Der Drehbuchgott – Porträt Aaron Sorkin

Engagierte Staatsdiener: der Präsident und seine engsten Vertrauten in "The West Wing"; Foto: Warner Bros. TV

Aaron Sorkin ist einer der besten Autoren der Gegenwart, sowohl beim Film als auch beim Fernsehen. Mit „The West Wing“ schrieb er eine der tiefgründigsten Serien der US-TV-Geschichte, für „The Social Network“ bekam er den Oscar. Auf HBO geht gerade seine Serie „The Newsroom“ zu Ende.

In Aaron Sorkins kurzlebiger Serie übers TV-Business „Studio 60 on the Sunset Strip“ (2006/07) versucht ein Autor, dem fiktiven Network NBS eine Politdrama-Serie über die UNO zu verkaufen. Die sarkastische Reaktion des Programmdirektors: „Super, ich kann es kaum erwarten, bis es zur Debatte über Dafur kommt.“ Man kann davon ausgehen, dass Drehbuchschreiber Sorkin in dieser Szene seine eigenen Erfahrungen während der Arbeit an seiner erfolgreichsten Serie verarbeitet hat: Auch in „The West Wing“ (1999-2006) verhandelte er immer wieder Themen, die man sonst nicht gerade in einer Primetime-Show auf einem der großen US-Fernsehsender erwarten würde.

Spätestens seit seinen vor brillanten Dialogen nur so strotzenden Büchern für die Serie über eine fiktive US-Regierung gilt Sorkin als einer der besten TV-Autoren. 2011 wurde er für sein Skript für den Facebook-Kinofilm „The Social Network“ auch mit einem Oscar ausgezeichnet. Damit ist er einer der wenigen Autoren, die mit Kinoarbeiten genauso erfolgreich sind wie mit Werken fürs Fernsehen. Dabei kam der am 9. Juni 1961 in Manhattan geborene Sorkin eher zufällig zum Schreiben. Ursprünglich wollte der Sohn einer Lehrerin und eines Copyright-Anwalts nämlich Schauspieler werden und erwarb deshalb einen Bachelor in Musiktheater. Aber in diesem Beruf blieb er erfolglos. Eines Wochenendes – so weiß die Legende –, während er auf das Haus eines Freundes aufpasste, stieß er auf eine Schreibmaschine und spürte, als er zu schreiben begann, Selbstvertrauen und Freude wie nie zuvor. Seine ersten Theaterstücke wurden noch an seiner alten Uni sowie am Off-Off-Broadway aufgeführt. Aber 1989 schaffte er den Sprung ins Eldorado der US-Theaterszene, an den Broadway.

Dialoge in Schnellfeuergeschwindigkeit

„A Few Good Men“ hieß das Stück über ein Militärgerichtsverfahren. Die Filmrechte sicherte sich ein Produzent bereits, bevor es überhaupt Premiere hatte. Schließlich wollte Regisseuer Rob Reiner („Harry und Sally“) den Stoff verfilmen, so kam Sorkin zu einem Vertrag mit dessen Studio Castle Rock Entertainment, für das er in den folgenden Jahren als Autor und Skriptdoktor arbeitete. Dort lernte er auch seine Kollegin Julia Bingham kennen, mit der er von 1996 bis 2003 verheiratet war und im Jahr 2000 eine Tochter bekam.

Reiners Film (deutscher Titel: „Eine Frage der Ehre“) war ein großer Erfolg, sowohl bei den Kritikern als auch an der Kinokasse. Das starbesetzte Justizdrama mit Tom Cruise, Jack Nicholson und Demi Moore weist bereits alle Elemente auf, für die Sorkin heute bekannt ist: moralische Auseinandersetzungen, tiefe Einblicke in komplizierte (staatliche) Institutionen und mit Schnellfeuergeschwindigkeit gesprochene Dialoge und Monologe. Cruise liefert sich als junger unbedarfter Militäranwalt ein faszinierendes Rededuell mit Jack Nicholson als abgebrühtem Kommandanten der US-Basis Guantanamo Bay, der es mit Vorschriften nicht allzu genau nimmt, wenn es darum geht, die Disziplin seiner Untergebenen durchzusetzen.

Parallel zu seinem Kino-Debüt schrieb Sorkin bereits an seinem zweiten Film „Malice“ (1993), einem Krankenhaus-Thriller, bei dem Harold Becker Regie führte. Der Suspense-Film mit Nicole Kidman und Alec Baldwin konnte den Erfolg des Vorgängers jedoch nicht wiederholen. Mit der Komödie „The American President“ verabschiedete sich Sorkin dann 1995 vorläufig von der Kinoleinwand. Neben seinen eigenen Büchern arbeitete Sorkin auch an einigen Filmen anderer Autoren. Als Skriptdoktor war er an Filmen wie „The Rock“ (1996), „Enemy of the State“ (1998) und Warren Beattys „Bulworth“ (1998) beteiligt.

Karrierestartrampe für einige Darsteller: Bei „Sports Night“ waren unter anderem Josh Charles, Felicity Huffman und Peter Krause (M.) dabei; Foto: Touchstone TV / Imagine TV

„Sports Night“: Eine untypische Sitcom

Die erste Fernseharbeit des für seine tiefgründigen, politischen Drehbücher bekannten Autors war ausgerechnet eine Sitcom – zumindest formal. Denn stilistisch und inhaltlich war „Sports Night“, das ab 1998 zwei Staffeln lang bei ABC lief, ein eher ungewöhnlicher Vertreter des Genres. Angesiedelt hinter den Kulissen der gleichnamigen fiktiven TV-Show behandelt die Serie regelmäßig auch gesellschaftspolitische Themen wie Religionsfreiheit oder Drogenpolitik. Dieser etwas merwürdig anmutenden Mischung blieb Sorkin später auch in seiner Serie „Studio 60“ treu. „Sports Night“ dreht sich hauptsächlich um die Beziehungen zwischen den beiden befreundeten Moderatoren und den Produzenten der Sportsendung, aber auch um ethische Auseinandersetzungen, die sich bei ihrer Arbeit ergeben. So kommt es gleich in der Pilotfolge zu einem Eklat, als der Vertreter des Senders einen Bericht über einen früher vom Apartheidsregime unterdrückten südafrikanischen Läufer aus dem Programm kippen will: Die Zielgruppe wolle nichts über benachteiligte Minderheiten sehen. Es ist wohl auch die Meinung des „Sports Night“-Autors, wenn Anchorman Casey McCall (Peter Krause, kurz vor seinem Durchbruch mit „Six Feet Under“) dem Manager entgegenschleudert, er lasse seine journalistische Arbeit nicht von 15-jährigen Zuschauern beeinflussen.

Da die 22-minütigen Folgen nicht primär auf Pointen abzielen, wirkt der sitcomtypische, dem Live-Publikum zu verdankende laugh track ziemlich deplatziert. Im Laufe der Serie wird er dann auch zunehmend zurückgefahren, in der zweiten Staffel ebenso fallen gelassen wie die Aufzeichnung vor Studiopublikum. Auch filmisch erinnert die Show eher an aufwändigere Serien, Sorkin etabliert hier bereits eines seiner späteren Markenzeichen: Beim walk and talk laufen die Darsteller von Raum zu Raum, während sie sich nicht enden wollende Dialoge zuwerfen.

„Machen Sie’s so“: Präsident Bartlet (Martin Sheen, r.) gibt die Richtung vor; Foto: Warner Bros. TV

„The West Wing “: Eine Feier des politischen Diskurses

In Sorkins erfolgreichster Serie „The West Wing“, die er 1999 bei NBC lancierte, treibt er dieses Stilmittel bis zum Exzess. Die Kamera wandert von durchs Gebäude und unsichtbare Wände, wenn sie den sich unterhaltenden Figuren auf deren Wegen durchs Weiße Haus folgt. In einer Rückblende in der vierten Staffel liefert Sorkin selbst die Entstehung dieses Rituals nach: „Do you mind if I talk while we walk?“, fragt Sam (Rob Lowe) seinen Freund und Kollegen Josh (Bradley Whitford) während ihrer ersten Tage im Westflügel. Das Konzept der Serie basiert im Grunde auf dem Rahmen, den Sorkin schon in seinem Buch für Rob Reiners Film „The American President“ („Hallo, Mr. President“) entworfen hat – abzüglich der reichlich unrealistischen Liebesgeschichte des dort verwitweten, von Michael Douglas gespielten US-Präsidenten. Das NBC-Drama fokussiert sich hingegen ganz auf den stressigen Arbeitsalltag des demokratischen Präsidenten und seiner engsten Mitarbeiter. Martin Sheen, im Film noch Stabschef, übernimmt nun die Präsidentenrolle. Ursprünglich sollte er nur am Rande auftauchen, verkörperte den intellektuellen und warmherzigen Jed Bartlet aber so überzeugend, dass er sich schnell in den Mittelpunkt spielte.

Sein Staats- und Regierungschef ist das Idealbild eines liberalen, weisen, umsichtigen Präsidenten, der auf idealtypische Weise alle Werte vertritt, für die die USA gerne stehen würden – und die sie dann in der Realität doch so oft nicht vertreten. Damit war er auch ein Gegenentwurf zum realen US-Staatsoberhaupt George W. Bush, dessen Amtszeit kurz nach Start der Show begann. Die Serie lebt aber auch davon, dass die anderen Hauptfiguren gleichberechtigt sind. Unter den durchweg großartigen Schauspielern sind vor allem John Spencer („L.A. Law“, 1986-94) als Stabschef und trockener Alkoholiker sowie Bradley Whitford als dessen engagierter, aber zu Fettnäpfchen neigendem Stellvertreter hervor zu heben.

Inhaltlich ist die Serie oft eine Feier des politischen Diskurses in einem demokratischen System, der Entscheidungsfindung durch Argumentation, auch des Kampfes um politische Mehrheiten. Obwohl in den von Sorkin fast komplett geschriebenen Staffeln 1 bis 4 dramatische Situationen außerhalb des Weißen Hauses nicht gezeigt, sondern nur über die Dialoge der dort Beschäftigten vermittelt werden, ist das Geschehen meistens unheimlich spannend (und dank geschliffener, oft pointierter Dialoge häufig auch witzig). Da geht es um Verbesserungen, die mühsam erkämpft werden müssen, um moralische Konflikte, um das Wünschenswerte und das Machbare in einer Demokratie. Dabei schreckt Sorkin natürlich nicht vor kontroversen Themen wie dem Umgang mit Homosexuellen in der Army oder der Frage nach der Berechtigung der Todesstrafe zurück.

„The West Wing“ war für eine Network-Serie mit so komplexen – und oft trockenen –Themen erstaunlich erfolgreich, nicht nur bei den Kritikern, und lief sieben Staffeln lang. Nach der vierten stieg Sorkin jedoch aus der Produktion aus. Schuld daran dürften sowohl seine wiederholten Drogenprobleme – nach langjähriger Abstinenz wurde er 2001 am Flughafen unter anderem mit Crack erwischt – als auch Konflikte mit dem Studio Warner Bros. TV aufgrund seiner Arbeitsweise gewesen sein. Er schrieb nämlich fast alle Folgen überwiegend im Alleingang und schaffte es deshalb selten, die Bücher rechtzeitig fertig zu stellen.

Blick hinter die Kulissen, Teil 2: das Team der fiktiven TV-Show „Studio 60“; Foto: Warner Bros. TV

„Studio 60 on the Sunset Strip“: Hinter den Kulissen einer Comedy-Show

Seine öffentlich ausgebreitete Drogenabhängigkeit verarbeitete er dann in seiner nächsten Serie „Studio 60 on the Sunset Strip“. In der 2006 gestarteten NBC-Show bekennt sich der wieder mit Bradley Whitford besetzte TV-Produzent Danny Tripp bei einer Preisverleihung als kokainsüchtig. Erneut geht es um eine fiktive Fernsehsendung, diesmal eine Sketch-Comedy im Stil von „Saturday Night Live“. Und wieder nutzt Sorkin diesen Rahmen, um sich kritisch mit der Entwicklung des Mediums auseinander zu setzen. Neben dem bereits aus „The West Wing“ bekannten Whitford spielt „Friends“-Star Matthew Perry den zweiten Showrunner (auch er hatte schon eine wiederkehrende Rolle in der Vorgängerserie). Die Arbeitsweise der beiden fiktiven Produktionspartner ist auch ein Abbild von Sorkins langjähriger Zusammenarbeit mit Thomas Schlamme an allen seinen drei Network-Serien. Während Schlamme teilweise die Regie übernimmt und sich ansonsten hauptsächlich um den Ablauf der Produktion kümmert, konzentriert sich Sorkin am liebsten ganz aufs Schreiben.

Nach einem furiosen Auftakt sackt die inhaltliche Qualität seiner dritten Serie leider etwas ab, was sich auch in den Quoten wiederspiegelte. Zum einen kränkelt sie daran, dass die fiktive Comedy-Show nie wirklich witzig wirkt, während sie von den Figuren ständig als Gral der Fernsehunterhaltung behandelt wird. Zum anderen bietet die Produktion einer solchen Show eben auch nicht das dramatische Potential, das der Blick hinter die Kulissen des Weißen Hauses verspricht. So fiel dann nach einer Staffel im Studio 60 auch schon die letzte Klappe.

Ein Oscar für eine universelle Geschichte

2007 kehrte Sorkin nach einem Jahrzehnt ausschließlicher Fernseharbeit zum Kino zurück. Für Mike Nichols’ Film „Charlie Wilson’s War“ adaptierte er das Sachbuch über den Kongressabgeordneten, der den Stellvertreterkrieg der CIA in Afghanistan initiierte, Tom Hanks übernahm die Titelrolle. Für Überraschung sorgte danach die Ankündigung, Sorkins nächstes Projekt sei ein Film über die Gründung von Facebook, basierend auf einem weiteren Sachbuch. Viele bezweifelten, dass ein Film über eine Internetplattform spannend werden könnte. Aber der Autor übertraf alle Erwartungen, indem seine Story auf einer viel universelleren Ebene funktioniert. Es geht ihm weniger um das erfolgreichste Soziale Netzwerk der Welt als vielmehr um die Bedingungen des Weges zu Ruhm und Reichtum. „The Social Network“ ist die Geschichte eines im Grunde einsamen jungen Mannes (Mark Zuckerberg, von Jesse Eisenberg perfekt verkörpert), der über technische Genialität, aber kaum soziale Fähigkeiten verfügt und seinen einzigen wahren Freund verrät. Für seine einfühlsame Geschichte und die wie immer brillanten Dialogkaskaden erhielt Sorkin zu Recht den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch. Zuletzt kam in den USA mit Sorkin als Co-Autor „Moneyball“ in die Kinos, ein biografisches Sportdrama mit Brad Pitt als Manager eines Baseballteams.

Ein Paar wie aus einer Screwball-Comedy: Emily Mortimer und Jeff Daniels in „The Newsroom“; Foto: HBO

Zurück zum TV: „The Newsroom“ – eine Serie übers harte Nachrichtengeschäft

Aber der frischgebackene Oscarpreisträger hat dem Fernsehen nicht endgültig den Rücken zugekehrt. Für HBO hat er als neues Serienprojekt „The Newsroom“ entwickelt. Mit der dritten Staffel geht sie im Dezember zu Ende. Mit Alan Poul ist neben Sorkin ein weiterer renommierter Executive Producer an Bord der Serie, der für HBO schon „Six Feet Under“ (2001-2005) produzierte. Das Konzept klingt wie eine Mischung aus Sorkins vorherigen Serien: Im Mittelpunkt steht die Arbeit eines Nachrichtenkanals. Mit Jeff Daniels spielt ein bekannter Kinodarsteller den Moderator einer politischen Talkshow, dessen befreundeter Co-Moderator ein besseres Angebot angenommen und einen Großteil des Teams mit zu dem anderen Sender genommen hat. Dem verbliebenen Host wird nun als neue ausführende Produzentin ausgerechnet seine Ex (Emily Mortimer) vorgesetzt, mit der er eine neue Sendung mit einem neuen Team entwickeln soll. Mit Dev Patel als Blogger und Social-Media-Experten gehört auch ein Schauspieler zur Besetzung, den Fans britischer Serien noch als Anwar aus „Skins“ (ab 2007) kennen dürften. Das Setting bietet Sorkin ausreichend Gelegenheit, wieder zu politischen Themen Stellung zu beziehen und sich mit dem Zustand des US-Fernsehgeschäfts auseinander zu setzen. Ein Nachrichtensender müsste dafür ein wesentlich geeigneterer Handlungsort sein als eine Comedyshow wie in „Studio 60“. Gerade die wachsende Rolle des radikal konservativen Senders Fox News sorgt seit Jahren für eine Verflachung des politischen Diskurses in den USA. Sorkin hat vor Beginn der Arbeit an der Serie ausführlich hinter den Kulissen der Newskanäle MSNBC, Fox News und CNN recherchiert.

Die großen Erwartungen konnte Sorkins HBO-Serie bei den meisten Kritikern – trotz eines Emmys für Daniels‘ Darstellung des Anchormans Will McAvoy – allerdings nicht erfüllen und auch der Zuschauerzuspruch fiel eher verhalten aus. Stärker noch als schon bei „The West Wing“ warfen viele US-Kritiker Sorkin diesmal vor, seine Figuren eher predigen als argumentieren zu lassen. Zudem musste er sich auf Grund der naiv-tollpatschigen Frauenfiguren gefallen lassen, als mysogyn beschimpft zu werden. Als nächstes will Sorkin sich dem Leben eines weiteren Computerpioniers widmen, Steve Jobs – wieder fürs Kino. Wie ernst allerdings seine jüngste Ankündigung zu nehmen ist, die letzte „Newsroom“-Folge sei wahrscheinlich das letzte, was er überhaupt fürs Fernsehen geschrieben hat, bleibt abzuwarten. Seine Arbeit an „The West Wing“ hat ihm unter Serienfans immerhin den Spitznamen Drehbuchgott eingebracht.

(aktualisierte Fassung des in torrent 1/2012 erschienenen Artikels)

 

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