In torrent 2/2012 erzählt Dominik Graf von seiner langjährigen Arbeit fürs deutsche Fernsehen. In der Fortsetzung unseres Interviews reflektiert der Regisseur über deutsche Actionfilme der 80er und 90er Jahre, Berührungspunkte zur Berliner Schule und die Frage, ob sein Film „Die Sieger“ das Ende des Genrekinos in Deutschland war.
Interview: Samir Kandil und Marcus Kirzynowski
Für Ihren kommerziell wohl erfolgreichsten Kinofilm „Die Katze“ (1988) wurden Sie mit dem Bundesfilmpreis als bester Regisseur des Jahres ausgezeichnet. Darin bekommen wir durch eine kleine Szene am Anfang einen intimen Einblick in die Beziehung zwischen dem Bankdirektor und seiner Frau, wenn beide zeitgleich das Badezimmer benutzen. Im ganzen Film wird eine Art Realismus gegen die stilisierteren Szenen mit dem criminal mastermind Götz George gehalten, der geradezu idealisiert inszeniert wird.
Das ist lustig beobachtet. Ich hab’s nie so gesehen, aber es mag stimmen. George war für mich tatsächlich die mythologische Figur des Films, eine Art Minotaurus, in einem Hotellabyrinth eingeschlossen. Draußen unter ihm wimmelte die BRD- Wirklichkeit der End-80er. Die Geiselnahme in Gladbeck passierte genau ein Jahr später und sah in bestimmten Details verdammt nach „Katze“ aus. „Katze“ war derjenige Film von mir, der – wie mein Kollege Eckhart Schmidt es damals zuvor drohend sagte – „jetzt aber mal was werden muss“. Nach einem kleinen Erfolg wie „Treffer“ und einem Desaster mit dem Constantin-Trio-Film „Drei gegen Drei“. Ich hab die Drohung ernst genommen.
Die Definition von Erfolg im Kino hat sich in ihrer Gewichtung zwischen Publikumszahlen und Filmpreisen heute etwas verändert. Damals galten nur die nackten Zahlen, sonst nichts. Der Film hat dank der Besetzung von George und Landgrebe ein wenig Geld eingespielt, ohne die beiden wäre er wohl – schon auf Grund seiner Drastik in manchen Sequenzen – niemals in die oberen Verkaufsränge damals gekommen.
Sehen Sie heute hierzulande überhaupt noch solche Schauspieler, wegen denen alleine die Leute schon ins Kino gehen?
Schwer zu sagen… Schweiger startet ja gerade mit großer Klappe beim NDR-Tatort. Mal sehen, was er hinkriegt. Er ist vielleicht die einzige Ausnahmeerscheinung von deutschem Schauspieler, der kontinuierlich wirklich großes Publikum zieht.
Waren Sie jemals von der Arbeit mit einem Schauspieler so begeistert, dass Sie gezielt nach einem Stoff für eine abermalige Zusammenarbeit gesucht haben?
Wenn ich mich in Schauspieler verliebe, dann suche ich immer in den jeweils neuen Projekten nach Möglichkeiten, weiter zusammen zu arbeiten. Aber den Vorrang hat bei mir doch immer der Stoff, die Chancen, die mir das nächste Drehbuch zu bieten scheint.
In den 80ern gab es noch eine Tradition spannender und doch nicht anspruchsloser Thrillerstoffe im deutschen Kino, nicht nur Ihre „Katze“, sondern etwa auch Carl Schenkels „Abwärts“ von 1984 (wieder mit George!), der sich noch heute vor keinem Hollywood-Thriller zu verstecken braucht. Wann, glauben Sie, ist diese Tradition abgebrochen und warum?
Andreas Kilb, der FAZ-Kritiker, der damals in der Zeit – wie so viele Andere – meinen Kinofilm „Die Sieger“ brutal zerrissen hat, hat neulich nochmal öffentlich auf den Film eingeprügelt, hat ihn für den Niedergang des Genrekinos in Deutschland nach 1995 verantwortlich gemacht und ihn wiederholt als größenwahnsinniges Raketen-Projekt „mit eingebautem VW-Motor“ bezeichnet. Er meinte damit, dass „Sieger“ euphorisch überzogen geplant war und in seinem Zentrum ja doch nur eine kleine Fernsehserien-Story abhandelte. Kilb hat die Faszination der „Fahnder“-Geschichte „Über dem Abgrund“, die eben den Kern der „Sieger“ bildete, nie verstanden. Er versteht eigentlich auch gar nichts von meiner Art des unbedingten Realismus’ im Genre, er versteht nur was von Kunstkrimis à la Fritz Lang und Orson Welles. Expressionismus, Artifizialität, optische Mätzchen – das ist die Thriller-Welt der meisten deutschen Kritiker.
„Sieger“ war – das stimmt – ein monströser Plan, nämlich das deutsche Kino sozusagen mit den Mitteln der TV-Serie, wie wir sie verstanden und ganz erfolgreich versucht hatten, fortzusetzen. Das war natürlich Hybris. Die Figuren, die wir im Fernsehen entwickelt hatten, wollten wir dabei ins Mythische anheben. Die Figur Melba Dessaul (Katja Flint) mit ihrer Gefährtin Saide (von Natalia Wörner gespielt) war natürlich wieder eine Weiterentwicklung von Günter Schütters „Reno“ aus unserer „Fahnder“-Folge „Nachtwache“ [s. Teil 1 des Interviews in torrent 2/2012; die Red.]. Extravaganz, Snobismus, Einsamkeit, Sehnsucht der Frauen traf auf männliches Polizistenleben, Gruppenfröhlichkeit, Straßenmalochertum, Macho-Beamtentum – in „Nachtwache“ ebenso wie in den „Siegern“. Ein wenig war dieser Geheimtransport, dieses Kassiber-Schmuggeln vom Fernsehen hinüber durch die Gitterstäbe des deutschen Kinos bei „Katze“ damals ja auch gelungen – alles, was in dem Film geklappt hatte, hatte ich zuvor bei den „Fahndern“ gelernt.
Aber bei den „Siegern“ war schon etwas grundsätzlich schief… Nur war es nicht das, was Kritiker wie Kilb diagnostizierten.
„Die Sieger“ ist heute immer noch ein ganz starker Film. Sie selbst waren ja wohl mit dem Ergebnis nicht so ganz zufrieden, weil Günter Schütters Drehbuch durch zu viele Einmischungen verwässert worden sei. Was war denn im Originaldrehbuch besser?
Günter Schütters originales „Sieger“-Drehbuch war als Gruppenstudie der SEKler breiter angelegt und war im Stoff tiefer, fand ich. Es begann mit einer ausufernden, anarchischen Abschiedsfeier eines SEK-Beamten, der wegen Altersgrenze wieder zurück zur Streife oder Innendienst gehen muss, blendete davon direkt in Übungsräume der – anderntags noch komplett verkaterten – SEKler über, und dann ebenso direkt in die erste Action-Szene hinein mit den italienischen Mafiosi im Hotelzimmer und dem flüchtenden „Toten“ Schäfer. Die Mafiosi waren bei Schütter noch deutsche Terroristen der dritten/vierten Generation und Schäfer war somit ein Undercover-Mann in der RAF! Das war natürlich schon ein toller Stoff und sehr aktuell damals, gipfelte ja dann prompt in der Realität von Bad Kleinen, das kurz vor den Dreharbeiten 1993 geschah. Bis dahin hatten wir in unserem zweijährigen Drehbuchkampf aber auf dringende Hinweise aus den einschlägigen Fördergremien hin den Terroristen-Plot bereits in Mafiosi umgewandelt. Leider. Das war schon mal Kapitalfehler Nummer eins.
Es hätte insgesamt ein Film von 180 Minuten werden müssen – oh herrlicher Größenwahn! In den rausgeschnittenen Szenen sieht man noch Ahnungen von einer anderen Epik, finde ich – trotzdem, das Buch war durch Finanzprobleme und dramaturgische Endlosdiskussionen längst aus der Balance geworfen worden. Ich hab nicht geschafft, das große Ganze über die Ziellinie zu retten. Das Drehen selbst war verzweifelt unterfinanziert, trotzdem ein großes Erlebnis, vor allem die zwei Wochen in den Bergen! Ich selbst habe – in Panik geraten – auch noch viele Fehler gemacht. Der Film ist nun ein Torso – aber Ruinen können ja auch was Faszinierendes haben. Ich kann nicht leugnen, dass ich diesen Film gerne nochmal machen würde – aber allein wenn man dies heute sagt, dann stockt man schon betreten, weil die Zeiten für solche Stoffe sich wirklich radikal verändert haben. Ob dies nun meine Schuld war – oder ob es nicht doch im deutschen System von Haus aus schon so angelegt ist? So zerstörerisch? Dann müsste ich nämlich eher andersherum dankbar sein, dass Günter Rohrbach uns wenigstens das drehen ließ, was wir dann drehen konnten und was man heute noch sehen kann von diesem Traum – allein das ist schon als Produzentenleistung nicht hoch genug zu bewerten.
Für Irritationen bei vielen Zuschauern sorgen die Sexszenen in Ihren Thrillern, die oft etwas überdreht wirken – nicht nur in „Die Sieger“, wo der von Herbert Knaup gespielte Kommissar mit seiner Frau Sex mitten in der Dekoration eines Kindergeburtstages hat. Auch in Ihrem bisher letzten TV-Thriller „Das unsichtbare Mädchen“ finden sich ähnlich schräge Szenen, etwa brutal wirkender Sex zwischen dem schmierigen Polizisten, den Ulrich Noethen spielt, und einer Kollegin von ihm, mitten am Tag auf seinem Büroschreibtisch.
Ich versuche es immer wieder. Diese Szenen sind Teil meiner Sehnsucht nach einem körperlichen Kino, die nackten Körper in leichter Unterbelichtung mit filmischem Korn und Schweiß… Ich fürchte ja auch, meine Versuche von Liebesszenen sind inzwischen eine Art Duftmarke, ein autorenfilmerisches Anhängsel – für den, der sie mag, ebenso wie für die, die sie ablehnen. Ich sollte vielleicht am besten damit aufhören. In meinen Anfängen bin ich in den freudvollen 80ern auch beinahe ohne Liebesszenen ausgekommen. Die Digitalisierung lässt die Körper ohnehin viel langweiliger aussehen, flacher.
Nach dem kommerziellen Flop von „Die Sieger“ vor fast 20 Jahren haben Sie keinen Genrefilm mehr fürs Kino gemacht. Woher kommt diese danach begonnene Zweiteilung in Ihrem Schaffen, dass sie fürs Fernsehen hauptsächlich Polizeifilme machen und fürs Kino eher experimentelle und/oder literarische Filme, wie das Schiller-Projekt „Die geliebten Schwestern“, an dem Sie gerade arbeiten?
Ich hab ja immer zwischen den Polizeithrillern andere Filme gemacht, „Tiger Löwe Panther“, „Spieler“, „Bei Thea“ zum Beispiel. Was das Polizeikino in Deutschland betrifft: Der Regisseur Menan Yapo hat mal was Ähnliches behauptet wie Kilb, ich hätte das Genre für Deutschland quasi verbrannt. Das wird schon irgendwo stimmen. Andererseits gab’s eigentlich nie große Chancen für Genrekino in Deutschland, und ich würde die „Katze“ mal als Ausnahme sehen.
Zum Beispiel auf filmportal.de stehen solche Sätze wie „Weniger Erfolg hat Graf bei seinen Versuchen mit komischen Stoffen…“. Stört es Sie manchmal, dass Sie meistens „nur“ als Krimimeister gefeiert werden und Ihre zahlreichen anderen Filme nicht gleichermaßen von der Kritik gewürdigt werden?
Nein. Es ist mir egal, dass die Polizeifilme besser ankommen als die anderen Filme. Ich bin sicher, die Zeit arbeitet da bei manchen anderen Filmen, die ich gemacht habe, für mich. Ich hab mir diesen Slalom zwischen Thrillern und Liebesdiskursen nicht absichtlich ausgesucht, aber es ist seit der HFF für mich sozusagen eine stilistische Frage, diese beiden einzigen in Frage kommenden Genres: Polizeifilm und sophisticated Liebesfilm. Um in einer derart disparaten Filmkultur wie der deutschen eine gewisse Kontinuität und Einheitlichkeit des eigenen erzählerischen Stils hinzukriegen, bot sich damals und heute primär der Polizeithriller – ob nun als Serienfolge oder Spielfilm – an. Wer das deutsche Kunstgewerbe und Themengewese im Film nicht mitmachen mag, dem kann ich nur raten, macht Genre. Und neben dem Polizeithriller gibt es dann, meiner Meinung nach, nur noch die Liebeskomödie, den „Liebesdiskurs“ sozusagen, der ähnliche Möglichkeiten von stilistischer Konsequenz bietet. Also entweder Melville oder Rohmer, wenn man’s so einfach sagen will. Alle anderen Erzählformen und inhaltlichen Ausrichtungen sind bei uns quasi längst von der Event-Ästhetik korrumpiert und von unzähligen kleinbürgerlichen Geschmacklosigkeiten unterwandert.
Sie sind sehr treu, wenn es um die Zusammenarbeit mit Drehbuchautoren geht. Mit einigen machen Sie schon seit Jahrzehnten immer wieder zusammen Filme: Schütter, Basedow, Christoph Fromm. Die kennen Sie alle schon vom „Fahnder“.
Ich bin im Gewerbe aufgewachsen, meine Eltern waren Schauspieler, ich finde Treue und Kontinuität zu Mitarbeitern, Freunden im Beruf das Wichtigste. Und eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn das Geschäft selbst ist naturgegeben das Gegenteil von Kontinuität und Zuverlässigkeit.
Sie haben oft gesagt, Sie sähen sich selbst nicht als Autorenfilmer, sondern eher als Handwerker im Dienst der Drehbuchautoren. In letzter Zeit schreiben Sie aber verstärkt an den Büchern Ihrer Filme mit. Und den Schiller-Film schreiben Sie alleine? Ist das ein bewusster Wandel in Ihren Arbeitsschwerpunkten?
Nein, ich bin nicht glücklich, wenn ich schreibe, und noch unglücklicher, wenn ich Selbstgeschriebenes verfilmen muss. Ich brauche meine Autoren eigentlich dringend. Aber manchmal gibt es Zeiten, da stockt das eine Projekt hier und das andere dort und dieser oder jener Autor hat noch andere Verpflichtungen oder keinen Bock mehr, und dann muss ich halt alleine an einem Buch weitermachen. „Die geliebten Schwestern“ waren eine Idee der Bavaria-Produzentin Uschi Reich. Es geht darin um eine recht dramatische lange Liebesgeschichte Schillers zu zwei adligen Schwestern. Die eine hat er geheiratet, die andere hat er ebenso geliebt wie die eine… Eigentlich wollten sie zu dritt zusammenleben, aber das war doch schwieriger als sie sich das vorgestellt hatten. Ich mochte den Stoff auf Anhieb sehr und hab versucht, ihn halbwegs in den Griff zu kriegen. Mal sehen… Es könnte vielleicht ausnahmsweise Spaß machen, obwohl es ein eigenes Drehbuch ist.
An den Büchern der Anderen mitschreiben – das hab ich von Anfang an gerne gemacht. Ich muss immer nochmal einen Durchgang durchs Buch machen, so wie die Bratwurst, die in Grimms Märchen durchs Sauerkraut schlüpfen muss, damit es ihren Geschmack annimmt. Außerdem gibt es ja auch immer Produktionsgegebenheiten zu berücksichtigen, man muss kürzen, Motive verändern. Das mach ich gerne selbst.
Was das Regiehandwerk angeht: Ich wusste am Anfang gar nichts, absolut null. Ich hab es mir über die Jahre hinweg beibringen dürfen, weil man in der Bavaria so viel Geduld mit mir als Regisseur hatte. Ich denke, während der Phase der 80er/90er habe ich exakt so viel gelernt, wie ich für meinen damaligen Erzählstil und die Drehbücher brauchte. Die Unschuld, die in unseren formalen Ansprüchen und unserem sozusagen „kleinen Können“ damals lag, die hat sich auch positiv in den Filmen ausgezahlt. Ich finde, man sieht die Einfachheit und Effektivität.
In den 2000ern hab ich dann immer noch mehr und mehr ausprobiert. Aber wie Bresson mal gesagt hat: „Man darf nicht zu viele Mittel beherrschen wollen, sonst beherrscht man keines mehr.“ Denn es geht dann das Allerwichtigste verloren: die Anmut. Die Anmut der Filme ist immer das bedrohteste Element, durch kinematographischen Protz, Ambition, Bedeutungs-Gefilme und Event-Gezeter. Es ist dieser immer seltenere Geruch von Frische und Leichtigkeit, der 99,9 Prozent der Filme abgeht, die heute gemacht werden. Die Berliner Schule hat da an ein paar Punkten absolut Bahnbrechendes geleistet. Vor einem Jahr zum Beispiel „Schlafkrankheit“ von Ulrich Köhler, das ist sozusagen Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ in die Kunst höchster erzählerischer Beschränkung umgesetzt.
Also Handwerk, das heißt für mich wie bei einem Zeichner, die Linie, den „Strich“ der Inszenierung und des Rhythmus` locker und souverän zu beherrschen. Das mit der Lockerheit habe ich immer noch längst nicht weit genug erreicht – im Vergleich, wenn ich beispielsweise einen Brynych-Filme sehe [s. Teil 1 des Interviews in torrent 2/2012; die Red.].
Gerade ein Film wie „Schlafkrankheit“ scheint mir das genaue Gegenteil Ihrer Arbeiten zu sein. Wo Sie versuchen, der Wirklichkeit ihre originellen und lebendigen Momente abzugewinnen (und teilweise gerade durch Überhöhung eine Wahrhaftigkeit zu erreichen), wirkt Köhlers ausgestellter Realismus auf mich nicht nur nach einer Weile ermüdend, sondern fühlt sich auch irgendwie falsch an. Insbesondere der Schluss erzeugte bei mir den Eindruck, dass diese ganze an exotischem Schauplatz gedrehte Geschichte dann doch nur auf eine ganz banale und durch den Selbstmord des Protagonisten auch zynische Erkenntnis hinausläuft. Was hat Sie denn ausgerechnet an dieser Erzählweise so fasziniert? Hat eventuell der Austausch mit Regisseuren wie Christian Petzold und Christoph Hochhäusler, die der Berliner Schule zugeordnet werden, auch durch das gemeinsame Projekt „Dreileben“, Ihr Verständnis oder Ihre Wertschätzung dieser Stilrichtung gestärkt?
Ich bin tatsächlich am Registrieren des Alltags im Kino nicht interessiert; der Alltag im Leben interessiert mich auch wenig – trotzdem sehe ich das bei anderen Regisseuren im Kino manchmal gern. Ich verstehe das System, aus kleinen Momenten, Nichtigkeiten ein Psychogramm, eine Situation zu bauen und folge dem als Zuschauer ab und zu willig. Ich selbst würde mich da beim Drehen aber langweilen, das stimmt schon. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich selbst, wenn ich als unbedarfter Zuschauer in meine eigenen Filme hineingeriete, sie gut finden würde…
Bei Ulrich Köhler fand ich, dass er vom ersten Moment des Films an das Heft erzählerisch ziemlich in der Hand hatte, dass alles „Afrikanische“ ungeheuer glaubwürdig war – inklusive der afrikanischen Dunkelheit, die man selten so sieht -, aber auch das Familiäre, etwa die Tochter, die am Fluss schon mal gar nicht aus dem Auto kommen will, die Figur von Jenny Schily. Von den beiden männlichen Protagonisten ganz zu schweigen. Weiter fand ich mutig, dass er dann einfach per Zeitsprung die Hauptfigur wechselt, und dass dies dann ein „weißer“ Schwarzer ist, während der „schwarze“ Weiße immer mehr ins Nichts seines Lebens blickt… Ich fand alles sehr echt. Und das Monster, das ihn am Ende schluckt, empfand ich als eine mythische Überhöhung, die ich komplett akzeptiert habe.
Ja, ich hab durch „Dreileben“ auch was kapiert, das heißt durch die Debatten, die wir da hatten. Ich hab kapiert, dass ich diese dysfunktionalen Figuren bei der Berliner Schule nicht mag, dieses ausgestellte Nicht-Kommunizieren, oder sprachliches Kommunizieren als Anfang allen Übels. Das ist mir – vielleicht generationsbedingt – völlig fremd. Und dass wir uns aber doch sehr nahe kommen, wenn es beispielsweise um Orte geht. Also nicht nur Ortsbeschreibung, sondern wie Menschen in Orten „enthalten“ sind – und umgekehrt. Da haben wir uns sehr gut verstanden.
Können Sie sich vorstellen, auch einmal einen internationalen Film zu drehen oder fühlen Sie sich gebunden an die deutsche Sprache?
Nicht so recht, nein. Der internationale Spielplatz war für mich immer eine Horrorvorstellung. Alle deutschen Regisseure, die nach ihren hiesigen tollen Filmen ins Ausland gegangen sind, haben dort schwächere, kompromisslerischere Filme gedreht als zuvor hier – gezwungenermaßen. Die internationale Bühne ist mir fremd. Ich finde es auch immer ein bisschen lächerlich ambitioniert, dort auftreten zu wollen. Nicht, dass ich meine Filme damit klein machen will, ich hoffe, ich weiß schon halbwegs zu beurteilen, wo ich mit meinen Sachen im Vergleich stehe und wo nicht. Aber wenn ich besser werden, als Regisseur weiterkommen will, die Ziele erreichen, die ich ersehne – dann kann ich das nur hier. Ich bin so gebaut, dass ich immer viel und mit Freude und mit Freunden arbeiten können muss. Rumsitzen und zwei Jahre auf die Finanzierung und Besetzung eines Projekts warten, das kann ich nicht. Ich könnte englisch drehen, aber ich möchte es nicht. Ich könnte mir vielleicht auch sowas „international movie-making„-haftes für ein paar Filme anziehen wie einen Independent-Ausgehanzug, ich könnte das Arthauskino mit dem bedienen, was die da so wollen oder erwarten. Das ist ja völlig durchschaubar. Aber ich fände die Ergebnisse und vor allem die Arbeit an den cooleren, modernen filmischen Kunst-Erzeugnissen, die sich da so auf dem Marktplatz tummeln, nicht interessant.
Mike Figgis mag ich zum Beispiel sehr gern, eigentlich mein Lieblingsregisseur unter den noch arbeitenden aktuellen internationalen Größen. Aber er wirkt auf mich seit ein paar Jahren auch so verloren, irgendwo zwischen Hollywood und seiner Heimat. Seine Innovationsschübe wie „Timecode“ sind seltsam verpufft, weil das gesamte Branchensystem irgendwie alles gleichermaßen umarmt. Jeder kriegt einen Preis und muss dann seine Schnauze halten. Und auch wenn Figgis’ Filme groß bleiben werden – überall in diesen großen weiten Welten des Kinos herrscht so ein enervierender, in Schubladen denkender Marketinggeist, den ich nicht bedienen will. Neulich auf dem Flugplatz in Marrakesch, da hingen riesige Porträts von internationalen Regisseuren, Marco Bellocchio, Terry Gilliam, dieser neue Türke – alles gewichtig dreinschauende Männer und Frauen in oft schon reifem Alter, die in ihren schwarz-weißen Porträts eine seriöse Bedeutung ihrer Arbeiten, ihres „Schaffens“ suggerierten. Dabei wirkten sie aber eigentlich wie Hamster im internationalen Rad… Wie sie da so hingen, kamen sie mir vor wie arme Tröpfe, wie gecastete Regie-Gesichter.
Alles das, was ich noch vom Film, im Film lernen will, wie ich leben will als Regisseur, das finde ich nicht im internationalen Kino. Nur zu Hause. Wahrscheinlich sogar am ehesten in der Konfektionsware. In der Serie.
Das Interview wurde per E-Mail geführt.
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