Freunde skurriler Dramedy-Serien kennen Brie Larson noch als unkonventionelle Teenietochter aus „United States of Tara“. Seit ihrem Oscargewinn für das berührende Kinodrama „Room“ ist ihr Name in aller Munde. Eine Wiederentdeckung.
Was macht man als Teenagerin, die nicht die erwünschte elterliche Aufmerksamkeit bekommt, weil die Mutter unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet und deshalb zwangsweise immer im Mittelpunkt stehen will? Klar, man rebelliert. Brie Larson tat das als Kate Gregson in „United States of Tara“ allerdings auf herrlich unkonventionelle und schräge Weise. In Erinnerung geblieben ist etwa, wie sie erst eine ältere Frau bewundert, die als Darstellerin einer selbst erfundenen Superheldin agiert, um dann selbst im Superheldinnendress herumzulaufen und sich im Internet zu präsentieren. Da so etwas immer irgendwelche männlichen Nerds mit eindeutig mehrdeutigen Absichten anlockt, kommt sie kurz darauf auf die Idee, per Webcam relativ „saubere“ Sexphantasien zu erfüllen, um damit Geld zu verdienen. Dazu gehört dann etwa das Herumrutschen auf einem Luftballon. Unvergesslich ihr „Oops“, als der Ballon unter ihrer Last platzt.
Drei Staffeln und 36 Episoden lang war die damals Anfang-20-Jährige Larson Teil der komplett durchgeknallten, aber gerade deshalb so sympathischen Familie Gregson in der Showtime-Dramedyserie mit Toni Collette. Vorher, bereits als 12-Jährige, hatte sie schon einmal eine Tochterrolle in einer TV-Serie inne: die Emily Stewart in der kurzlebigen Comedy „Raising Dad“ des damaligen WB-Networks.
Die am 1. Oktober 1989 geborene Kalifornierin mit französisch-kanadischen Wurzeln stand schon sehr früh vor der Kamera. Bereits als Achtjährige trat sie in Sketchen in der „Tonight Show“, damals noch mit Jay Leno, auf. Es folgten diverse Gastauftritte in weiteren Serien sowie Rollen in abgelehnten Piloten, eine Schauspielausbildung und ein Album als Sängerin, bevor 2009 mit „United States of Tara“ der erste (noch beschränkte) Durchbruch kam. Spätestens seit Larson für ihren aktuellen Kinofilm „Room“ erst mit dem Golden Globe und dann mit dem Oscar als beste Schauspielerin in einer Hauptrolle ausgezeichnet wurde, wird sie als „neue Jennifer Lawrence“ gehandelt.
Zwischen Professionalität und zu starker Nähe: „Short Term 12“
Das ist natürlich Quatsch, denn auch wenn sie nächstes Jahr in ihrem ersten Mainstream-Blockbuster „Kong: Skull Island“ zu sehen sein wird, kann man sie sich schlecht als klassische Action-Heldin vorstellen. Vorher folgen auch noch zwei bereits abgedrehte kleinere Filme, wovon insbesondere die Indie-Musical-Komödie „Basmati Blues“ über Reisanbau in Indien nicht gerade nach einem Kassenschlager klingt. Stärker als Lawrence wirkt Larson in ihren Rollen immer noch wie das „girl next door“, das zwar teils schwere Probleme mit sich herum schleppt, aber trotzdem nur selten den Lebensmut verliert. So etwa in „Short Term 12“, einem Indie-Drama, in dessen Hauptrolle sie 2013 glänzte.
Ihre Grace ist die Leiterin einer Wohngruppe in einem Auffangheim für gefährdete Jugendliche. Der Umstand, dass sie selbst nur ein paar Jahre älter als ihre Schützlinge ist, kommt ihr zwar zugute, um Vertrauen aufzubauen, andererseits fehlt ihr aber die professionelle Distanz. Das liegt vor allem an ihrer eigenen problematischen Kindheit, die sie in den Schicksalen der Jugendlichen gespiegelt sieht. „Short Term 12“ beginnt wie ein typischer US-Indiefilm, mit all den authentizitätsheischenden Stilmitteln (Close-Ups, wackelnde Handkamera), die einem schnell auf die Nerven gehen können. Dass man dann doch immer stärker an den Geschichten der Figuren anteil nimmt, liegt sicher am guten Drehbuch von Regisseur Destin Daniel Cretton, aber zu einem großen Teil auch an Larsons ebenso eindringlichem wie zurückhaltendem Spiel.
Zwischen Verzweiflung und Lebensmut: „Room“
Dieses hundertprozentige Engagement für ihre(n) Schutzbefohlenen findet sich dann auch wieder in „Room“ – diesmal im Rahmen einer noch viel existenzielleren Situation: Seit sieben Jahren wird Joy in einem kleinen Gartenschuppen gefangengehalten, seit fünf Jahren gemeinsam mit dem Sohn, den sie von ihrem Entführer bekommen hat. Trotz der eigentlich unerträglichen Lebensumstände versucht Joy, ihrem Kind alles zu geben, was es braucht, vor allem Liebe. Da der kleine Jake (großartig: Jacob Tremblay) nie etwas anderes gekannt hat als diesen Raum, gelingt das auch. Mit Hilfe der Mutter und seiner Phantasie erschafft sich der Junge eine ganze eigene Welt, die weit über die neun Quadratmeter hinausreicht.
Larson zeigt in dieser berührenden Rolle Mut zur Hässlichkeit, hat abgenommen und sich absichtlich schlecht ernährt, um glaubhaft diese Frau zu verkörpern, die seit sieben Jahren kein Tageslicht gesehen hat. Sie schafft es, die Verzweiflung ebenso eindringlich zu vermitteln wie die Freude, die der Umgang mit ihrem Sohn ihr trotz allem spendet. Und im zweiten Teil des Films, zurück in der Außenwelt, auch die emotionalen Rückschläge; das Gefühl, einen wichtigen Teil des eigenen Lebens unwiderbringlich verloren zu haben. Dass sie ihre verlorene Zeit nie wird nachholen können, wird ihr klar, als sie in ihrem unangetasteten Jugendzimmer ein altes Foto von sich mit zwei Schulfreundinnen betrachtet: „Du kannst sie nicht kennen, denn sie haben einfach ihr normales Leben gelebt. Nichts ist ihnen passiert.“ Diese Geschichte vom unaussprechlichen Grauen, das Menschen anderen Menschen zufügen können, hätte leicht ins Gefühlig-Sentimentale abrutschen können, in Kitsch. Dazu ist das Drehbuch von Emma Donoghue zum Glück aber zu intelligent, die Inszenierung von Lenny Abrahamson zu zurückhaltend und das Schauspiel von Larson zu natürlich.
Es hat lange gedauert, bis Hollywood Brie Larson richtig entdeckt hat. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass es sie nicht in oberflächlichen Rollen verheizt, sondern ihr den Raum lässt, in dem sie weiterhin glänzen kann.
„Room“ läuft als „Raum“ seit dem 17. März in den deutschen Kinos.
Video-Tipp:
Actresses-Roundtable des Hollywood Reporter zur Oscar-Saison, unter anderem mit Brie Larson und Jennifer Lawrence
Link-Tipp:
Porträt des Hollywood Reporter