Eine Grafik und die Daten dahinter: Wollen wir lokalen Content?

Das ist ein Yorkshire Terrier. Was der mit dem Artikel zu tun hat? Bitte lesen! Foto: Pixabay

Wie viele andere auch haben wir gestern diesen “Artikel“ mit dieser Karte auf Facebook und Twitter geteilt. Da stand dann: This Map Shows What People In Each State Are Binge Watching On Netflix .

Tatsächlich war es aber a) von einer anderen Seite (Homesnacks) geborgt und b) waren das die Google Trends, also die meist gesuchten Begriffe in den jeweiligen Staaten. Überschrift also falsch, weil die Serien teilweise gar nicht auf Netflix verfügbar sind (schon gar nicht die HBO-Serien „Game of Thrones“ oder „Boardwalk Empire“).

Quelle: Homesnacks

Außerdem, was heißt hier most watched? Selbst wenn Netflix oder ein anderer Anbieter solche Grafiken veröffentlichen würde, muss man die Variablen hinterfragen. Was ist gemeint: Klicks? Angesehene Episoden? Angesehene Minuten? Und wie ist die Relation zu anderen Serien, denn wenn 100 Serien fast gleichauf sind, ist die mit 1,01% natürlich die meist gesehene. Und über den riesigen semantischen Unterschied zwischen den beiden Überschriften welcher US-Bundesstaat STREAMS THE MOST und IS CURRENTLY BINGE WATCHING brauchen wir nicht reden. Definition binge watching? Fehlanzeige. Und der Serienberiff wird auch ein wenig breit gefasst, wenn Sketch-Shows wie „Portlandia“ und Real-Crime-Dokus wie „Making A Murderer“ inkludiert werden.

Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass das hier funktionierendes (gutes?) Clickbaiting ist und von mir bereitwillig angenommen wurde. Ich bin mir aber nicht ganz so sicher, dass bei den KollegInnen, von denen ich das ursprünglich habe und die das nach mir weiterverbreitet haben, dieses Bewusstsein ebenfalls da ist. Und auch von den zahlreichen Klickern auf der Fortsetzung.tv-Facebookseite will ich nicht schlecht denken, aber sicherheitshalber schicke ich diese Botschaft hinterher.

Go local – Go Terriers

Soll aber nicht heißen, dass die Grafik komplett wertlos und nicht auch etwas Interessantes aus ihr herauszulesen wäre.

Sie basiert wie erwähnt auf den Google Trends. Diese sind öffentlich zugänglich und jedermann kann dort, auch unterstützt durch eine Schnittstelle, Abfragen tätigen. Das macht die Daten auch überprüfbar (was ich aber nicht getan habe).

Statistisch unwahrscheinlich ist, dass nur eine einzige Serie in 50 Staaten zweimal am Häufigsten genannt wird. Diese Serie ist dann auch noch „Terriers“, eine von FX 2010 nach einer Staffel eingestellte Crime Comedy. Eher wahrscheinlich, dass die guten Leute in Maine und Washington (nicht D.C.) nach den lieben Hunden gesucht haben.

Unter der wie erwähnt wissenschaftlich fragwürdigen Annahme, dass die Daten korrekt sind, ergibt sich aber auch eines: Acht Staaten interessieren sich sehr für Serien, die in ihrem eigenen Staat spielen (aber nicht notwendigerweise dort gedreht wurden).

Das sind: „Portlandia“ (Oregon), „Mad Men“ (New York), „Shameless“ (Illinois, unter der Annahme, dass hier nach der US-Version gesucht wurde), „True Blood“ (Louisiana), „Breaking Bad“ (New Mexico), „It’s Always Sunny in Philadelphia (Pennsylvania), „Nashville“ (Tennessee), und „Boardwalk Empire“ (New Jersey).

Dazu kommt noch „House of Cards“, dass in Baltimore, Maryland gedreht wurde, welches nur 40km entfernt von Washington D.C. liegt. Ich unterstelle weiters auch „Interesse wegen geografischer Nähe“ den Serien „Sons of Anarchy“ (Arizona), das im südlichen Kalifornien spielt, den (teils) spanischsprachigen „Narcos“ und „Grand Hotel“, die in Texas und Florida mit großer hispanischer Bevölkerung gegoogelt wurden und „The Walking Dead“ (Alabama), dass im benachbarten Georgia gedreht wird und bis Ende der fünften Staffel auch dort spielte.

Das ist natürlich auch keine Wissenschaft von mir (behaupte ich auch nicht) und die anderen 37 Staaten in dieser Grafik konterkarieren meine gleich folgende These auch. Ich äußere sie trotzdem: Kann das ein weiterer Hinweis darauf sein, dass lokaler Content trotz voranschreitender Globalisierung immer wichtiger, immer mehr nachgefragt wird? Und könnte zum Beispiel Netflix mit seinen massiven Investitionen in Original Content eventuell auch bald eine Bayern-Serie und eine Sachsen-Serie machen?

Natürlich spielen auch die massiven Steueranreize, die manche Staaten sehr großzügig verteilen, eine Rolle in der Entscheidung, was wo gedreht wird (weswegen immer noch sehr viel in New York und Los Angeles produziert wird und dort spielt). Aber ist nicht das Interesse von Personen an lokalen Kulissen, an Wiedererkennungswert, auch an lokalen Themen, die ruhig auch in fiktionalen Welten oder vergangenen Zeiten spielen können, auch von Relevanz für die Entwicklung von Produkten, die Serien ja absolut sind?

Ich selbst würde sehr gerne einmal ein Datenmäuschen (Datenterrier?) bei Netflix & Co. sein und diese Thesen überprüfen.

Habt ihr eine Meinung dazu?

2 comments

  1. Eine spannendes Thema, das du da in den Raum wirfst und ich mag direkt mal provokant darauf erwidern, dass das die ÖR-Sender in Deutschland (fast) begriffen haben. „Die Kirche bleibt im Dorf“, „Meuchelbeck“, „Pälzisch im Abgang“ und natürlich Regionalkrimis wie „Sau Nummer vier“ und „Paradies 505“ bzw. die Kluftinger-Krimis.

    Leider kranken diese Serien alle am gleichen Virus, nämlich unbedingt witzig (und möglichst auch ein bisschen skurril) sein zu müssen, ohne jemals die Klasse von etwa „Braunschlag“ zu erreichen. Das Regionale muss in Deutschland betont hinterwäldlerisch und liebenswert daherkommen, vielleicht um sich vom eher dramatisch veranlagten Tatort-Tsunami abzugrenzen? Man weiß es nicht.

    Leider wird das Regionale selten wirklich ernst genommen, weil man als Einheimischer z.B. seine „Heimat“ oft nicht wiedererkennt, die Nähe nur behauptet wird, sich in Klischees und Dialekten erschöpft und unter keinen Umständen der Tourismus-Industrie in die Suppe spucken möchte. Daher werden eher düstere Geschichten aussortiert, obwohl es als Krimiromane an lokalen Vorlagen nicht mangelt – ich kenne beispielsweise ein paar im Bayrischen Wald angesiedelte, die sich dort auch ausgezeichnet verkaufen.

    Denn die ÖR-Sender versäumen das „wahrhaftige Abbilden“ der Regionen, was nie für alle Parteien schmeichelhaft ausfallen dürfte, wie es Edgar Reitz mit „Heimat“ so exemplarisch vorgemacht hat. Erst wenn das universal menschliche in den Geschichten durchschimmert, wird es auch global vermarktbar. Das „worldbuilding“ muss in sich stimmig sein und wer in die Regionen geht, muss auch auf die Talente dort zugehen. Das wird Amazon kaum von Schweighöfer bekommen, aber vielleicht Netflix von Jantje Friese. Hm, vielleicht sollte ich dort mal vorsichtig für das nächste Autorennen anklopfen?

  2. Ich halte diese Statistik schlichtweg für gefälscht. Wie du richtig erwähnst ist es statistisch unwahrscheinlich, dass nur eine einzige Serie zweifach vorkommt. Das gilt für alle Arten von Ermittlungsmethoden, sei es ob es geschaute Minuten, Favoriten o.ä. ist.

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