der Welt betrifft. Der Großteil der Handlung spielt in China, die meisten Figuren sind Chinesen. Wenn man bedenkt, dass hierzulande schon als gewagt gefeiert wird, wenn ein Deutschtürke im Mittelpunkt einer Serie steht! Drehbuchautor Guy Hibbert vermittelt aber, dass unsere Erde viel kleiner ist als gemeinhin angenommen, dass in einer globalisierten und von Migration geprägten Welt die Probleme von Menschen in einem fernen Land schon morgen einen selbst betreffen können.

Neben den politischen Ausmaßen der Geschichte, dem Leidensweg, den Mei durchschreiten muss, wenn sie ihren Bruder vor dem Tod bewahren will, auch der Spannung, ob es ihr in letzter Minute gelingen wird, tritt die zweite Handlungsebene um ihre Adoptiveltern etwas in den Hintergrund. Auch die müssen sich plötzlich mit der Situation auseinandersetzen, dass sie ihre geliebte Tochter nicht mehr für sich allein haben. Schlimmer noch: Hilflos sitzen sie im heimischen England und können nicht verhindern, dass Mei sich in Gefahr begibt. Der Geschichte gibt das eine wichtige zusätzliche, wenn auch emotional nicht so packende Ebene.

Inszenatorisch passt die Miniserie perfekt ins Portfolio von SundanceTV: Regisseur John Alexander mag Kameraeinstellungen, in denen das Licht direkt in die Kamera fällt, was den Bildern oft eine Indie-Anmutung verleiht. Er versteht es aber auch, ein Gefühl für den chaotischen Alltag in einer chinesischen Millionenstadt mit ihren verwinkelten Gängen und schäbigen Häusern neben postmoderner Architektur zu vermitteln (auch wenn natürlich nicht in Guangzhou selbst gedreht werden konnte, sondern nur in Hong Kong). Obwohl sie manchmal etwas zu nah am Kitsch vorbeischrammt, ist die Miniserie insgesamt eine emotional wie vom gesellschaftspolitischen Hintergrund gleichermaßen packende Produktion.

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