Während die meisten der berüchtigten Vorabendkrimis im Ersten doch eher tödlich als heiter sind (vor allem für die Zuschauer), zeigt Dominik Graf mal wieder, wie es auch gehen kann: Im Bayerischen Fernsehen feierte gestern Abend sein Heimatkrimi „Die reichen Leichen“ Premiere.
Mit viel Lokalkolorit aus Starnberg, dem See als eigenem Protagonisten, skurrilen Ermittlern, Mundart, Humor, aber eben auch mit einem Sozialporträt der Gesellschaft der noblen Kleinstadt und überdrehter Fabulierlust inklusive der Rückkehr des im See ertrunkenen „Kini“.
Alles fing tatsächlich an, wie man sich als unbedarfter Zuschauer so einen Heimatkrimi vorstellt: mit idyllischen Panoramabildern vom Starnberger See, Dialekt sprechenden Polizisten und zwar witzigen, aber auch etwas platt humoristischen Dialogen. Spätestens als dann ein Wiedergänger des legendären Bayernkönigs Ludwig II. aus dem See auftaucht und zwei Surfer vom Brett kippt, merkt man jedoch: Vom üblichen deutschen Krimieinerlei ist man hier weit entfernt. Was folgt: wilde Verschwörungstheorien über die wahren Todesursachen Ludwigs (des echten), vorgetragen von einem herrlich overactenden Eisi Gulp. Die Entführung des ermittelnden Kriminalbeamten durch durchgeknallte königstreue Kapuzenträger, die sich auch sonst der Praktiken des Ku-Klux-Clans bedienen (Fackeln! Brenndende Kreuze!). Eine nur angedeutete erotische Beziehung zwischen einem neureichen Jet-Setter (Hannes Jaenicke in Bestform) und einem engagierten jungen Rettungssanitäter. Blicke, die scheinbar keine Bedeutung haben und dann am Ende doch noch wichtig für die Auflösung der Fälle werden. Zwei faszinierende, höchst unterschiedliche Frauenfiguren: Annina Hellenthal als kühle blonde Polizeianwärterin aus dem Ruhrgebiet („Ich bin Optimistin.“ – „So kommen Sie aber nicht rüber.“ – „Das ist der Trick.“), Ulrike C. Tscharre als strenge Mutter und Schicki-Micki-Lady, nach Maranow und Kunzendorf eine weitere Variante des von Graf so geliebten mysteriösen „dark haired girl“. Und am Ende: pure Exploitation, wenn sich die Polizistin und der Täter am Seeufer gegenseitig die Luft abdrehen und in Körperteile beißen, bis es blutet.
Das eigentlich Faszinierende ist aber, dass Graf und sein Drehbuchautor Sathyan Ramesh das alles erzählen, ohne das Genre jemals zu verlassen. Anders als im allseits so gefeierten, aber doch arg überambitionierten Tukur-„Tatort“ vom vergangenen Sonntag dehnen sie das Genre in alle möglichen Richtungen aus, ohne die grundsätzlichen Regeln zu brechen: „Die reichen Leichen“ bleibt immer ein Krimi, ein Polizeifilm – ja, auch ein Heimatkrimi. Aber eben einer, der sich wirklich für die sozialen Verhältnisse, die gegenseitigen Abhängigkeiten vor Ort interessiert (in einer Stadt, in der alles so verflochten ist, dass eine reiche Einwohnerin der Polizei eine teure Espressomaschine spendiert hat) – und der mit der Geschichte des Orts spielt, wenn ständig der Mythos um den feuchten Tod des Märchenkönigs aufgegriffen wird.
Inszenatorisch hat sich Graf diesmal ziemlich zurückgehalten, lediglich gegen Schluss greift er zu seinen bewährten Zooms und Rückblenden, die schon einmal gesehene Szenen in neuem Kontext kurz zitieren. Hinzu kommt die Musik von Florian van Volxem und Sven Rossenbach, die das Geschehen eher konterkariert als einlullend verstärkt. Schmunzeln darf man auch – aber eben auch über die Freude, mit der sich Graf in jedes neue Subgenre stürzt, das ihm angeboten wird.
Der Film steht jeweils ab 20 Uhr in der BR-Mediathek zum Abruf bereit. Am heutigen Sonntag (19. Oktober) um 20 Uhr 15 läuft Grafs neuer „Polizeiruf 110“ „Smoke on the Water“ im Ersten.