Europäische Sender haben im Normalfall nicht so große Budgets für ihre Serien zur Verfügung wie US-Sender oder -Streamingdienste. Wie man trotzdem auch in kleinen Ländern wie Belgien gleichwertige Serien produzieren kann, war ein Thema der Tagung im Rahmen des Film Festival Cologne.
Zwei Thesen zogen sich am Freitag wie Rote Fäden durch die verschiedenen Präsentationen und Diskussionsrunden beim vierten European Series Day im Kölner Filmforum. Die erste: Europäische Sender und Produzenten dürfen nicht einfach so weiter machen, wie sie es gewohnt sind, wenn sie den Anschluss an die globale Entwicklung nicht verlieren wollen. Zum Beispiel im kleinen Belgien, einem Land, das noch dazu in zwei unterschiedliche Sprachgebiete mit jeweils eigenen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten geteilt ist. Während die Flamen schon seit längerem erfolgreiche Qualitätsserien produzieren, die auch im Ausland auffallen (etwa „Beau Séjour“ bei arte oder „Tabula Rasa“ bei ZDFneo, inzwischen beide international bei Netflix), stiegen ihre französischsprachigen Landesgenossen erst sehr spät ins Seriengeschäft ein. Bis vor fünf Jahren gab es schlicht noch keine belgische Dramaserie in französischer Sprache, erklärte Marc Janssen, Head of Fiction bei RTBF, – entsprechend auch keine erfahrenen Serienautoren oder -regisseure. Der Sender musste also bei Null anfangen.
Inzwischen hat er bereits acht Staffeln selbst produzierter Dramaserien ausgestrahlt und mit dem Crime Drama „The Break“ (in Deutschland bei Netflix verfügbar) auch schon einen ersten internationalen Erfolg feiern können. Und das trotz eines sehr bescheidenen Gesamtbudgets von nur 1,5 Millionen Euro im Jahr für vier Serien. Da geht es nicht ohne Partner aus dem Ausland, wie auch Janssens flämische Kollegin Elly Vervloet, International Drama Executive bei VRT, betonte: „Wir versuchen Konzepte zu finden, die internationalen Appeal haben, da wir uns auch in Konkurrenz zu den internationalen Playern befinden.“ Dabei hat die flämische Anstalt mit 15 Millionen Euro Budget pro Jahr inklusive Comedyserien zumindest deutlich mehr Eigenmittel zur Verfügung als ihr wallonisches Pendant. Noch ein bis zwei Mal so viel käme durch Steuerermäßigungen und Streamingdienste hinzu.
Und mit letzteren sind wir auch schon bei der zweiten These. „Unsere internationalen Partner ermutigen uns, unsere lokalen Eigenheiten beizubehalten“, so Vervloet. Der Slogan lautet: „Think global, stay local“. Inzwischen seien nämlich Zuschauer in den Absatzmärkten durchaus daran gewöhnt, Serien aus Dänemark, Israel oder eben Belgien zu schauen – und schätzen dabei gerade die regionalen Unterschiede. „Wir schicken bei internationalen Koproduktionen keine deutschen Schauspieler oder Autoren“, betonte auch Slaven Pipic, verantwortlich fürs Entwicklungsgeschäft für alle Eigenproduktionen von ZDFneo. „Meine Erfahrung ist, dass sowas nie funktioniert. Das Publikum fühlt, dass es nicht authentisch ist.“ Etwas Anderes sei es, wenn eine Serienidee von Anfang an als grenzüberschreitende Geschichte entwickelt würde. Als Beispiele kann man hier „Die Brücke“ oder „Das Team“ nennen, obwohl gerade letzteres doch stark an einen „Euro-Pudding“ erinnerte, bei dem anscheinend jeder beteiligte Sender seine Schauspieler und Drehorte unterbringen wollte. Der Wallone Janssen unterstrich, dass RTBF sein geringes Budget lieber in Eigenproduktionen stecke als kleinere Beträge in große Koproduktionen zu investieren.
Dabei kommen dann relativ spitz zugeschnittene Serien heraus wie die Mysteryserie „Unseen“, die Janssen in Köln vorstellte. Darin lässt eine in einem Dorf ausgebrochene Epidemie die Infizierten unsichtbar werden. Lediglich, wenn sie schlafen oder bewusstlos sind, werden sie für andere Menschen wieder sichtbar, was zu skurrilen Situationen führt. RTBF lässt übrigens für alle neuen Serienprojekte erst einmal einen zehnminütigen Mini-Piloten produzieren, der dann auch den Autoren ein Gefühl dafür geben soll, in welche Richtung es gehen soll. Und bei Konzepten, die selbst für den kleinen belgischen Sender zu nischig sind, gibt er den Autoren die Möglichkeit, zumindest eine Serienbibel zu entwickeln, um diese dann anderen (größeren) Produzenten vorstellen zu können. Sollte sich ein internationaler Auftraggeber finden, wären die Belgier als Mitrechteinhaber natürlich trotzdem wieder mit an Bord.
Ein Problem bei internationalen Koproduktionen erläuterte Mario Krebs, Produzent bei Eikon West, die gemeinsam mit einem französischen Partner an der Romanadaption „Ein paar Tage Licht“ nach Oliver Bottini arbeiten: „Im deutschen Fernsehen muss man alles durch Dialoge erklären. Unser französischer Autor erzählt viel mehr über Gesichter oder lässt den Zuschauern Gelegenheit, selbst zu ergänzen, was off-screen passiert.“ Und mit Krebs‘ zweitem Problem sind wir wieder bei der ersten These. Während arte France bei der Miniserie um die Entführung eines Waffenproduzenten in Algerien schnell an Bord war, dauerte es drei Jahre, auch das ZDF zu überzeugen. Schuld waren einmal mehr die Sendeplätze (neudeutsch: slots). Bei arte gibt es für Miniserien das Format 3×60 Minuten. Das ZDF hat zwar einen eingeführten 90-minütigen Sendeplatz für internationale Mehrteiler am späten Sonntagabend. Der sei aber im Prinzip für skandinavische und britische Krimiserien reserviert, wo eine französische Produktion nicht recht reinpasste. Mit 3×60 oder 2×90 Minuten war das Projekt also nicht zu verkaufen. Bis man auf die Idee kam, es einfach in 4×45 Minuten aufzuteilen. Wer in Zeiten, in denen Netflix und Amazon Prime längst aufgegeben haben, ihren Produzenten Vorgaben hinsichtlich der Episodenlängen zu machen, immer noch so starr denkt, hat im Grunde schon verloren.
Das ist auch Frank Tönsmann klar, der als Serienredakteur beim WDR zum Beispiel „Im Angesicht des Verbrechens“ betreut hat: „Wir dürfen nicht mehr in Sendeplätzen denken.“ Er stellte neben der neuen Serienoffensive für die ARD-Mediathek, für die der Senderverbund 20 Millionen Euro pro Jahr investieren will, auch einen Trailer zur dritten Staffel von „Babylon Berlin“ vor. Die soll im Januar bei Sky starten und dann im November 2020 im Ersten zu sehen sein. Dabei hält Tönsmann diese Art der Koproduktion zwischen einem Pay-TV- und einem öffentlich-rechtlichen Sender nur für eine Zwischenphase. „Langfristig muss es darum gehen, dass auf unserer eigenen Online-Plattform brandneues Material läuft.“ Damit eine Prestigeserie wie „Babylon Berlin“ auch als ARD-Produktion wahrgenommen werde, müsse sie eben auch zuerst da laufen und nicht erst ein knappes Jahr später. Ein weiteres Anliegen Tönsmanns: „Wir müssen mehr in Marketing investieren, wenn wir nicht untergehen wollen.“ Zusammenfassend hat es ZDFinfo-Redakteurin Imke Meier so auf den Punkt gebracht: „Wir können nicht mehr einfach das machen, was wir immer gemacht haben.“