Benedict Cumberbatch ist zur Zeit in aller Munde, ob es um seine Neuinterpretation des „Sherlock“ geht oder seine Darstellung des Oberbösewichts im neuen „Star Trek“-Film. Bei arte ist er Anfang Juni in einer weiteren Paraderolle zu sehen: als distinguierter britischer Gentleman in den Wirren der Zeitenwende und des Ersten Weltkriegs vor knapp einhundert Jahren. Nach dem Romanzyklus von Ford Madox Ford entwirft die Miniserie ein ambivalentes Sittenbild.
Christopher Tietjens ist, wie er selbst einmal bemerkt, ein Mann des 18. Jahrhunderts – nur dass er dummerweise Anfang des 20. lebt. Ein Gentleman der alten Schule, ein Aristokrat, dem Werte und Traditionen noch mehr bedeuten als Geld und Luxus – kurzum: ein Mann, der irgendwie aus der Zeit gefallen scheint. Benedict Cumberbatch spielt ihn mit permanenter „stiff upper lip“, mit steif hochgezogener Oberlippe, strahlt dadurch ständig eine Art Verbissenheit aus – obwohl er es doch im Grunde mit all seinen Mitmenschen nur gut meint.
Gefühle sind hingegen nicht so sein Ding. Darunter leidet seine ebenso lebenshungrige wie in ihrem goldenen Käfig gelangweilte Ehefrau Sylvia (Rebecca Hall), die er eher aus einer Laune heraus geheiratet hat, obwohl er ihr keinerlei leidenschaftliche Gefühle entgegenbringt. Nach einer Affäre nimmt er sie dennoch wieder auf, da so etwas wie Scheidung in seinem Wertekosmos unvorstellbar ist. Leidenschaftliches Begehren fehlt jedoch nicht, wenn er der jungen Sufragette Valentine Wannop (Adelaide Clemens) begegnet, und die erwidert es auch. Da Ehebruch für Tietjens aber noch unvorstellbarer ist, schmachten beide einander unglücklich an und still vor sich hin. Und dann ist da noch der Erste Weltkrieg, der sich erst leise im Hintergrund ankündigt und dann in der dritten Folge in aller Brutalität ausbricht, die auch Tietjens mit voller Wucht trifft. Denn der verzichtet kurzerhand auf eine Führungsposition, da er seinen Platz „eher in den Schützengräben“ sieht, wie er seinem Vorgesetzten im Amt für Statistik entgegenschleudert.
Die von der BBC mit Unterstützung von HBO produzierte sechsteilige (im Original anders geschnittene und daher nur fünfteilige) Miniserie „Parade’s End“ war in diesem Jahr in mehreren Kategorien für die Fernsehpreise der BAFTAs nominiert, ging allerdings leer aus. Es ist die Verfilmung einer Romanreihe, die Ford Madox Ford bereits 1924-28 schrieb – just jener Madox Ford, über dessen äußere Erscheinung Hemingway wenig schmeichelhaft schrieb: „Er hielt sich aufrecht wie ein wandelnder, gut gekleideter, hochgestülpter Schweinskopf“. Drehbuchautor und Oscargewinner Tom Stoppard („Shakespeare in Love“ und vor kurzem „Anna Karenina“) machte daraus ein gemächlich voranschreitendes Sittengemälde, das Regisseurin Susanna White elegisch in Szene setzte. Mit Klassikerverfilmungen hatte die schon reichlich Erfahrung, hat sie doch bereits Charles Dickens‘ „Bleak House“ und Charlotte Brontës „Jane Eyre“ als Miniserien fürs Fernsehen verfilmt (aber auch mit HBO durch ihre Arbeit an „Generation Kill“ schon Erfahrungen gesammelt). In ihrer „Parade’s End“-Adaption wird viel (Belangloses) geredet und noch mehr vielsagend geschwiegen. Sie zeigt eine Welt, die in ihrer Sinn- wie Lieblosigkeit dem Untergang geweiht war: die Welt des britischen Adels, der Großgrundbesitzer, der Lords und Dames, die nicht begreifen wollten, dass der bürgerliche Pöbel schon längst dabei war, ihnen ihren angestammten Platz streitig zu machen.
Die von ihrem Ehemann mit Liebesentzug „bestrafte“ Sylvia mag in ihrem Streben nach persönlichem Glück schon nicht mehr ganz in diese Welt zu passen, beugt sich aber noch weitgehend den Konventionen ihrer „Peer Group“: ihre Affären spielen sich selbstverständlich verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit ab. Für den Aufbruch in eine neue Gesellschaft steht hingegen die zweite weibliche Hauptfigur, Valentine, die mit ihrer Mutter ein kritisches Journal betreut und auf den Straßen für das Frauenwahlrecht demonstriert. Es ist umso tragischer, dass diese – bis zu einem gewissen Grad – emanzipierte Frau ausgerechnet durch die unerfüllte Liebe zu einem Mann daran gehindert wird, durch ein selbstbestimmtes Leben ihr Glück zu finden. Es ist aber gerade diese Ambivalenz, die die Darstellung der bisher kaum bekannten Adelaide Clemens so faszinierend macht. Ohne Zweifel ein vielversprechendes Talent, das auch Hollywood nicht verborgen geblieben ist: Derzeit ist sie sowohl in Baz Luhrmanns „The Great Gatsby“ im Kino als auch in der neuen Sundance-Channel-Serie „Rectify“ zu sehen.
Leider ist „Parade’s End“ trotz der interessanten Themen und teils hervorragenden Schauspieler größtenteils zu behäbig und auch zu konventionell inszeniert, um wirklich zu fesseln. White ergeht sich meist in Totalen der britischen Küste und prunkvoller Herrenhäuser, reiht Tischgespräch an Jagdgesellschaft, fast, als wäre man in einer Proust-Verfilmung. Das dürfte, insbesondere bei artes Entscheidung, jeweils drei Folgen am Stück zu zeigen, viele Zuschauer vor arge Geduldsproben stellen. Nur selten durchbricht sie die Inszenierung nach Lehrbuch mit Spiegeleffekten oder kurzen Traumsequenzen. Die Schrecken des Krieges werden hingegen zumindest in den ersten drei Folgen eher am Rande abgehandelt: Kaum ist Tietjens an der Front, liegt er auch schon verletzt und geistig verwirrt im Lazarett und ist zwei Szenen später auch bereits wieder im heimischen London. Da bleiben nur die ebenso spärlichen wie kurzen Begegnungen zwischen ihm und seiner Angebeteten, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Was die Frauen allerdings alle an diesem so kontrollierten Mann anzieht, bleibt – zumindest für den männlichen Betrachter – etwas unverständlich. Vielleicht ist es ja das, was Valentine schon bei ihrem ersten Gespräch, bei dem sie alleine sind, anspricht: „You think of everything when most men aren’t able to think at all.“ Gefilmt ist diese Einstellung von hinten, aber man kann sich vorstellen, wie daraufhin selbst Tietjens‘ Oberlippe sich zu einem Lächeln verzieht.
arte zeigt „Parade’s End“ am 7. und 14. Juni jeweils ab 20 Uhr 15 in Dreierfolgen.