Nachdem seine ersten Bemühungen auf dem Feld der fiktionalen Eigenproduktionen, „Salem“ und „Manhattan“, eher auf verhaltenes Interesse stießen, hat der kleine US-Sender WGN America seinen ersten Hit gelandet. David Morse und Thomas M. Wright liefern sich ein Duell in einer faszinierend fremden Welt selbstgewählter Außenseiter.
Wie eine Mischung aus „Mad Max“ und Robin Hood wirkten die Szenen, die in den Trailern zur neuen Dramaserie „Outsiders“ zu sehen waren: Bärtige und langhaarige Männer in abgenutzten Klamotten, behangen mit allerlei selbst gebasteltem Schmuck aus Tierfellen, brettern auf Quads durch den Wald, einer Art vierrädriger Motorräder. Es ist tatsächlich ein Clan von Gesetzlosen, der seit vielen Jahrzehnten in den bewaldeten Bergen der Appalachen im Bundesstaat Kentucky lebt, abgeschieden vom Rest der Menschheit. Alle Mitglieder dieser eingeschworenen Gemeinschaft sind mehr oder weniger miteinander verwandt, gehören zur verzweigten Familie der Farrells. Sie folgen keinen staatlichen Regeln, können weder lesen noch schreiben und treiben auch keinen Handel mit der Außenwelt. Was sie zum Leben brauchen und nicht selbst herstellen können, nehmen sie sich einfach auf gelegentlichen Raubzügen in die am Fuß des Gebirges gelegene Kleinstadt Blackburg.
Eine Zeit des Umbruchs für den archaischen Clan ist gekommen, als sein Oberhaupt, die Matriarchin Lady Ray (großartig: Phyllis Somerville, die grantige Nachbarin aus „The Big C“), ihre Macht an ihren ältesten Sohn „Big Foster“ abgeben will. David Morse, in den 1980ern mal ein junger viel versprechender Arzt in der innovativen Klinikserie „St. Elsewhere“ und noch vor Kurzem ein aufrechter Polizist in „Treme“, spielt ihn mit wehender weißer Haarmähne und der Attitüde eines Alphatiers. Etwa zur gleichen Zeit kehrt der verlorene Sohn (respektive Cousin) der Familie zurück: Asa (Joe Anderson) hat vor zehn Jahren den Bergen den Rücken gekehrt, um das „normale“ Leben in der Großstadt zu erkunden. Nach abgebrochenem Philosophiestudium und einem ebenso abgebrochenen Suizidversuch will er wieder in den Schoß der Familie aufgenommen werden, die ihn aber zunächst einmal sechs Monate lang in einen Käfig sperrt. Raus darf er erst, als es gilt, eine Nachricht zu lesen, die das Sheriff Department an einen Baum in den Wäldern gepinnt hat, denn Asa ist als Einziger der Farrells kein Analphabet. Bei der Nachricht handelt es sich um eine Räumungsaufforderung: Die Minengesellschaft, der das Gebiet gehört, will die Farrells vertreiben, um endlich dort Kohle abbauen zu können.
Alternativgesellschaft mit Moonshine und Quads
Soweit die Ausgangssituation, die erst einmal nicht allzu originell klingt. Durchaus originell ist aber, was Serienschöpfer Peter Mattei, neu im US-Showrunnergeschäft, daraus gemacht hat. „Outsiders“ ist eine der wenigen TV-Serien, die, um ihre Geschichte zu erzählen, eine komplette neue Welt entwerfen. Das kennt man fast nur von Science-Fiction- und Fantasyserien, die in fremden Welten der Zukunft oder einer alternativen Realität spielen, allenfalls noch aus Historienserien, die aber eben auf einer echten geschichtlichen Epoche basieren. Serien, die im Hier und Jetzt angesiedelt sind, bemühen sich hingegen meist, möglichst authentisch zu wirken, also so, als wäre man wirklich etwa im heutigen New York, Los Angeles oder Chicago. Mattei hat sich jedoch eine vollkommen originäre Gesellschaft ausgedacht, mit eigenen Regeln und Ritualen, komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen und auch einem eigenen Look. Dabei leben die Farrells einerseits in ärmlichsten Verhältnissen, in zusammengeschusterten Hütten und mit notdürftiger Kleidung. Andererseits ist ihnen Technik nicht komplett fremd, nutzen sie zur Fortbewegung (und auch zum Kampf untereinander) doch ihre motorisierten Vehikel. Der Entwurf dieser Alternativgesellschaft gelingt Mattei in der Pilotfolge so faszinierend, dass man gleich tiefer in sie eindringen, mehr über ihre inneren Regeln erfahren will.
Ihr gegenüber steht die uns vertraute „normale“ Welt der Kleinstadtbewohner. Hier sticht vor allem der Deputy Sheriff Wade Houghton, Jr. hervor, der den Auftrag erhält, die Räumung des Farrell-Lagers durchzuführen. Thomas M. Wright nuschelt und grummelt diese Rolle herrlich weg, wie er es schon in „The Bridge“ gemacht hat. Sein Sheriff dient zwar als Gegenspieler für die Wilden in den Bergen, aber auch als Stimme der Vernunft. Er war nämlich als Einziger der jetzt Beteiligten dabei, als die Ordnungshüter vor vielen Jahren schon einmal einen entsprechenden Versuch unternahmen und hat aus der Konfrontation mit dem Clan ein Trauma davongetragen. Ansonsten wird die Außenwelt nicht besonders sympathisch gezeichnet: Neben den skrupellosen Vertretern der Minengesellschaft lernen wir auch noch versnobte Teenager aus reichen Familien kennen, die sich bei einem Dealer Drogen für ihre nächste Party besorgen wollen. Stattdessen gelangen sie an eine Flasche des selbstgebrannten Schnapses der Farrells, dem legendenumwobenen Moonshine. Der hat, unbedacht konsumiert, eine verheerende Wirkung, was zu einer der eindrücklichsten Sequenzen der Auftaktepisode führt.
Zarte Hoffnung
Inmitten dieser Welt von Gewalt und Wahnsinn ergibt sich aber auch eine zarte Beziehung, als ein weiterer Farrell, Hasil (Kyle Gallner), bei einer Diebestour durch einen Baumarkt ein Auge auf die Kassiererin Sally-Ann (Christina Jackson) wirft. Seine nachfolgenden Versuche, sie näher kennenzulernen (oder ihr „den Hof zu machen“, wie er es in der altmodischen Sprache seines Clans formuliert), wirken rührend, lassen aber befürchten, dass auch dieser Handlungsstrang früher oder später gewaltsam umschlagen wird. Wie viel Zärtlichkeit erlaubt eine Welt, in der jeder darauf getrimmt ist, ständig um Macht und das eigene Überleben zu kämpfen? Das ist eine der interessanten Fragen, die die Serie aufwirft.
Insgesamt ist dem kleinen Kabelsender WGN America, der seine Position im Feld der Anbieter eigenproduzierter Dramaserien mit den bisherigen Versuchen „Salem“ und „Manhattan“ noch nicht gefunden hatte, diesmal einer der besten Piloten der aktuellen TV-Saison gelungen (was auch mit für seine Verhältnisse guten Quoten belohnt wurde). Er überzeugt durch sein komplexes World Building und die interessanten Figurenkonstellationen ebenso wie durch seine rasant gefilmten Actionsequenzen. Mit den Quad-Szenen schafft er es, die inzwischen doch etwas zur Routine gewordene Qualitätsserien-Formel gehörig aufzupeppen. Die zweite Folge kann das hohe Spannungsniveau leider nicht ganz halten und schaltet tempomäßig einige Gänge zurück, die dritte legt wieder etwas zu. Nach sieben von 13 Folgen kann man konstantieren, dass diese wilde Welt in den Bergen grundsätzlich genügend Potential hat, die Zuschauer auch über längere Zeit an sich zu fesseln. Eine zweite Staffel hat der Sender gerade bestellt.
Dieser Text erschien zuerst bei wunschliste.de.