Die Bezüge zu Sydney Pollacks 70er Jahre-Klassiker „Die drei Tage des Condor“ zur im letzten Jahr in den USA ausgestrahlten Serie „Rubicon“ sind offensichtlich. So offensichtlich, dass die Autoren es sich nicht nehmen lassen, sie einmal direkt von einer Serienfigur ansprechen zu lassen. Die Hauptfigur Will Travis erklärt einer Frau, er sei Analyst. „So wie Robert Redford?“, fragt die ihn daraufhin. „Nein, nur Analyst.“
Das American Policy Institute (API), in dem Travis arbeitet, ähnelt aber tatsächlich sehr jenem Institut, in dem Redford in dem Film tätig war: Es ist eine kaum getarnte Geheimdiensteinrichtung, die allerdings nicht selbst Spionage betreibt. Vielmehr wertet sie die Ergebnisse der Spionagetätigkeit anderer US-Geheimdienste so wie andere Quellen (manchmal verstecken sich sogar in Zeitungskreuzworträtseln „Go“-Befehle an Terroristen oder staatliche Killer) aus, um so zu Empfehlungen für politische Handlungen zu kommen. Diese empfohlenen Handlungen können dann allerdings durchaus einmal darin bestehen, einen Terrorverdächtigen durch Abwurf einer Präzisionsbombe zu töten. Es ist also ein Grauzone zwischen demokratischem Rechtsstaat und von keinem Völkerrecht gedeckten Maßnahmen zur „Inneren Sicherheit“ – oder, wie man das seit 9/11 in den USA nennt, „Homeland Security“ -, in der die Hauptfiguren sich bewegen.
Travis selbst ist durch die Ereignisse vom 11. September traumatisiert, hat er bei dem Anschlag aufs World Trade Center doch Frau und Kind verloren. Seitdem (?) ist er ein verschrobener Einzelgänger, brilliant in seiner intellektuellen Arbeit, aber sozial eher unbeholfen und emotional verschlossen. Als sein Chef und Ex-Schwiegervater bei einem Zugunglück ums Leben kommt, wird er dessen Nachfolger als Teamleiter. Aber schon bald findet er erste Hinweise, dass das Unglück vielleicht gar nicht so zufällig war. Etwa zur gleichen Zeit wie sein Chef starb auch ein reicher Unternehmer, durch einen überraschenden Selbstmord, den seine Witwe sich nicht erklären kann. Während sie sich auf eigene Faust auf Spurensuche begibt, zeichnet sich für Will eine immer größer erscheinende Verschwörung ab, in die auch Führungskräfte des API selbst verwickelt zu sein scheinen…
Die Pilotfolge von „Rubicon“ ist viel versprechend. Leider können die nächsten Folgen dieses Versprechen zunächst nicht einlösen. Zum einen passiert sehr wenig. AMC scheint es sich vorgenommen zu haben, HBO als Sender der Langsamkeit abzulösen. Passiert schon in „Mad Men“ meistens nicht gerade viel (und auch ihr „Breaking Bad“ ist ja nicht gerade ein Beispiel für temporeiches Erzählen), wird das Prinzip in „Rubicon“ noch etwas weiter auf die Spitze getrieben. Meist werden pro Folge nur ein, zwei kryptische Hinweise auf die Hintergründe der Verschwörung gestreut. Das Hauptproblem ist aber, dass es der Serie nicht gelingt, wirklichen Suspense zu erzeugen. Dazu wirken die Hinweise einfach nicht geheimnisvoll genug, ziehen einen die aufgeworfenen Fragen zu wenig in ihren Bann. Auch wirkt die Art, wie die allgegenwärtige Bedrohung und Bespitzelung durch die Verschwörer dargestellt wird, manchmal wie eine unfreiwillige Parodie auf gängige Mysteryserien-Klischees. Ein Unbekannter im langen Mantel oder ein Geräusch im Treppenhaus sorgen dann schon mal dafür, dass Will Travis aufgeschreckt über die Straße oder durch seine Wohnung läuft.
Erst ab der achten Folge zieht das Tempo etwas an, gibt es sogar zunehmend die ein oder andere Actionszene. Ab da wird die Serie tatsächlich zimelich fesselnd, nur um aber mit einer etwas enttäuschenden halben Auflösung zu enden, die mehr Fragen offen lässt als sie beantwortet – vor allem die nach der Motivation der Verschwörer. Zwar kann man sich als Zuschauer eine denken, die erscheint aber wenig plausibel. Nach den Kritikererfolgen und Kultserien „Mad Men“ und „Breaking Bad“ und noch vor dem Quotenhit „Walking Dead“ war „Rubicon“ der erste kommerzielle Misserfolg von AMC, weswegen es auch keine weitere Staffel geben wird. Es obliegt also dem Zuschauer, über das Ende hinaus zu denken.
Und (gesellschafts-)politische Fragen zum Nachdenken werfen die Autoren zur Genüge auf, Fragen, die in Zeiten von Guantanamo und Überwachungswahn so aktuell sind wie noch nie. Leider ist die Story der wichtigen politischen Aussage der Serie nicht ganz ebenbürtig.
Was sie trotzdem sehenswert macht, ist die handwerkliche Perfektion, mit der sie produziert wurde. Die SchauspielerInnen sind durchweg sehr gut, die Musik perfekt minimalistisch und die Bildgestaltung hervorragend. Selten haben Stadtansichten von New York so schön ausgesehen. Umso beeindruckender wirken sie im Kontext der Story, denn hinter der pulsierenden Normalität des Großstadtlebens lauert in jedem Moment die im Alltag meistens aus dem Bewusstsein verdrängte Gefahr, jederzeit einem Anschlag zum Opfer fallen zu können. Und hinter der perfekten Oberfläche gehen Politiker und Geheimdienstbeamte Geschäften nach, die man sich als Normalbürger nicht einmal auszumalen wagt.
Gelungen sind außerdem fast alle Charakterzeichnungen. Will Travers und seine KollegInnen sind eben keine Abziehbilder wie etwa in 24, sondern lebensnahe Figuren, die gerade ihre Verschrobenheit sympathisch und authentisch macht: ob der comicsammelnde Nerd, der, introvertiert und sozial unbeholfen, versucht, einer Kollegin näher zu kommen, oder die mit Selbstzweifeln kämpfende und ihre Skrupel mit Tabletten unterdrückende Neue im Team. Dass wir von diesen Figuren nun nicht mehr zu sehen bekommen werden, ist wohl das wirklich Bedauerliche an der Einstellung der Serie.