Sommerloch-Experiment: NBC versucht sich mit „Aquarius“

Sam Hodiak (David Duchovny) ist in "Aquarius" auf der Suche nach einem jungen Mädchen. Und Charles Manson. Foto: NBC

NBC bespielt das Sommerloch mit einer Eventserie. In „Aquarius“ ermittelt David Duchovny im Los Angeles der späten 60er und muss sich neben den üblichen persönlichen Problemen eines Fernsehermittlers auch mit Hippies und dem jungen Charles Manson herumschlagen.

Ein höchst klassischer Beginn: die 16-jährige Emma (Emma Dumont) stiehlt sich mitten in der Nacht aus dem Haus der streitenden Eltern und besucht mit Freund und Freunden eine Party. Dort begegnet sie dem jungen sympathischen Charlie (Gethin Anthony, Renly Baratheon in „Game of Thrones“), der ein wenig mehr über sie weiß, als sie sich erklären kann und der sie „wirklich versteht“.

Tage später bekommt Sam Hodiak (Duchovny) einen Anruf von Emmas Mutter (Michaela McManus), seiner ehemaligen Geliebten. Offiziell kann sie das Verschwinden ihrer Tochter nicht melden, ihrem Mann (Brían F. O’Byrne) ist das politisch unangenehm. Sam beginnt zu ermitteln, stößt aber mit seinem gebügelten Anzug und seiner „Don’t mess with me“-Aura auf die Ablehnung einer selbstbewussten und obrigkeitsfeindlichen Jugend und damit an seine Grenzen.

Zum Glück gibt es Brian Shafe (Grey Damon), einen jungen Vietnamveteranen, der erlaubter Weise unrasiert seinen Undercoverdienst verrichtet. Seine äußere Erscheinung und sein Einschreiten für verprügelte Demonstranten machen ihn zwar innerhalb der konservativen (und durchgängig weißen) Polizei von L.A. zum Außenseiter, aber zum willkommenen Partner für Sam bei der Suche nach Emma.

Nachdem das ungleiche Ermittlerduo in der ersten Folge zueinander findet und noch harmoniert, treten in der zweiten Folge die ersten Differenzen auf. Drehbuchautor (und Serienschöpfer) John McNamara drängt sie in einen vordergründig simplen „Fall der Woche“, bei dem sie einen Mordfall in einem weißen Haushalt in einem schwarzen Viertel bearbeiten. Wie Sam den Fall zum Abschluss bringt, erzürnt nicht nur den Juniorpartner, sondern auch den selbstbewussten und obrigkeitsfeindlichen Vertreter der Nation of Islam (Gaius Charles).

Emma ist derweilen dem jungen Songwriter Charlie wie viele andere vollends verfallen. Auch als sie selbst lernt, dass ihre Begegnung kein Zufall war, will sie nicht zurück zu den Eltern. Charlie hingegen ist eher an seinem ehemaligen Anwalt – Emmas Vater –  und seiner Musikkarriere interessiert. Die Mädchen sind für ihn nur Mittel zum Zweck. Wir wissen, dass das kein gutes Ende nehmen wird.

Nicht viel Neues

Das Rad hat NBC mit „Aquarius“ nicht neu erfunden. Im Gegenteil, man spielt hier auf der Klaviatur in der Schnittmenge von „True Detective“, „Bates Motel“ und jedes beliebigen police procedurals, gewürzt mit einer Prise period piece.

Der grummelige alte Detective mit seinen Familienproblemen, dem Missachten von Regeln und Vorschriften – die gerade eingeführten Miranda-Rechte muss Sam noch widerwillig vom Spickzettel ablesen – und all den winzigen Quirks, mit denen er von John McNamara in den ersten Folgen überladen wird: Das ist alles schon tausend Mal dagewesen. Dafür spielt David Duchovny die Rolle aber auch souverän.

Im Kontrast dazu das 08/15-Gesicht von Grey Damon, der mit der Rolle des unangepassten Jungpolizisten den Part mit ordentlich Potenzial übernehmen darf. Im Los Angeles des Jahres 1967, kurz vor dem Summer of Love und den damit einhergehenden politischen Verwerfungen, ist der junge, weltoffene Shafe sowohl für die konservative Altherren-Polizei als auch als Kriegsveteran im Staatsdienst für seine eigene Generation ein Außenseiter. Und seine Familie ist eine Überraschung, zumindest wenn man die amerikanische Fernsehgeschichte und die Handlungsepoche berücksichtigt.

Zum Glück nicht für den hervorragenden Soundtrack verantwortlich: Wannabe-Songwriter Charles Manson (Gethin Anthony); Foto: NBC

Der eigentliche Superstar der ersten zwei Folgen ist aber der Soundtrack. Mit jeder Menge zeitgenössischer Musik werden uns die 60er nähergebracht. Dabei werden die Songs teilweise zeilengenau eingesetzt. Als Emma gleich zu Beginn aus dem ungeliebten Elternhaus flüchtet, braucht es die Byrds („Everybody‘s Been Burned“), The Who („I Can See For Miles“), als sie die riesige Drogenparty betritt und Hippie-Klassiker „White Rabbit“ von Jefferson Airplaine, weil sich Emma-Alice ganz schnell in diesem Wunderland verlieren wird.

Viewer discretion is advised

Mit der klaren Abgrenzung als Eventserie begibt sich NBC in Gewässer, die bisher den Kabel- und Bezahlsendern vorbehalten waren. Die 13 Folgen werden zwar regulär wöchentlich ausgestrahlt, sind aber schon zu Gänze auf NBC.com verfügbar. Auch hier ist man also bereit, neue Geschäfts- und Vermarktungsmodelle abseits der reinen linearen Ausstrahlung anzudenken.

Die kommenden Folgen werden zeigen, wie weit NBC inhaltlich bereit war zu gehen. Regie und Buch wurden durchgewechselt und bleiben nicht konstant. Wenn man den roten Faden mehr betont und die allzu klassischen Procedural-Elemente in den Griff bekommt, dann hat „Aquarius“ durchaus Potenzial. Im Fahrwasser von „True Detective“ & Co. hofft man wohl auf Preise, möchte aber mit einer gewissen Weichspülung das eigene Publikum nicht vollends verstören. Immerhin hat man sich zu einem „Viewer discretion is advised“ durchgerungen, das in den Networks eher selten zum Einsatz kommt.

Dieses Review basiert auf den ersten zwei von 13 Folgen.

„Aquarius“ (NBC), 13 Episoden
von John McNamara
Darsteller: David Duchovny, Gethin Anthony, Grey Damon, Emma Dumont, Claire Holt, Michaela McManus, Brían F. O’Byrne, uvm.

http://www.nbc.com/aquarius

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