Zwischen Rausch und sozialer Realität: „The Get Down“

Eine der besten Szenen: die Jungs beim großen "Get Down"; Foto: Netflix

Schon mit seinen Kinofilmen galt Baz Luhrmann als Meister des Bombasts. Mit seiner ersten Serienarbeit hat sich das nicht geändert. Die Netflix-Produktion dürfte nicht nur eine der teuersten TV-Serien sein, sondern auch eine der buntesten, lautesten, vollgepacktesten. Aber geht das ganze Konzept auch auf?

Eines kann man Baz Luhrmann und seinen Mitstreitern wirklich nicht vorwerfen: dass sie eine weitere dieser „Me too“-Serien auf den Markt geworfen hätten, die sich bei Kabelsendern und Streamingdiensten in jüngster Zeit häufen. Kein weiterer „Mad Men“-Klon, kein neues „Breaking Bad“, keine x-te Variation einer ach so tiefgründigen Dramaserie, die irgendwie edgy sein soll. „The Get Down“ ist, obwohl es auch um Armut geht, um ein brutales kriminelles Umfeld, um mafiöse Strukturen, weder düster noch deprimierend, sondern das genaue Gegenteil: bonbonbunt, glamourös, vollkommen over the top und dadurch oft einfach gute Laune erzeugend. Inszenierung, Schnitt und Musikeinsatz erinnern tatsächlich eher an überdrehte Hollywood-Musicals als an irgendeine andere zeitgenössische TV-Serie. Die sechs bislang von Netflix veröffentlichten Folgen wirken mehr wie ein überlanger (Musical-)Film, den man relativ beliebig in sechs Teile zerlegt hat, und – wenn man sich darauf einlassen kann – wie ein Rausch.

Offensichtlich sind aber die inhaltlichen Parallelen zu einer anderen kürzlich angelaufenen (und inzwischen schon wieder eingestellten) Seriengroßproduktion: HBOs „Vinyl“. Nicht nur sind Zeit und Ort , in denen die Handlungen angesiedelt sind, ähnlich, auch geht es hier wie dort um neue musikalische Bewegungen, vielleicht sogar um gesellschaftliche Umbrüche, die durch neue Musikstile eingeleitet oder befördert werden. Und die Figur des Plattenproduzenten Jackie Moreno in „The Get Down“ könnte sogar eins zu eins aus der Serie von Martin Scorsese, Terence Winter und Mick Jagger stammen. Der größte Unterschied ist aber, dass die Netflix-Produktion ganz aus der Sicht latein- und afro-amerikanischer Bevölkerungsgruppen erzählt, wo „Vinyl“ doch überwiegend dem Blick der weißen Mehrheitsgesellschaft verhaftet blieb. Wenn man so will, ist „The Get Down“ also die of colour-Version sehr ähnlicher Themen, zudem „von unten“ her erzählt, nämlich aus der Perspektive jugendlicher Musiker statt der von Menschen aus der Musikindustrie. Außerdem ist grundsätzlich begrüßenswert, dass Frauen hier eine wichtigere Rolle spielen, obwohl die Art, wie diese gefilmt werden (immer leicht und hauteng bekleidet, immer die richtigen Körperteile bewusst einsetzend), doch manchmal nach unangenehmer Altmännerphantasie aussieht.

Beim Rappen und Mixen findet die Serie zu sich selbst

Ich muss gestehen, dass ich von Koserienschöpfer und Auftaktfolgenregisseur Luhrmann vorher nur seine „Romeo und Julia“-Version kannte – und durchaus mochte. Die Parallelen zu seinem US-Debüt liegen auf der Hand, nicht nur, was die Inszenierung betrifft, sondern auch in Bezug zur zentralen Liebesgeschichte. Auch Ezekiel „Zeke“ Figuero und Mylene Cruz lieben sich, können aber nicht dauerhaft zueinander finden, weil zu viele Hindernisse im Weg stehen. In diesem Fall sind es aber nicht nur familiäre Hindernisse (vor allem der religiös verblendete, strenge Vater des Mädchens, gespielt von „Breaking Bad“-Fanliebling Giancarlo Esposito), sondern vor allem selbst errichtete, namentlich Mylenes Ehrgeiz, dem Ghetto zu entkommen, eine berühmte und wohlhabende Sängerin zu werden und sich dabei nicht von einer Beziehung zu einem anderen Ghettokid behindern zu lassen. Mag der auch selbst noch so talentiert sein.

Der traurige Held der Serie verkörpert den ethnischen Schmelztiegel der Bronx in den späten 1970ern quasi schon in einer Person: Mutter Latina, Vater schwarz, eher hellhäutig, aber mit einem riesigen Afro auf dem Kopf.  Jenseits aller modischen Verwirrungen (und davon gibt es in der Serie aus heutiger Sicht eine Menge zu bestaunen) ist Zeke aber vor allem ein sensibler Künstler, der als „Wordsmith“, als Rapper, schafft, was ihm in der Schule nicht gelingt: seine Hemmungen zu überwinden und seine in poetische Form gegossenen Gedankengänge vor einer Gruppe anderer Menschen vorzutragen. Es sind diese Sequenzen – in denen Zeke zum ersten Mal öffentlicht rappt, in denen Shaolin Fantastic lernt, den titelgebenden „Get Down“ zu zelebrieren, also zwei gleiche Schallplatten so zusammenzumixen, dass die tanzwütige Menge durchdreht -, in denen die Serie ganz zu sich und ihren eigenen Tonfall findet.

Am überzeugendsten am Ende der ersten Halbstaffel, wenn Zeke und seine Jungs in einem DJ- und Rap-Battle gegen eine konkurrierende Gruppe antreten, während auf der anderen Seite eines Brachgeländes Zekes Onkel Wahlkampf für den neuen Bürgermeisterkandidaten macht. Diese Sequenz lässt einen nicht nur die innere Zerrissenheit der Hauptfigur spüren, sondern verdichtet auch auf geniale Weise die Kernthemen der Serie: die Leidenschaft der jugendlichen Protagonisten für die (neuartige) Musik und den Traum, mit ihrer Hilfe über die eigene Herkunft hinauszuwachsen, auf der einen Seite und das Milieu, die Lokalpolitik, die gesellschaftlichen Hemmnisse auf der anderen.

Alles ist stylish – auch der Tod

Diese zweite Seite ist über die gesamten sechs Folgen betrachtet leider die wesentlich schlechter ausgearbeitete. Teilweise hat man doch das Gefühl, dass sich die Autoren zu wenig für gesellschaftpolitische Fragestellungen interessieren, das soziale Millieu eher den pittoresken Hintergrund liefert als wirklich selbst eine tragende Rolle einzunehmen. Immerhin bietet der Politikaspekt reichlich Gelegenheit für Jimmy Smits, seiner Standardrolle als Kämpfer für die Armen und Entrechteten eine weitere, diesmal etwas ambivalentere Variation hinzuzufügen. Und auch in dieser leicht schmierigen Version ist er großartig. Gänzlich überflüssig ist hingegen eine andere Zutat der Serie: die Thrillerelemente. Die wirken nicht nur aufgesetzt, sondern in ihrem tarantinoesken Look bisweilen auch unangenehm. Hier möchte man (mal wieder) einem Regisseur zurufen: Nein, gewaltsam sterben ist nicht stylish und sollte bitte auch nicht so inszeniert werden. Eine andere Gemeinsamkeit mit Tarantino-Filmen kommt der Serie aber durchaus zu Gute: die Liebe der Macher zu Kung-Fu-Filmen, die sehr zum nerdigen Charme beiträgt.

An vielen Stellen wirkt „The Get Down“ dann doch zu vollgepackt, so als hätten sich Luhrmann & Co. einfach nicht entscheiden können (oder wollen), was sie eigentlich erzählen wollen. Das Wie ist weniger ein Problem, denn überwiegend machen die Folgen einen extrem stilsicheren Eindruck. Kamera, Schnitt, Musikauswahl und -einsatz: alles fantastisch. Was manchmal noch fehlt, ist die gleiche Sicherheit bei der Wahl des inhaltlichen Fokus. Den gibt es schlicht über weite Strecken nicht. Vielleicht ist es aber auch die falsche Herangehensweise, in einem Werk von Baz Luhrmann nach einem zu suchen. Eventuell ist ja das Wie bei ihm dann doch wesentlich entscheidender als das Was. Trotzdem schimmert leider oft nur ein Bruchteil des Juwels durch, der diese Geschichte werden könnte, wenn sich die Autoren trauen würden, sich ganz auf den Gegensatz zwischen jugendlichem Sturm und Drang und dem einengenden sozialen Millieu zu konzentrieren – und sich alberne Nebenhandlungen um „Pulp Fiction“-hafte Drogenbosse in lachhaft obercoolen Anzügen einfach zu sparen.

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